DOMRADIO.DE: Laut einer Studie sind nur noch 43 Prozent der Menschen in Deutschland unter 29 Jahren christlich und viele davon glauben nicht an Gott. Wie besorgt machen Sie solche Zahlen?
Regamy Thillainathan (Leiter des Priesterseminars im Erzbistum Köln): Die Sorgen sind da. Aber es überrascht mich tatsächlich nicht, weil wir hier mit einer Entwicklung zu tun haben, die schon seit einiger Zeit vorauszusehen war und sich auch schon angebahnt hat.
Ich kann die jungen Menschen verstehen, weil wir in den letzten Jahren auch als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche feststellen, dass wir zu sehr mit unseren eigenen strukturellen Fragen beschäftigt sind. Oft genug wäre es notwendig, dort zu sein, wo die Menschen uns brauchen.
Die jungen Menschen erleben uns tatsächlich nicht mehr als relevant in ihrem eigenen Leben. Dass dann am Ende junge Menschen unter 29 Jahren sagen "Ich kann damit nichts anfangen, wofür diese Kirchen, evangelisch und katholisch, stehen", kann ich schon verstehen.
DOMRADIO.DE: Es heißt in der Studie, dass die jungen Menschen keine unreligiösen Menschen sind, aber dass sie eben nicht erreicht werden. Wie könnte man das denn ändern?
Thillainathan: Ich glaube, dass wir an einer entscheidenden Herausforderung angekommen sind, wo wir uns die Frage stellen müssen, was uns jetzt wichtiger ist. Ist es uns wichtiger, weiterhin Gestalt und Struktur und viel Liebgewonnenes zu erhalten oder uns auf die wesentlichen Kerngeschäfte der Kirche zu konzentrieren, die da Verkündigung und Diakonie wären.
Ich bin mir nicht so sicher, ob wir soweit sind, in unseren Kirchen tatsächlich diese entscheidende Frage auch so zu beantworten, dass die Relevanz für jungen Menschen greifbar wird.
DOMRADIO.DE: Sie leiten das Priesterseminar im Erzbistum Köln, waren davor für die Berufungspastoral zuständig. Wer entscheidet sich denn in dieser Lage noch für einen Priesterberuf oder einen geistlichen Beruf?
Thillainathan: Für die geistlichen Berufe, die pastoralen Berufe entscheiden sich tatsächlich in den vergangenen Jahren oft die Menschen, die vor Ort Kirche erfahren haben. Keine Theoretikerinnen und Theoretiker, sondern Menschen, die aus der Jugendarbeit kommen. Menschen, die in Verbandsarbeit auch wirksame Arbeiten und Aufgaben wahrgenommen haben. Die sagen dann, dass sie erfahren möchten, ob Gott genau das mit ihnen vor hat und ob sie das, was sie schon ehrenamtlich gemacht haben und wobei sie Erfüllung gefunden haben, wo sie Menschen begleitet haben, zu ihrem Lebensinhalt machen. Diese Menschen gibt es.
Aber die Möglichkeiten, wo junge Menschen genau diese Erfahrung machen können, nämlich dass die Kirche vor Ort lebt und dass diese Kirche vor Ort dadurch lebt, dass sie da sind und dieser Kirche ein Gesicht geben, werden tatsächlich weniger. Da sollten wir uns schon Sorgen machen.
DOMRADIO.DE: An diesem Sonntag ist der "Weltgebetstag um geistliche Berufungen". Das Motto lautet "In allem Du". Was hat es damit auf sich?
Thillainathan: "In allem Du" kann in zwei Richtungen gesehen werden. Es ist natürlich erst einmal die Einladung in all dem, was uns im Leben begegnet, Gott zu entdecken, der sich auf Augenhöhe begeben hat, der zu einem Du für uns Menschen geworden ist.
Andererseits kann man das auch als Einladung verstehen, zu entdecken, dass in allem, worum es hier momentan in der Studie auch geht, wenn wir die Sorgen ansprechen, die wir haben, dass junge Menschen auf dem Weg ihres Lebens gar keine Sinn-Entwürfe von uns als Kirche erfahren, dass in allem auch du gefragt bist, damit sich das ändert.
Ich sehe es als eine großartige Möglichkeit, diese beiden Fragestellungen eben "In allem Du" zu entdecken.
DOMRADIO.DE: Wie werben Sie hier im Erzbistum für den Priesterberuf? Was sagen Sie Menschen, die zwar eine Berufung spüren, aber angesichts der aktuellen Krise, in der sich die Kirche befindet, noch zögern oder zweifeln?
Thillainathan: Die erste Werbung und die beste Werbung ist immer, die persönlichen Beziehungsebenen herzustellen. Da, wo junge Menschen Seelsorgerinnen und Seelsorger entdecken, die in ihren Lebensentwürfen Freude und Erfüllung finden, ist das ansteckend.
Das Zweite ist, wenn wir um Berufungen, überhaupt um kirchliche Berufe werben, dann müssen wir eines ganz klar benennen: Die Kirche in ihrer Gestalt, so wie sie sich uns darstellt, wird sich in den nächsten Jahren als Baustelle erweisen.
Wenn jemand heutzutage Lust hat, sich für die Kirche senden zu lassen, für die Kirche zu arbeiten, dann sollte er Qualitäten mitbringen, die eines Bauarbeiter, einer Bauarbeiterin würdig sind. Anpacken, Ärmel hochkrempeln und auch sich im übertragenen Sinne in den Schmutz des Lebens und auch den Schmutz der Struktur der Kirche hinab zu begeben.
Aber ich bin überzeugt, und das ist meine persönliche Erfahrung, es lohnt sich. Am Ende des Tages hat man, wenn man auf der Baustelle gearbeitet hat, aus eigener Erfahrung die Genugtuung "Heute habe ich was geschafft, was geschaffen." Wenn man etwas schaffen will, muss man manchmal auch etwas niederreißen.
Das Interview führte Tobias Fricke.