Trotz Pflichtverletzungen nimmt Papst Franziskus den Rücktritt des Hamburger Erzbischofs Stefan Heße (55) nicht an. Dies gab der Vatikan am Mittwoch über die Apostolische Nuntiatur in Berlin bekannt. Heße, ehemaliger Personalchef und Generalvikar im Erzbistum Köln, hatte nach der Vorstellung des Kölner Missbrauchsgutachtens am 18. März seine Amtsgeschäfte ruhen lassen und dem Papst seinen sofortigen Rücktritt angeboten; darüber hat der Vatikan nun entschieden. Damit bleibt Heße, der seit 2015 Erzbischof von Hamburg ist, trotz Kritik an ihm weiter im Amt.
Das Gutachten der Anwaltskanzlei Gercke Wollschläger wirft Heße in seiner Kölner Zeit elf Pflichtverletzungen im Umgang mit Fällen von sexualisierter Gewalt vor. Konkret soll er versäumt haben, kirchliche Verfahren zur Aufklärung von Missbrauchsvorwürfen einzuleiten und mehrere Fälle nicht an Staatsanwaltschaft oder Vatikan gemeldet haben.
Lange Wartezeit
Nach wachsendem öffentlichen Druck hatte der Erzbischof, der auch Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz ist, bereits im November vergangenen Jahres den Vatikan über die Vorwürfe gegen seine Person informiert. Sein Rücktrittsangebot vom 18. März hatte Heße damit begründet, Schaden vom Amt des Erzbischofs und vom Erzbistum Hamburg abwenden zu wollen. Zugleich hatte er betont, stets nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt und sich nie an Vertuschung beteiligt zu haben. Dennoch habe er Fehler gemacht.
Die Vorgänge rund um die Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln waren Anfang Juni Gegenstand einer kircheninternen Überprüfung. Dabei hatten die beiden vom Papst entsandten Bischöfe auch mit Erzbischof Heße gesprochen.
Bischofskonferenz begrüßt Papst-Entscheidung
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, hat die Entscheidung des Papstes begrüßt, das Rücktrittsgesuch des Hamburger Erzbischofs Stefan Heße nicht anzunehmen. "Mit der heutigen Entscheidung des Papstes endet für das Erzbistum Hamburg und für Erzbischof Stefan Heße eine schwierige Zeit der Ungewissheit. Das ist gut so, und dafür bin ich dankbar", erklärte Bätzing am Mittwoch in Bonn.
Der Limburger Bischof wünschte Heße und dem Erzbistum Hamburg "einen guten Neustart in gemeinsamer Verantwortung, der von gegenseitigem Vertrauen getragen ist". Bei möglichen Kritikern warb Bätzing "um das Zutrauen, dass die Entscheidung des Papstes aufgrund von Beratung wohl überlegt und begründet ist".
Bätzings Stellvertreter, der Osnabrücker Bischof Fanz-Josef Bode, erklärte, er sei froh, dass es "nach reiflicher Prüfung" nun eine Entscheidung gebe. Er sei sicher, dass Heße sie "demütig und entschlossen" annehmen werde, sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Kritik von Laienvertretern
Die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Karin Kortmann, erklärte in Bonn, wenn aus Fehlentscheidungen keine persönlichen Konsequenzen folgten, sei das ein "Schlag ins Gesicht für Betroffene von sexueller Gewalt". ZdK-Vizepräsidentin Claudia Lücking-Michel führte weiter aus: "Ich bin schockiert darüber, dass im Vatikan offenbar weiter verleugnet wird, dass sichtbare und spürbare Veränderungen in der Kirche nötig sind, um das verloren gegangene Vertrauen wieder zu erlangen." Die Katholikinnen und Katholiken in Deutschland hätten andere Erfahrungen mit Verantwortungsübernahme im gesellschaftlichen und politischen Kontext. Dass die Kirche hier so verfahre, sei sehr irritierend.
Die Mitteilung der Apostolischen Nuntiatur im Wortlaut:
"Der Erzbischof von Hamburg, S.E. Mons. Stefan Heße, hat mit Datum vom 19. März 2021, sein Amt in die Hände des Heiligen Vaters zurückgelegt. Er hat diesen Schritt begründet mit dem Ergebnis der am 18. März 2021 veröffentlichten Studie "Pflichtverletzungen von Diözesanverantwortlichen des Erzbistums Köln im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und Schutzbefohlenen durch Kleriker oder sonstige pastorale Mitarbeitende des Erzbistums Köln im Zeitraum von 1975 bis 2018". In einem Abschnitt des von der Studie erfassten Zeitraums war der Erzbischof sukzessive Leiter der Personalabteilung, Generalvikar und Diözesanadministrator des Erzbistums Köln.
Das Wirken S.E. Mons. Heßes ist im Zusammenhang der vom 7. bis 14. Juni 2021 durchgeführten Apostolischen Visitation des Erzbistums Köln, durch S.Em. Anders Kardinal Arborelius, Bischof von Stockholm, und S.E. Mons. Johannes van den Hende, Bischof von Rotterdam, behandelt worden.
Nach eingehender Prüfung der eingegangenen Dokumente hat der Heilige Stuhl für den fraglichen Zeitraum Mängel in der Organisation und Arbeitsweise des Erzbischöflichen Generalvikariates sowie persönliche Verfahrensfehler Mons. Heßes festgestellt. Die Untersuchung hat jedoch nicht gezeigt, dass diese mit der Absicht begangen wurden, Fälle sexuellen Missbrauchs zu vertuschen. Das Grundproblem bestand, im größeren Kontext der Verwaltung der Erzdiözese, im Mangel an Aufmerksamkeit und Sensibilität den von Missbrauch Betroffenen gegenüber.
In Anbetracht der Tatsache, dass der Erzbischof seine in der Vergangenheit begangenen Fehler in Demut anerkannt und sein Amt zur Verfügung gestellt hat, hat der Heilige Vater, nach Abwägung der über die Visitatoren und durch die einbezogenen Dikasterien der Römischen Kurie zu ihm gelangten Bewertungen, entschieden, den Amtsverzicht S.E. Mons. Heßes nicht anzunehmen, sondern ihn zu bitten, seine Sendung als Erzbischof von Hamburg im Geist der Versöhnung und des Dienstes an Gott und den seiner Hirtensorge anvertrauten Gläubigen fortzuführen. Dazu erbittet der Heilige Vater Erzbischof Heße und dem Erzbistum Hamburg, auf die Fürbitte der seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria und des Heiligen Ansgar, Gottes reichen Segen."