DOMRADIO.DE: Wie viel Kilometer haben Sie insgesamt zurückgelegt, seitdem Sie im letzten Jahr am Nordkap gestartet sind?
Hans-Gerd Paus (em. Pfarrer auf Europatour): Wenn ich mich nicht verrechnet habe, sind es 11.980 Kilometer.
DOMRADIO.DE: Es ging im letzten Jahr für Sie vom Nordkap, dem nördlichsten Punkt Europas, bis runter nach Sizilien, zum südlichsten Punkt Europas. In diesem Sommer sind Sie in Istanbul gestartet, am östlichsten Punkt Europas, und ihr eigentliches Ziel war Santiago de Compostela. Das haben sie sich dann angeschaut, haben dann aber noch 60 Kilometer draufgesetzt, um nach Finisterre zu kommen. Finisterre heißt auch "Ende der Erde". Dort sind Sie jetzt?
Paus: Ja. Ich hatte schon Finisterre angestrebt, muss aber gestehen, dass Santiago de Compostela das eigentliche Ziel war. Im Namen steckt es ja schon, wie Sie gesagt haben, das "Ende der Erde", dann muss man auch das Ende der Reise dahin planen.
DOMRADIO.DE: Was hat diese Reise mit Ihnen gemacht?
Paus: Darüber denke ich oft nach. Ich habe viel dazugelernt, vieles ist mir bewusster geworden. Kürzlich habe ich eine Karte gelesen, auf der stand: "Am Ende des Spiels landen der Bauer und der König wieder in derselben Schachtel." Diese Karte hat mich sehr inspiriert, über meine Reise nachzudenken.
Ich habe festgestellt, dass der Camino auch so ist. Der nimmt uns aus dem Spiel raus. Ich habe mit ehemaligen Obdachlosen gegessen, getrunken, gemeinsam Schlafplätze gesucht, mit Alkoholkranken, mit Professoren und egal, mit wem ich unterwegs war. Es hat immer zusammengepasst.
Wir geben unserem Spiel, das wir hier draußen, auf dem Weg spielen, neue Regeln, eine kleine neue Weltordnung. Wer da alles zum Abendessen, zum gemeinsamen Kochen, zum gemeinsamen Spülen zusammenkommt, ist faszinierend. Das kann ich mir außerhalb dieses "Spiels" gar nicht vorstellen.
DOMRADIO.DE: Sie haben auf Ihren Reisen mehrere Länder durchkreuzt: Norwegen, Dänemark, Deutschland, Italien, die Türkei, Griechenland, Kroatien, etc. Wie haben Sie das mit den Sprachbarrieren gemacht?
Paus: Sprachbarrieren gab es kaum. Ich spreche mehr oder weniger Englisch, ein bisschen Italienisch. Wenn ich mit Menschen kommunizieren wollte, die das auch wollten, ging das auch ohne Probleme. Wenn einer keine Lust zu reden hat, dann funktioniert auch das in jeder Sprache gleich.
DOMRADIO.DE: Die Sonntagspflicht zum Gottesdienstbesuch konnten Sie immer einhalten?
Paus: Ich finde das Wort "Pflicht" unmöglich. Ich nenne es lieber Sonntagswunsch. Ob ich den immer einhalten konnte? Sagen wir es so: Ich bin meinem Wunsch sehr regelmäßig nachgekommen. Und ich durfte auch in Santiago de Compostela den Gottesdienst am Hauptaltar mitfeiern. Das war ein tolles Erlebnis.
DOMRADIO.DE: Sie haben in den einzelnen Ländern auch sehr viele Kirchen und Kapellen besucht. Gibt es irgendwelche Länder, die für Sie hinsichtlich ihrer Bauwerke hervorstechen?
Paus: Der Frage muss ich etwas verschieben. Ich bin über die Kirche in Spanien ein wenig verärgert, weil fast alle Kirchen abgeschlossen sind. Es gibt jede Menge Kirchen, auf denen "Museum" draufsteht. Die Kirchen machen sich selbst zum Museum.
Hier sind so viele Menschen auf dem Weg. Überall sind gebastelte Kreuze, kleine Andenken oder Altäre eingerichtet. Es gibt tausende von Miniatur-Privat-Kirchlein, die die Menschen hier eingerichtet haben. Aber die Kirchen verlangen Eintritt. Als Pilger war das Minimum vier Euro. Viele Pilger sind dann nicht in die Kirchen hineingegangen. Die Reise kostet ja schon viel Geld.
Jüngst bin ich noch einen Umweg gelaufen, weil hier ein Heiligtum groß angekündigt war. Ich bin im Regen dahin gelaufen und es war abgeschlossen. Dann frage ich mich, warum ich hierhin geschickt werde. Soll ich mir die Steine anschauen? Kirchen sind zum Beten da, nicht zum Angucken. Und schon gar nicht, um sie nur von außen anzugucken. Es ist ein riesiges Ärgernis, dass Kirche sich nicht als Kirche, sondern als Museum präsentiert.
Ansonsten habe ich viele alte Steine gesehen. Ich stehe auch auf moderne Architektur und war ganz froh, wenn es mal moderne Kirchen gab. Die alten sind beeindruckend, vor allem die Kathedralen, die in jedem Reiseführer angepriesen werden. Aber letztendlich unterscheiden die sich nicht so gewaltig. Die sind alle bombastisch, schön und ordentlich.
Und die Kirchen, die weniger bekannt sind, setzen schon Moos an. Auch das macht mich säuerlich. Gerade an den Orten, an denen so viele Menschen auf der Suche sind. Denen kann man doch nicht die Tür vor der Nase zumachen. Die suchen andere Wege und finden sie dann auch.
DOMRADIO.DE: Sie haben die vielen Menschen erwähnt, die sie kennengelernt haben. Welche sind Ihnen besonders ans Herz gewachsen?
Paus: Der Kumpel Jesus war mir am wichtigsten. Kumpel kommt ja von Kumpan, der, mit dem ich das Brot brach. Mit dem hab ich jeden Tag gequatscht und gebetet.
Es gab aber natürlich auch einige Menschen. Der Casper hat mich lange begleitet und der ist mir ans Herz gewachsen. Ein Franzose, der sich jetzt noch gemeldet hat.
Es tauchen immer wieder plötzlich Menschen auf, mit denen man mal tolle Gespräche geführt hat. Ich will eigentlich keinen hervorheben, weil jede einzelne Begegnung einen Wert für sich hatte. Ich will nicht festmachen, wer den ersten Platz, den zweiten, den dritten erhält.
DOMRADIO.DE: Wie geht es bei Ihnen jetzt weiter?
Paus: Ich fahre nach Hause.
DOMRADIO.DE: Haben Sie Pläne für das nächste Jahr?
Paus: Natürlich werde ich irgendwelche Pläne entwickeln. Aber ob ich jetzt wandern gehe oder Fahrrad fahre oder sonst etwas mache, weiß ich noch nicht. Vielleicht eine ehrenamtliche Arbeit aufnehmen? Das steht alles noch aus.
Ich habe mich zusammengerissen und wollte unterwegs nicht darüber nachdenken. Aber jetzt muss ich den Weg verlassen. Ich werde nicht auf der Couch vor dem Fernseher landen, niemals. Ich weiß es nicht, aber ich muss es auch noch gar nicht wissen.
Das Interview führte Oliver Kelch.