Anpfiff: Warum gibt es so viele kritische Töne rund um die WM in Katar?
Nichtregierungsorganisationen werfen dem Golfstaat schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Bei der FIFA wiederum sorgen unter anderem mutmaßliche Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe im Umfeld der WM-Vergabe für eine negative Berichterstattung.
In Katar gilt das islamische Recht, die Scharia; Frauen sind nicht gleichberechtigt. Ein Beispiel: Wird eine Frau vergewaltigt und zeigt die Tat bei der Polizei an, riskiert sie, selbst vor Gericht zu landen: wegen außerehelicher intimer Beziehungen. Geahndet werden kann das angebliche Vergehen mit Peitschenhieben oder Gefängnisstrafen.
Besonders prekär ist die Lage auch unter den vor allem aus Nepal, Pakistan, Indien, Bangladesch und von den Philippinen stammenden Niedriglohn-Migranten, die oft unter unmenschlichen Bedingungen für die nur 300.000 katarischen Staatsbürger schuften. So sollen Schätzungen zufolge beim Bau der WM-Stadien bis zu 6.500 Gastarbeiter zu Tode gekommen sein. Katar weist dies zurück und spricht von weniger als 50 Unfalltoten.
Konter: Wie reagieren Katar und FIFA auf die Kritik?
Die FIFA spielt die Probleme rund um die WM immer noch herunter. Mehrfach versuchte Infantino beispielsweise, die Zahl der Toten auf den WM-Baustellen deutlich nach unten zu korrigieren.
Katar selbst fühlt sich unberechtigt am Pranger - und verweist beispielsweise auf einen neu eingeführten Mindestlohn für ausländische Arbeiter von umgerechnet 230 Euro im Monat sowie verbesserte Sicherheitsstandards und Beschwerdemechanismen für Gastarbeiter. Bereits 2018 sei ein Entschädigungsfonds eingerichtet worden, der einspringe, wenn Unternehmen keine Entschädigungen für Verletzungen und Todesfälle oder keine Löhne zahlten.
Experten wie der Politologe und Golfstaaten-Kenner Sebastian Sons räumen ein, dass sich Katar durchaus um Verbesserungen bemühe. Allerdings fehle es an wirksamen Kontrollen zur Einhaltung der neuen Bestimmungen. Strukturelle Ausbeutung bleibe "ein massives Problem". Sports-Washing, also positive Außendarstellung mithilfe eines Großereignisses wie der WM, habe offenkundig nicht funktioniert. Gleiches gilt nach Ansicht von Beobachtern für die WM 2018 in Russland und die Olympischen Winterspiele in Peking 2022.
Querpass: Wie nachhaltig und umweltfreundlich wird eigentlich die WM?
Um der größten Hitze in Katar zu entgehen, wurde die WM erstmals in den Winter verlegt. In dem Golfstaat gibt es keinerlei Fußballtradition. Alle acht Stadien wurden unter gigantischem Ressourcenverbrauch neu gebaut; sie dürften nach der WM kaum noch genutzt werden.
Einwurf: Was sagen deutsche Fans?
Für kritische Fans wie Helen Breit von der Initiative "Unsere Kurve" wird die Kommerzialisierung des Fußballs nirgends so deutlich wie bei den Nationalmannschaften und den Großturnieren wie WM und EM. Die Grundideen des Sports würden hier systematisch verraten. Es gehe nur um möglichst hohe Geldflüsse. Sie boykottiert seit Jahren alle Länderspiele.
Der katholische Sportbischof Stefan Oster spricht von einem Sündenfall. "Dass Geld alles dominiert und der Weltfußballverband Fifa so von der Gier getrieben ist, das macht den Sport eigentlich kaputt." Sein Tipp: Wer Interesse an ehrlichem Sport habe, sollte Frauenfußball schauen.
Rote Karte: Sollten wir also besser keine WM-Spiele im Advent schauen?
Viele Städte und Kneipen haben angekündigt, keine großen Leinwände aufzustellen.
Motto: Lieber Weihnachtsmarkt statt Public Viewing. Mancherorts soll es Diskussionsrunden zur Zukunft des Fußballs geben. Wenn der Ball in Katar aber erst mal rollt und das deutsche Team die Vorrunde übersteht, dürften auch wieder deutsche Fahnen an Autofenstern auftauchen.
"Unsere Kurve"-Vertreterin Helen Breit meint, letztlich müsse jeder selbst entscheiden, ob er sich die Spiele anschaut. "Je mehr man über das Zustandekommen dieser WM, die Todesopfer und die Missachtung von Menschenrechten weiß, desto weniger kann man mit Freude auf dieses Turnier blicken."
Freistoß: Was soll sich mittelfristig ändern?
Die FIFA hat den Kampf gegen die Korruption versprochen. Künftig sollen alle Fifa-Länderverbände gemeinsam über die Vergabe entscheiden, nicht mehr der kleine Männerzirkel des FIFA-Exekutivkomitees. Vom Ziel, mit den Turnieren enorme Gewinne zu generieren, rückt der Verband nicht ab. Allein für die TV-Rechte fließen Milliarden Schweizer Franken nach Genf. Kritikerinnen wie die Freiburger Soziologin Nina Degele halten die FIFA für nicht reformierbar: "Wir sollten sie auflösen und neue Organisationsformen für die großen Turniere finden."
Nachspielzeit: Wie könnte die Zukunft aussehen?
Eine WM oder auch Olympische Spiele zu organisieren, ist für viele Länder derzeit keine verlockende Aussicht. Zu hoch sind die von FIFA und Internationalem Olympischen Komitee (IOC) geforderten Bedingungen. Kritiker schlagen vor, alle Stellschrauben zurückzudrehen: kleinere Stadien, weniger Sponsoring, weniger Auflagen für Hotels und Gastronomie.