DOMRADIO.DE: "Das Fleisch auf den Grill legen" ist ein Sprachbild, über das sich Laien vielleicht wundern mögen. Ist diese bildhafte Sprache im Brief des Papstes tatsächlich Jesuitensprache?
Prof. Dr. Godehard Brüntrup SJ (Jesuitenpater und Philosophieprofessor): Das ist insofern Jesuitensprache, als der Gründer des Jesuitenordens sich manchmal auch deutlicher und drastischer Bilder bedient. Aber es ist vor allen Dingen deshalb Jesuitensprache, weil sie den Einzelnen und seine existenzielle Entscheidung ins Zentrum rückt.
Sie sind gar nicht so sehr systemisch, sondern gehen zunächst einmal wie bei den Exerzitien des Heiligen Ignatius davon aus, dass der Einzelne umkehren muss, sich ändern muss und von daher alles andere wächst. In diesem Sinne ist der Brief existenziell und persönlich.
DOMRADIO.DE: Gibt es in Franziskus' Brief Formulierungen, über die Sie auch erst mal nachdenken mussten?
Brüntrup: Ich weiß nicht genau, was mit diesem "Fleisch" gemeint ist, das auf den Grill muss. Ich glaube, was er damit sagen will, ist, dass es nicht nur luftige, leere, leicht gesprochene Worte und Sonntagspredigten sein müssen, sondern dass jetzt die Zeit gekommen ist, wo die Veränderungen auch wehtun. Das meint er wohl damit.
Manchmal denkt man, er kommt auch vielleicht aus einem anderen sprachlichen Kulturraum – nicht nur jesuitischen, sondern vielleicht auch aus seiner Muttersprache, die wir nicht unmittelbar gleich sofort so ins Deutsche übersetzen können.
DOMRADIO.DE: Das eine sind die Bilder, das andere ist, dass der Brief insgesamt viel Raum für Interpretationen bietet. Ist diese offene Ausrichtung denn auch ein typisches Merkmal für das Denken der Jesuiten?
Brüntrup: Ich denke, das typische Merkmal ist hier der Gedanke der Exerzitien des Heiligen Ignatius, dem spirituellen Kern der Jesuiten, dass alle Veränderung damit anfängt, dass man sich selber auf seine eigenen Fehler und Sünden besinnt und die offen ansieht. Das lobt der Papst ja bei Kardinal Marx, dass er das tut, dass er zu seinen Fehlern steht und dass er dafür einsteht, was er auch zu verantworten hat und daraus Konsequenzen zieht und eine Entscheidung fällt.
Und das ist der zweite Punkt bei den Exerzitien. Nachdem man seine Sünden betrachtet hat, soll man eine Entscheidung fällen. Das hat der Kardinal getan und es ist vielleicht ein bisschen schade, dass der Papst die Entscheidung gleich wieder zurücknimmt.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus betont in seinem Brief auch ausdrücklich die Brüderlichkeit. Er spricht Kardinal Marx mit "Lieber Bruder" an. Das empfinden auch einige als Bekräftigung allerdings genau des Systems, das viele als wesentliche Ursache für die Missstände in der katholischen Kirche sehen. Wie empfinden Sie diese Anrede?
Brüntrup: Die Anrede empfinde ich als unproblematisch. Was ich nicht als unproblematisch empfinde, ist, dass es tatsächlich männerbündische Strukturen gibt in der Kirche. Aber wie soll er ihn denn sonst anreden? Er kann ihn ja nicht "Schwester" nennen. Also in diesem Falle halte ich das für unproblematisch. Man sollte das jetzt nicht überfrachten mit der anderen, sehr berechtigten Frage nach der Vorherrschaft männerbündischer Strukturen in der Kirche.
DOMRADIO.DE: Schon das Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx war ein öffentlicher Brief. Die Ablehnung des Besuchs von Papst Franziskus jetzt auch. Das ist eigentlich unüblich. Was bedeutet das in Ihren Augen?
Brüntrup: Mich hat das etwas erstaunt. Gerade da jetzt so schnell die Antwort kam, dass er das nicht annehmen will. Ob man das nicht dann auch eher hätte im Stillen machen können? Ich dachte und denke immer noch, dass das öffentliche Zeichen des Rücktritts eines so bedeutenden Kirchenführers, eines Kardinals, der zudem ehemaliger Vorsitzender der Bischofskonferenz ist, in der Öffentlichkeit hätte stehen bleiben und wirken sollen.
Ich war eher enttäuscht, dass der Papst es zurücknimmt, weil er damit der Entscheidung, auch der existenziellen Entscheidung ein bisschen ihre Wucht und damit auch ihre Wirksamkeit nimmt.
DOMRADIO.DE: Wie ordnen Sie die zeitliche Dimension ein? Sie haben es ja gerade auch schon gesagt. Das war eine sehr schnelle Antwort.
Brüntrup: Erstaunlich, weil der Vatikan normalerweise nicht so schnell ist in solchen Dingen. Das zeigt, dass das offensichtlich auch eingeschlagen hat und im Vatikan Kräfte sofort gebunden hat. Man hat gesehen, hier passiert etwas Entscheidendes und Wichtiges. Aber ich glaube, mit der Nichtannahme hat man versucht, das Ganze wieder in das System einzufangen, einzubetten und hat leider das Zeichen damit ein bisschen geschwächt.
Das Interview führte Dagmar Peters.