Er ist ein Schreckgespenst für viele in der katholischen Kirche. Sobald der Name Viganò irgendwo auftaucht, wird die Stirn gerunzelt. Er erregt Aufsehen mit Verschwörungsmythen, dass das Corona-Virus genutzt würde eine Weltregierung zu erschaffen, und mit einem strikten Anti-Papst/Pro-Trump-Kurs. Der Erzbischof und frühere Nuntius in den USA ist abgedriftet in eine ultrakonservative Szene, die sich von Fakten nicht mehr überzeugen lässt.
Dabei hätte er gerade im McCarrick-Verfahren eine ganz andere Rolle spielen können. “Er hätte der Held werden können“, resümiert der Rom-Kenner Christopher Lamb, der sich im Buch “The Outsider“ intensiv mit Franziskus‘ Gegnern und der Rolle Viganòs befasst hat.
Die Vatikan-Ermittlungen gegen den früheren Kardinal McCarrick sind durch einen aufsehenerregenden Brief Viganòs 2018 ans Licht gekommen. Damals wurde Viganò kritisiert und auch verspottet. Dabei wurden zumindest einige seiner Anschuldigungen nun durch den McCarrick-Bericht bestätigt. Hatte Viganò im Endeffekt also Recht, auch mit seiner Rücktrittsforderung an Papst Franziskus?
Die Vorgeschichte
Eigentlich war Carlo Maria Viganò mal ein angesehener Mann im Vatikan. Seit 1973 wirkte er im diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls, arbeitete wechselweise in Auslandsvertretungen wie dem Irak und Großbritannien, und im Vatikanischen Staatssekretariat. Dort kletterte er die Karriereleiter hoch und wurde 1998 zum Generalsekretär des Governatorats der Vatikanstadt ernannt, also zum Verwaltungschef der Stadt “Vatikan“. Dort machte er sich einen Ruf als Finanz-Aufräumer, was beim damaligen Kardinalstaatssekretär Bertone nicht gut ankam. Dies belegten später geleakte Dokumente.
Auf einmal hieß es: Viganò wird versetzt nach Washington, als Papst-Botschafter – Nuntius – für die USA. Schnell ging die Debatte los. Ist das eine Strafversetzung? Oder soll er die US-Kirche aufräumen? Die US-Nuntiatur gehört zu den wichtigsten in der Welt, von einem “Absägen“ kann man also nicht direkt sprechen. Trotzdem: Die wahren Hintergründe für diesen Schritt bleiben unklar.
Viganò und McCarrick
In seiner Amtszeit als Nuntius (2011-2016) habe Viganò nun festgestellt, dass es einiges an Missständen und Gerüchten rund um den Washingtoner Kardinal McCarrick gab. 2006 war dieser aus Altersgründen mit 75 Jahren zurückgetreten. Schlagzeilen machte er aber auch danach weiter. Der neue Vatikanbericht bestätigt: Schon vor seiner Ernennung zum Erzbischof der US-Hauptstadt gab es Gerüchte über McCarricks ausschweifendes Sexualleben. Aus den USA wurde Papst Johannes Paul II. abgeraten ihn zu ernennen. Die Ernennung erfolgte dennoch, McCarrick gewann an Einfluss in der Kurie und in Washington.
Unter Benedikt XVI. kam es dann zum Rücktritt und der Aufforderung, ein stilles Leben abseits der Öffentlichkeit zu führen. McCarrick hielt sich nicht daran, auch nicht nach dem Amtsantritt Papst Franziskus‘, da diese Anweisung nie öffentlich gemacht wurde.
Nun kommt Erzbischof Viganò ins Spiel. Dem Vatikan teilt er – nach eigenen Angaben – mehrmals mit, dass McCarrick immer noch öffentlich auftrete, und sich nicht an die Vatikananweisungen halte. Nach seiner Darstellung habe er die Kurienleitung – inklusive Papst Franziskus – mehrfach darüber informiert, aber nichts habe sich getan.
Ein offener Brief macht Schlagzeilen
Im August 2018 dann der Paukenschlag: In einem elfseitigen Brief macht Viganò seine Anschuldigungen öffentlich, und fordert Papst Franziskus sowie führende Kurienkardinäle zum Rücktritt auf, weil sie – nach seiner Auffassung – nicht gegen McCarrick vorgegangen seien. Papst Franziskus hat diese Nachricht auf dem Rückweg vom Weltfamilientreffen in Irland erreicht. Bei einer seiner improvisierten Pressekonferenzen im Flugzeug wurde er auf Viganòs Brief angesprochen und nach Konsequenzen gefragt. Franziskus antwortete nicht direkt darauf, sondern gab den Journalisten zu bedenken, dass sie sich ein eigenes Bild machen und den Inhalten des Briefes nachforschen sollen.
In der Öffentlichkeit und den Medien machte sich schnell ein Bild deutlich: Der in seiner Eitelkeit gekränkte Ex-Nuntius Viganò will gegen den Papst vorgehen, und greift sich dafür alle Vorwürfe, die sein Ziel unterstützen; zumal er sich in seinem Brief nicht nur auf den Fall McCarrick bezieht, sondern auch von “homosexuellen Seilschaften“ im Vatikan spricht
Warum das alles?
DOMRADIO.DE-Redakteur Jan Hendrik Stens hatte sich damals intensiv mit Viganòs Beweggründen befasst: “Einige Beobachter sehen eine Art Rachefeldzug Viganòs gegen Franziskus, weil dieser ihn nach seiner Emeritierung nicht zum Kardinal gemacht hat. Ferner wirft ihm Viganò ja auch vor, bei den Bischofsernennungen in den USA an der Nuntiatur vorbei agiert zu haben, was ungewöhnlich ist.“
Als Konsequenz des Schreibens wurde im Herbst 2018 eine Kommission eingesetzt, die den Fall McCarrick und das Vorgehen des Vatikans untersuchen sollte. Deren Bericht wurde in dieser Woche vorgestellt. Wer Viganòs Thesen damals leichtfertig abgetan hat, der muss jetzt zumindest zum Teil sein Urteil ändern. Der Bericht bestätigt, dass die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. vom Fall McCarrick wussten, zumindest zeitweise aber trotzdem nichts unternommen haben. Ebendies gilt auch für Kurienchefs, wie die ehemaligen vatikanischen Staatsekretäre Sodano und Bertone.
Was wusste Franziskus?
Was nicht direkt bestätigt werden konnte, ist die Rolle von Papst Franziskus. Der Bericht spricht eher davon, dass das Thema zu Beginn seiner Amtszeit keine Rolle gespielt habe, da man im Vatikan davon ausging die Causa McCarrick habe sich mit Benedikts Anweisung zum zurückgezogenen Leben erledigt.
Franziskus schien wohl nie jemand etwas anderes gesagt zu haben, erklärt Bernd Hagenkord, bis 2019 Chef der deutschen Abteilung von Radio Vatikan, im Interview: “Es ist bewiesen, dass Papst Franziskus selber erst 2017, also vier Jahre nach seiner Wahl, von der ganzen Geschichte erfuhr, weil alle im Vatikan glaubten, das sei unter Benedikt XVI. schon längst behandelt worden.“
Die Rolle Viganòs
War die Kritik an Viganò 2018 also berechtigt oder nicht? Hätte er seinen Ruf retten können, wenn die Medien ihn nicht zum großen Papst-Widersacher stilisiert hätten? Der britische Vatikan-Journalist Christopher Lamb sieht die Verantwortung beim Ex-Diplomaten alleine, der anstelle von Kooperation und Aufklärung den Skandal genutzt habe, “um eine ideologische Schlacht mit Papst Franziskus anzuzetteln.“ Das sagte er gegenüber DOMRADIO.DE.
Viganò hätte die Gelegenheit gehabt, seine Kraft auf die Ermittlungen und die Lösung der Krise zu richten, war aber mehr auf seine eigene Selbstdarstellung fixiert, so der Vatikan-Korrespondent des britischen Magazins “The Tablet“: “Er hatte die Gelegenheit über McCarrick zu ermitteln, und hervorzuheben, wie er die Instruktionen des Heiligen Stuhls ignoriert hat – aber beides ist nicht geschehen. 2018 hat Viganò versucht den Missbrauchsskandal als Waffe zu nutzen, um Franziskus zum Rücktritt zu bewegen, dabei hat er eine Reihe von falschen und irreführenden Behauptungen aufgestellt.“
Viganò und Verschwörungsmythen
Seitdem habe sich Viganò – gekränkt in seiner Eitelkeit – immer mehr in die Ecke der Papstfeinde und Verschwörungstheoretiker begeben, spricht von einer Weltverschwörung und dem großen Kampf Gut gegen Böse, bei dem der große Held Donald Trump heißt. Lamb: “Leider glauben seine Anhänger Viganò inzwischen jedes Wort, egal wie die Fakten aussehen. Verschwörungsmythen infizieren Teile der Kirche. Den Kampf gegen diese Fehlinformationen sollten Katholiken und Christen überall sehr ernst nehmen.“