KNA: Ihre Ordination zur ersten palästinensischen Pastorin hat ein großes Echo bis hinein in israelische Medien gefunden. Wie erklären Sie sich das?
Sally Azar (Pastorin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land): Palästinenser werden als Muslime wahrgenommen. Wo es um Christen geht, ist in der Regel von patriarchalen Strukturen die Rede.
Die Ordination einer Palästinenserin zur ersten Pastorin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land (ELCJHL) öffnet eine neue Tür und verändert die Perspektive.
KNA: Die ELCJHL hat bereits vor Jahren den Weg für die Ordination von Frauen prinzipiell geöffnet. Warum hat es bis zur Umsetzung so lange gedauert?
Azar: Eine solche Veränderung lässt sich nicht im Handumdrehen umsetzen, sondern muss vorbereitet werden. Entsprechend gab es viele vorbereitende Schritte und Workshops.
Zusammen mit der Unterstützung von Gemeinden weltweit, die diesen Schritt bereits vollzogen haben, hat das die Öffnung ermöglicht. Es gab auch bisher keine andere Frau hier die Theologie studiert hat.
KNA: Wie sind die ersten Reaktionen in Ihrem Umfeld?
Azar: Es gibt Kritik, besonders von den orthodoxen und katholischen Kirchen, die sagen, Jesus habe keine weiblichen Jünger gehabt und Frauen sollten sich in der Kirche zurückhalten. Ich respektiere die verschiedenen Ansichten, aber es gäbe auch aus biblischer Sicht viel dazu zu sagen, etwa wenn man auf die Person der Maria Magdalena schaut.
Viele in der hiesigen Gesellschaft sagen, Frauen sollten sich um Kinder und Familie kümmern. Es gibt den Willen, Frauenrechte zu stärken, aber die Umsetzung braucht Zeit. Gleichzeitig sehe ich, dass Frauen in der Gemeinde stolz sind auf diese Entwicklung.
Ich denke also, dass wir erst am Anfang stehen, dass meine Ordination nicht nur Türen im Bereich der Theologie öffnet, sondern in anderen Bereichen, in denen Frauen Führungsrollen übernehmen können und sollten.
KNA: Verstehen Sie Ihre Ordination als feministischen Beitrag in der palästinensischen Gesellschaft?
Azar: Feminismus ist ein Teil davon. In dieser Hinsicht habe ich viel in Deutschland gelernt. Hier haben wir allerdings noch einen langen Weg vor uns und ich bin noch dabei, zu verstehen, was die Menschen in meiner Gemeinde brauchen.
Ich habe natürlich meine Theologie entwickelt, weiß aber auch, dass manches für die Menschen zu schwierig oder zu viel wäre. Nehmen wir das Beispiel der Gottesanrede: Gott als Mutter anzureden, wäre momentan eine Überforderung für die Gemeinde.
KNA: Erstmals wurde 2017 im Nahen Osten eine Frau ordiniert, mittlerweile gibt es in der Region fünf Pastorinnen. Unterstützen Sie sich gegenseitig?
Azar: Wir alle stehen vor ähnlichen Herausforderungen, wie etwa den patriarchalen Strukturen. Frauenordination ist im Nahen Osten eine junge Entwicklung, deshalb müssen wir zusammen lernen. Manche von uns haben zusammen studiert, und wir stehen weiterhin in Kontakt und tauschen uns aus.
So habe ich etwa von Angriffen in sozialen Netzwerken gehört. Trotzdem möchte ich meine Profile dort sichtbar machen, weil ich denke, dass es wichtig ist, diese Schritte mit der Welt zu teilen.
KNA: Sie haben Deutschland erwähnt, wo Sie und auch Ihr Vater studiert und Sie ihr Vikariat absolviert haben. Hat Sie dieser deutsche Kontext beeinflusst?
Azar: Es hat mich in vielerlei Hinsicht beeinflusst! Ich habe interkulturelle Theologie studiert und darüber viele Kulturen kennengelernt. Das hilft mir zu verstehen, warum wir zwar in der Sache das Gleiche tun, aber jeweils in einem anderen Kontext. Es müssen also Anpassungen vorgenommen werden.
Deutschland hat mir zudem gezeigt, was in der Kirche möglich ist. Die Kirche in Deutschland ist sehr viel weiter, und mir fehlen natürlich die Zwischenschritte, über die sie an diesen Punkt gekommen ist. Das habe ich in meinem Hinterkopf, auch wenn ich nicht sage, wir müssen es hier genauso machen.
KNA: Die konfessionelle Vielfalt im Heiligen Land ist um einiges größer als in Deutschland. Welchen Stellenwert wird die Ökumene in Ihrer Arbeit haben?
Azar: Es ist ein schwieriges Feld. Bis jetzt habe ich nicht so viele Kontakte. Einige Kirchenvertreter haben bereits signalisiert, dass sie nicht mit mir zusammenarbeiten werden. Ich akzeptiere das, hoffe aber, dass mit der Zeit unsere Arbeit gesehen wird.
Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit allen, die dazu bereit sind. Dass ein Vertreter des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) an meiner Ordination gesprochen hat, hat Türen geöffnet.
Ich hoffe aber, dass eine Zusammenarbeit nicht deshalb zustande kommt, weil ich die Tochter des Bischofs bin, sondern weil die anderen die Wichtigkeit des Themas erkannt haben.
KNA: Tochter des amtierenden Bischofs zu sein, ist das ein Vor- oder ein Nachteil?
Azar: Beides. Auf der einen Seite ist es ein Schutz. Gleichzeitig möchte ich nicht allein als Tochter des Bischofs wahrgenommen werden.
Denn ich habe mit meinem Studium angefangen, bevor mein Vater Bischof wurde.
KNA: Ist Ihr Vater ein Vorbild für Sie?
Azar: Mein Vater ist das größte Vorbild, und ich bin froh, dass ich ihn habe, nicht nur als Bischof, sondern als Pastor und als Vater. Er hat mir immer die Freiheit gelassen, zu studieren, was ich wollte, dafür bin ich dankbar. Daneben habe ich viele weitere Vorbilder: Pastorinnen in vielen Ländern sind meine Inspiration.
KNA: Werden Sie sich in ihrem Pfarramt für die Anliegen der Palästinenser einsetzen?
Azar: Ich werde nicht gern politisch, aber hier lässt es sich nicht vermeiden. Ich werde mich da einsetzen, wo es notwendig ist, und ich werde nach Außen tragen, womit meine Gemeinde konfrontiert ist.
Gleichzeitig möchte ich zur Bildung der Gemeinde einen Beitrag leisten. Wir müssen lernen, zwischen Juden und Israelis zu differenzieren, und wir müssen mehr über das Judentum lernen, was leider in unserem Schulsystem so gut wie nicht vorkommt. Es gibt so viel zu tun, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll.
Das Interview führte Andrea Krogmann.