Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert den Text seiner am Donnerstag in Freiburg als Video veröffentlichten Erklärung:
Sehr geehrte Betroffene und Angehörige, sehr geehrte Damen und Herrn des Betroffenenbeirats, liebe Katholikinnen und Katholiken,
bitte erlauben Sie mir, dass ich mich in dieser Form an Sie wende.
Tag für Tag beschäftigt mich die Tatsache des sexuellen Missbrauchs in unserer Kirche und mein damaliger persönlicher Umgang als Personalreferent und Erzbischof mit den Betroffenen und bei der Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt - vor allem inwieweit ich Notwendiges unterlassen und Fehler begangen habe.
Lange, zu lange Zeit haben mich in meiner Haltung und in meinem Handeln viel zu sehr das Wohl der katholischen Kirche und viel zu wenig die Anteilnahme am Leid der Betroffenen und die Fürsorge für die Opfer geleitet.
Heute weiß ich, dass ich im Umgang mit meinen Mitbrüdern, die ihnen anvertraute Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene - auf welche Weise auch immer - missbraucht haben, zu naiv und zu arglos war. Ich habe den Aussagen und Versprechungen der Täter nur allzu gerne geglaubt und wollte denen, die sich schuldig gemacht hatten, ihr Verhalten im Gespräch mit mir bereuten und mir Umkehr versprachen, eine zweite Chance geben.
Ich habe das große Ausmaß und vor allem die Folgen für die Betroffenen der Verbrechen sexualisierter Gewalt und des Missbrauchs nicht erfasst und der Wahrheit nicht in die Augen geschaut.
Entsprechend der kirchlichen Tradition und einer überkommenen Praxis war auch mein persönliches Bemühen, die Fälle sexualisierter Gewalt und Missbrauchs intern zu behandeln.
Dazu kam teilweise die nachvollziehbare Scheu von Betroffenen vor der Öffentlichkeit. Umso weniger habe ich dazu animiert, diesen Schritt in die Öffentlichkeit zu gehen - auch wenn ich gefragt habe, ob sie Anzeige erstatten möchten.
Ich habe mit meinem damaligen Verhalten und Handeln, Dokumentieren und Entscheiden gravierende Fehler gemacht und die Gefahren - auch von erneutem Missbrauch - verkannt.
Das bereue ich von ganzem Herzen. Es tut mir aufrichtig leid. Immer im Wissen, dass dies all die Entscheidungen nicht rückgängig machen kann und, dass dies an den schrecklichen Erfahrungen der Betroffenen und ihren Familien, die ihr Leben lang darunter leiden, nichts ändert.
Ich bitte Sie, die Sie sexualisierte Gewalt und jegliche Form von Missbrauch erfahren haben, um Verzeihung für das zusätzliche Leid, dass Ihnen mein Verhalten bereitet hat. Ich weiß, dass ich nicht erwarten kann, dass Sie meine Entschuldigung annehmen. Auch Sie, die Eltern, Partnerinnen, Partner und die Kinder der Betroffenen bitte ich um Entschuldigung.
Sie, die Katholikinnen und Katholiken, bitte ich um Vergebung für den Schaden, den ich durch mein Handeln unserer Kirche zugefügt habe. Es schmerzt mich, dass ich so dazu beigetragen habe, dass Menschen sich ihrer Kirche schämen, ihr Vertrauen in sie verlieren und allzu viele ihr den Rücken kehren. Ich weiß, dass alles, was ich jetzt sage und tue, immer unzureichend bleiben wird.
Ja, ich habe schwerwiegende Fehler gemacht. Als mir dies bewusst wurde, habe ich mich bemüht, die Konsequenzen zu ziehen. Im Frühjahr
2010 war die Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Freiburg - erstmals war eine größere Zahl von Missbrauchsfällen in unserer Kirche bekannt geworden. Es waren dramatische Tage. Mit aller Wucht habe ich erfahren und mit Erschrecken gemerkt, wo ich als Person und wo wir als Kirche versagt haben.
Deshalb habe ich meine Kräfte als Vorsitzender eingesetzt, um gegenzusteuern und mit vielen Bischöfen - aber auch gegen so manche Bischöfe - Veränderungen herbeizuführen. Wir haben damals den ersten Maßnahmenplan entwickelt und das Amt des Missbrauchsbeauftragten eingeführt, das bis heute Bestand hat. Und selbst diese ersten Schritte sind uns damals nicht leichtgefallen.
Ich bin dann auch nach Rom gegangen, habe mit dem Papst gesprochen und - für viele damals überraschend - in Rom auf einer Pressekonferenz zum ersten Mal öffentlich um Vergebung für mein Verhalten und Handeln gebeten. Aus heutiger Sicht sage ich: Es waren erste Schritte. Aber es war nicht genug. Aufklärung und Aufarbeitung waren nicht ausreichend und es ging und geht bis heute zu schleppend voran.
Umso mehr verspreche ich, dass ich im Wissen um meine Verantwortung weiterhin bei der Aufarbeitung - soweit mir dies möglich ist - mitwirken und mein Wissen einbringen werde. Aus diesem Grund habe ich um Einblick in die Unterlagen der laufenden Untersuchung, um eine direkte Auseinandersetzung, sowie ein persönliches Gespräch mit den Verantwortlichen im Erzbistum Freiburg gebeten - leider allzu lange ohne Erfolg.
Um einer umfassenden Aufklärung willen bin ich verpflichtet, noch einmal darauf hinzuweisen, dass ich - sowohl als Personalreferent als auch als Erzbischof - nie allein gehandelt und entschieden habe.
Sowohl als Teil- wie auch Letztverantwortlicher der Leitung der Erzdiözese war ich eingebunden in ein System, das im Umgang mit sexualisierter Gewalt, von einer gewachsenen und einvernehmlich getragenen Kultur des Schweigens und der Verschwiegenheit nach außen, des Korpsgeistes und des Selbstschutzes geprägt war, an der - ich sage es hier noch einmal - auch ich meinen persönlichen Anteil hatte und für die ich moralische Verantwortung trage. Ich habe mich stets mit meinen zuständigen Mitbrüdern - Erzbischof, Generalvikaren, Offizialen, Weihbischöfen, Domkapitularen - ausgetauscht und beraten und sie in die Entscheidungen eingebunden. Dennoch bin ich persönlich für mein Verhalten verantwortlich und bekenne mich ausdrücklich zu meiner Schuld.
Mit meiner Erklärung ist der Wunsch nach einer umfassenden, systematischen und systemischen Aufklärung und Aufarbeitung verbunden, zu der auch ich meinen Beitrag leisten möchte.
Es ist eine drückende Last meiner Generation, dass nach dem Zweiten Weltkrieg das Leid und die Wunden der Kriegskinder zu wenig im Blick waren und sie damit allein gelassen wurden. Umso mehr schmerzt mich und ich leide darunter, dass ich den Missbrauchsopfern und ihren Verletzungen nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt habe und ihnen nicht mit mehr Empathie begegnet bin. Es ist mir von enormer Wichtigkeit, dass Sie, die Sie so viel Leid erdulden mussten, das Gehör, die Anerkennung und die Unterstützung durch die Kirche finden, die Ihnen gerecht wird und die sie benötigen.
Dass Sie mir zuhören, dafür danke ich Ihnen.
Freiburg, den 31.08.2022
Erzbischof em. Dr. Robert Zollitsch