HIMMELKLAR: Schwester Jordana Schmidt, Sie sind Dominikanerin von Bethanien, Kinderdorfmutter in der Nähe von Mönchengladbach. Wenn wir einmal Corona komplett ausklammern, wie läuft es normalerweise bei Ihnen so?
Schwester Jordana Schmidt (Dominikanerin von Bethanien): Normalerweise haben wir einen Alltag, der voll mit Terminen ist. Wir haben mindestens fünf Kinder in einer Gruppe, in den Schichtdienstgruppen sind es acht bis neun Kinder. Und dann gibt es Sport, Musik, Nachhilfe und Freunde treffen und alles mögliche. Für uns Erwachsene gibt es Besprechungstermine, sodass ich ganz viel unterwegs bin.
HIMMELKLAR: Und ganz naiv gefragt: Kinderdorf heißt, Sie leben mit den Kindern in einem Haushalt, richtig?
Schmidt: Genau. Wir leben hier in verschiedenen Gruppen und eine Gruppe ist eine Kinderdorf-Familie. Da lebt ein Ehepaar oder eine alleinstehende Frau mit Kindern zusammen, fest in dieser Lebensgemeinschaft. Das heißt, ich habe hier wirklich meinen Wohnort. Ich bin hier immer, es sei denn, ich habe mal frei oder fahre alleine in den Urlaub, aber ansonsten wohne ich hier zusammen mit den Kindern und habe keinen Dienst in dem Sinne.
HIMMELKLAR: Das heißt dann aber auch, dass Sie nicht so wirklich Feierabend haben?
Schmidt: Das ist dann wie bei allen Familien. Feierabend habe ich dann mit den Kindern. Es gibt mal stressigere Zeiten, wegen Corona ist es jetzt ruhiger und das ist ganz wunderbar.
HIMMELKLAR: Ich hätte jetzt eigentlich erwartet, dass Sie mehr Stress haben, wenn die Kinder nicht in die Schule gehen oder sonst nicht mehr aus dem Haus kommen.
Schmidt: Nein. Wir genießen das als Familienzeit. Das haben wir uns immer gewünscht, dass wir mal Zeiten haben, wo uns keine Termine stören. Wo wir nicht ständig in den Kalender gucken müssen, wer wo hin muss und wir Erwachsenen ständig auf Terminen sind, sondern wirklich Zeit mit den Kindern verbringen. Zeit zum Spielen, Zeit zum Aufräumen, Zeit um miteinander zu basteln oder backen und noch vieles mehr.
Das hat vielleicht immer mal zwischendurch an einem Wochenende funktioniert, aber das jetzt so geballt zu bekommen, das ist schon etwas Besonderes und das genießen wir sehr. Ich habe recht junge Kinder, die mögen sich gerne selbst beschäftigen. Die spielen ganz viel und werden nicht müde, neue Ideen zu erfinden. Sie genießen das, dass ich ständig da bin und nicht immer gucken müssen, wo ich gerade bin und wann ich wiederkomme. Es ist sehr ruhig und alle werden gleichbleibend ruhiger. Es ist sehr konfliktfrei, eigentlich wunderschön.
HIMMELKLAR: Wie bekommt man das hin? In den meisten Familien sieht es ja fast schon umgekehrt aus, dass sich die Leute auf die Füße treten, weil sie so viel Zeit zusammen verbringen müssen.
Schmidt: Naja, wir haben zum Glück viel Platz. Das ist schonmal ein großer Luxus. Wir haben einen ganz großen Garten und wir hatten ja fast nur schönes Wetter in der letzten Zeit, sodass wir ganz viel draußen waren. Wir haben Tiere, die versorgt werden müssen und gestreichelt werden können. Wir haben ein großes Haus und jedes Kind hat sein eigenes Zimmer auch als Rückzugsort. Wir haben einen festen Tagesrhythmus mit Pausen zwischendurch voneinander, die wir auch weiterhin einhalten, und so klappt das eigentlich total gut. Ich versuche immer wieder so einen Input hineinzugeben, so ein Highlight des Tages. Jetzt am Wochenende waren wir mal auf einem Ausflug. Das war etwas ganz Besonderes. Wir waren tatsächlich einen Tag am See und sind da gepaddelt, haben unsere Hängematte aufgehängt und Picknick mitgenommen. Das war ein richtiger Ferientag.
HIMMELKLAR: Muss man da irgendwie darauf achten, dass die Kinder die Kontaktbeschränkungen einhalten?
Schmidt: Wir haben keinen Kontakt, also noch nicht einmal mit unseren Nachbarn. Innerhalb des Kinderdorfes gilt: Wir halten Abstand voneinander, wir besuchen uns nicht gegenseitig, wir können uns aber frei auf dem Kinderdorf-Gelände bewegen. Auch unser Spielplatz war immer offen, weil er ja privat ist. Wir sprechen uns nur ab, wenn eine Gruppe oder eine Familie drauf ist, dann geht kein anderer dahin, sodass wir Abstand halten können. Das stört aber gerade gar nicht.
Also manchmal vermisse ich das natürlich schon, bei unseren Nachbarn mal ein Kind auszutauschen, zusammen Kaffee zu trinken oder zu grillen. Aber es ist im Großen und Ganzen sehr gut erträglich. Wir haben Pferde auf dem Gelände, da sind wir zwischendurch gewesen, wir haben ein eigenes Schwimmbad, da sind wir wirklich privilegiert vor allen anderen, die vielleicht in einer Etagenwohnung hocken.
HIMMELKLAR: Wie sieht es denn aus mit den Hygienebestimmungen? Mussten Sie da irgendetwas ändern?
Schmidt: Wir haben jetzt einen Desinfektionsspender bei uns im Haus und natürlich auch genug Mundschutze für die Kinder. Für die ganz Kleinen noch nicht, den muss man ja erst ab sechs Jahren tragen. Wir achten wirklich auf Händewaschen, dass es lange und ausreichend ist. Selbst die Kleinen singen jetzt schon ihre Lieder beim Händewaschen, damit es lange genug dauert. Da sind wir schon sehr genau.
HIMMELKLAR: Und neben dem Kinderdorfalltag haben Sie jetzt noch einen zweiten Job dazu bekommen. Sie sind jetzt Podcasterin gemeinsam mit dem Journalisten Andreas Öhler aus Berlin. "Die Nonne und der Journalist" heißt das Ganze. Man würde jetzt denken, dass das tatsächlich etwas ist, das zur Corona-Krise entstanden ist, aber die Geschichte dahinter ist eine längere, nicht wahr?
Schmidt: Genau, das ist schon über ein Jahr geplant. Ursprünglich war es gedacht als ein Interviewformat, wo wir beide auf Tour gehen und bekannte Persönlichkeiten interviewen. Dann hat Corona uns so ein bisschen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es entstand die Idee, einen Podcast zu machen und uns zu unterhalten über das, was wir erleben und unsere Sichtweisen darzustellen. Weil wir beide sehr unterschiedlich sind, ist das auch sehr interessant. Der Andreas sitzt in Berlin am Prenzlauer Berg in seiner Wohnung und ich hier. Das ist für mich immer wie so ein Gucken über eine Mauer und ein Rauskommen aus dieser Blase, in der ich lebe. Einmal etwas anderes hören. Das ist immer eine ganz besondere Zeit, wenn wir uns einmal wöchentlich unterhalten.
HIMMELKLAR: Worüber spricht man da?
Schmidt: Erst einmal tauschen wir uns aus, wie unsere Woche gewesen ist. Und meist kommen philosophischere Themen auf, zuletzt haben wir über den Himmel geredet und wie wir den Himmel sehen. Also einmal den ganz normalen Himmel über uns, den Sternenhimmel und den blauen Himmel, aber auch metaphorisch: Was bedeutet das Wort Himmel für uns? Religiös: Was ist für mich Himmel? Was ist für ihn Himmel? Da sind wir ganz gut drin, immer auf solche Themen zu kommen und unsere unterschiedlichen Sichtweisen auch einzubringen.
HIMMELKLAR: Der Untertitel ist "Mit Gott in der Krise." Was spielt das für eine Rolle?
Schmidt: Was heißt das für Dich und was heißt es für mich? Für den einen heißt es: "Gott ist gerade in der Krise". Und ich sage: "In der Krise ist Gott." Also unterschiedliche Konnotationen. Wie können wir unseren Glauben leben auch jetzt in dieser Bedrohung, die wir gerade spüren? Wir haben das vorher glaube ich noch nie so erlebt, dass wir existenziell bedroht werden durch etwas. Wir leben in einem sehr sicheren Land. Es gibt bestimmt Menschen, die so etwas erlebt haben, aber im Großen und Ganzen ist unsere Gesellschaft ja relativ sicher. Plötzlich wird das total verunsichert. Was macht das mit unserem Glauben und unserer Beziehung zu Gott? Die Kirchen sind zu und die Religionsausübung wird auf den privaten Raum verschoben oder eben auf den Raum des Internets. Das ist interessant einfach mal zu gucken, was passiert denn da gerade.
HIMMELKLAR: Was haben Sie aus dem Austausch mit den Kollegen mitgenommen? Was haben Sie inzwischen gelernt?
Schmidt: Es gibt immer verschiedene Sichtweisen. Ich genieße es, dass er als Journalist einen ganz anderen Horizont hat. Er hinterfragt Dinge anders, liest und forscht nach. Das finde ich total bereichernd und klasse. Ich kann auch meine eigenen Fragen stellen. Einfach im Gespräch zu sein. Mich interessieren einfach Menschen, die einen anderen Lebensentwurf haben. Wir kennen uns wirklich nur über diesen Podcast, über dieses Mikrofon und über das, was wir voneinander hören. Und das ist schon sehr interessant welche Nähe da doch entsteht. Wir haben jetzt die vierte Folge gemacht und es ist schon vertrauter geworden.
HIMMELKLAR: Es ist ja auch eine Begleitung durch die Krise für die Menschen, die zuhören. Ich glaube, das spielt auch noch einmal eine Rolle, oder?
Schmidt: Das wäre natürlich unser Wunsch, deswegen machen wir das. Wir machen das jetzt nicht, weil wir gerade Langeweile haben und uns unterhalten wollen. Das mache ich mit meinen Freundinnen privat, wobei das natürlich ein schöner Nebeneffekt für mich ist. Ich wünsche mir natürlich, dass Menschen durch die Krise begleitet werden, eine andere Idee vielleicht noch einmal bekommen können, auch durch uns aus dem Fenster gucken können, wenn man andere Geschichten hört. Ihr Leben wird dadurch vielleicht ein bisschen lebendiger und bunter, denn nicht alle Menschen haben das Glück, in so einem großen Haus zu wohnen oder mit so einer großen Lebensgemeinschaft zusammen zu sein. Wir möchten sie an unserem Leben teilhaben lassen und so entsteht auch Wirklichkeit.
HIMMELKLAR: Was bringt Ihnen Hoffnung im Moment?
Schmidt: Das ist ja unser bethanischer Glaubenssatz: Hoffen wider alle Hoffnung. Ich hoffe, dass diese Krise etwas Gutes bringen wird und dass wir lernen, Werte wieder neu zu schätzen. Wie schön Gemeinschaft miteinander ist, dass wir versorgt sind, dass wir ein Gesundheitssystem haben, das uns trägt. Das ist meine Hoffnung, dass sich da etwas ändert in der Gesellschaft.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.
Hinweis:
Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch.