Die 15-jährige Elena Bleß aus Haltern am See war eines der Opfer, die vor einem Jahr bei dem Germanwings-Absturz ums Leben kamen. Sie war zusammen mit 15 anderen Schülern und zwei jungen Lehrerinnen des Joseph-König-Gymnasiums am 24. März 2015 auf dem Rückflug von einem Schüleraustausch in Spanien, als der Copilot den Airbus abstürzen ließ. In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur (dpa) spricht Elenas Mutter Annette Bleß (52) - Lehrerin in Marl für Französisch und Latein - über ihren Umgang mit dem Tod ihrer Tochter und ihre Hoffnung.
Deutsche Presse-Agentur (dpa): Wie haben Sie von Elenas Tod erfahren?
Annette Bleß: Es war kurz vor den Osterferien. Ich sitze in einer Französisch-Stunde und wir schauen einen Film. Es war "Die Kinder des Monsieur Mathieu", einer meiner Lieblingsfilme mit wunderschönen Chorpassagen. Jedenfalls war die Klasse, die sonst sehr unruhig war, völlig fasziniert. Es war eine ganz besondere, himmlische Stimmung: Ich weiß noch genau, wie ich das gedacht habe. Im Rückblick wusste ich dann: Das war der Absturz.
Danach hatte ich noch eine Stunde. Ich hatte vergessen, mein Handy abzuschalten und es nur auf Lautlos gestellt, als das WhatsApp-Gebrumme losging. Nach der Pause habe ich dann nur die Nummer einer anderen Mutter gesehen und gedacht, dass es um eine Verspätung geht. Ich habe noch von der Schule aus zurückgerufen. Und dann erfuhr ich von der Katastrophe.
dpa: Bei Ihnen im Wohnzimmer steht ein großes Porträtfoto von Elena mit einer Kerze und einem Zweig davor. Wie gedenken Sie ihrer sonst?
Bleß: Das Bild stand auch bei der Beerdigung in der Kirche. Es ist wenige Tage vor ihrem Tod im Badeort Sitges gemacht worden. Wir haben es von ihr über WhatsApp bekommen. Ein anderes Bild aus Ihren letzten Tagen steht auf dem Wohnzimmertisch.
dpa: Haben Sie ihr Zimmer so gelassen?
Bleß: Ja. Wir denken natürlich nicht nur in ihrem Zimmer an sie. Eigentlich ist der Gedanke unterschwellig immer da. Er wird natürlich, wenn man arbeitet oder sich mit anderen unterhält, überlagert, aber grundsätzlich ist das schon so. Wir gehen auch jeden Tag zum Friedhof. Das machen auch fast alle betroffenen Eltern so.
dpa: Wurden persönliche Gegenstände gefunden?
Bleß: Wir haben einiges zurückbekommen, ihren Pass zum Beispiel und ihr Portemonnaie, das beschädigt war und sehr stark nach Kerosin roch und immer noch riecht. Auch Kleidungsstücke, die noch halbwegs in Ordnung waren, wurden zurückgegeben. Online gab es davon Fotos, die die Angehörigen durchsehen konnten. Da haben wir etwa zehn Teile, die Elena gehörten, wiedergefunden. Sie liegen jetzt oben in ihrem Zimmer.
Es waren auch Handys gefunden worden, die man erst jetzt zuordnen konnte. Vor wenigen Tagen haben wir erfahren, dass Elenas Handy leider nicht dabei war. Vielleicht wird aber ja doch noch etwas gefunden. Nach der Schneeschmelze tritt vielleicht noch etwas zutage.
dpa: Sie haben zusammen mit Ihrem Mann schon einen Monat nach der Katastrophe eine Stiftung gegründet und sie nach ihrer Tochter benannt.
Bleß: Die Stiftung unterstützt Schulen bei Schüleraustausch-Programmen und Schüler bei Berufspraktika im Ausland. Stiftungskapital ist das Geld von der Lufthansa, das kurz nach dem Absturz allen Angehörigen gezahlt wurde. Wir fanden es vernünftig, dass die Lufthansa zahlt, aber wir wollten es nicht für uns als persönlichen Vorteil haben.
Wir wollten etwas tun, um an Elena zu erinnern. Und wir wollten auch gerne etwas Positives zur Fortführung von Austauschprogrammen machen nach diesem schrecklichen. Wir haben auch schon die ersten Schüler unterstützen können.
dpa: Elena ist tot. Wie gehen Sie mit diesem unsagbaren Verlust um?
Bleß: Die christliche Hoffnung gibt uns Halt. Unser größter Wunsch ist sicherlich, dass wir sie wiedersehen. Das ist das, was uns sehr viel Kraft gibt. Das können Sie auch gerne schreiben, weil ich denke, dass es wichtig ist, dass man auch so etwas vermittelt, dass nämlich der Glaube auch eine Quelle der Kraft ist.
dpa: Und wie geht es den anderen Eltern?
Bleß: Sehr unterschiedlich. Es war so, dass viele lange Zeit gar nicht arbeiten konnten. Es ist jedenfalls nicht so, dass die Trauer jetzt schon erträglicher geworden wäre. Es ist nach wie vor sehr schwer und gerade jetzt zum Jahrestag hin ist es besonders belastend, weil man immer daran denkt, was man vor einem Jahr noch gemeinsam gemacht hat. Das ist sehr deprimierend, wenn man sich das vor Augen führt.
Wir haben ja relativ schnell wieder gearbeitet. Uns hat das geholfen. Aber das ist bei jedem anders. Das hängt auch von der Arbeit ab. Es hilft, wenn man mit Menschen zu tun hat, die einen vielleicht wieder mehr ablenken und die Katastrophe dann zumindest zeitweise überlagern.
dpa: Haben die Eltern in Haltern Kontakt untereinander?
Bleß: Wir treffen uns regelmäßig. Es gibt einen monatlichen Stammtisch. Alle sechs bis acht Wochen gibt es außerdem einen Gesprächskreis, der von den beiden Kirchen in Haltern organisiert wird. Es geht immer um ein bestimmtes Thema. Vor Weihnachten war das zum Beispiel: Wie feiern wir Weihnachten ohne unsere Kinder? Auch bundesweit gibt es Angehörigentreffen, die von der Stiftung Notfallseelsorge organisiert werden.
dpa: Fordern auch Sie von der Lufthansa Schadenersatz und Schmerzensgeld?
Bleß: Ja, wir lassen uns durch einen Anwalt vertreten. Es ist aber nicht so, dass wir uns intensiv damit beschäftigen. Wir sind schon der Meinung, dass Lufthansa jetzt nicht einfach so sagen kann: Uns ist auch was passiert und wir stehen da in einer Reihe mit Euch. Irgendjemand hat ja auch den Piloten eingestellt und irgendjemand hat auch die Sicherheitsvorkehrungen so gemacht. Wir sind nicht der Meinung, dass der Absturz ein reiner Zufall war.
dpa: Bei der Trauerfeier im Kölner Dom im April vergangenen Jahres brannten 150 Kerzen, darunter war auch eine für den Copiloten.
Bleß: Das hat viele sehr geärgert. Es waren 149 Opfer. Eine Frau war schwanger. Wir haben uns dann gesagt: Insofern passt das auch wieder mit den 150 – auch wenn es nicht so gemeint war.
Man kann es vielleicht auch so sehen, dass der Copilot Opfer seiner Krankheit geworden ist. Und seine Eltern haben auch ihren Sohn verloren. Das muss für sie auch entsetzlich sein. Es war ja eine ganz normale Familie. Am Ende war es uns egal, wie viele Kerzen dort brannten.
Annette Bleß ist 52 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann in Haltern. Sie ist Lehrerin für Französisch und Latein in der Nachbarstadt Marl. Bleß ist Vorstandsvorsitzende der nach ihrer Tochter benannten Elena-Bleß-Stiftung.