Als historisch galt der Prozess beim Auftakt vor einem Jahr. Und die Erwartungen sind immer noch hoch: Die beiden Angeklagten Anwar R. und Eyad A. sollen für den syrischen Geheimdienst gearbeitet und grausame Verbrechen begangen haben. Dafür müssen sie sich vor dem Oberlandesgericht (OLG) Koblenz im sogenannten Al-Khatib-Verfahren verantworten.
Die Syrer lebten zuletzt in Deutschland und wurden hier von anderen Geflüchteten erkannt. Laut Bundesanwaltschaft soll Anwar R. im Raum Damaskus in der Abteilung 251 eine Ermittlungseinheit für Sicherheit mit einem Gefängnis geleitet haben. 2011 und 2012 sollen unter seiner Aufsicht systematisch Menschen misshandelt worden sein. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Folter in 4.000 Fällen, Mord in 58 Fällen sowie sexuelle Nötigung und Vergewaltigung vor.
Vorwurf der systematischen Folter
Der zweite Angeklagte Eyad A. soll ihm zugearbeitet haben. Konkret soll er 2011 rund 30 Demonstranten festgenommen und ins Gefängnis gebracht haben - im Wissen, dass dort systematisch gefoltert werde.
Angeklagt ist er wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das OLG hat das Verfahren gegen Eyad A. zuletzt abgetrennt und für Mittwoch eine Entscheidung angekündigt. Der Prozess gegen Anwar R. läuft weiter, Verhandlungstermine sind bis mindestens Oktober angesetzt.
Dass der Prozess in Deutschland geführt wird und nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag, hat mehrere Gründe. Syrien ist kein Vertragsstaat im ICC. Daher könnte ein Prozess dort nur mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrates geführt werden - was Russland blockiert.
Grundlage für das Koblenzer Verfahren ist das Weltrechtsprinzip. Seit 2002 können bestimmte Verbrechen in Deutschland geahndet werden, auch wenn weder die Tat hierzulande geschehen ist noch die Angeklagten oder die Opfer aus Deutschland kommen. Basis ist der Gedanke, dass bestimmte Taten - Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen - so schwer wiegen, dass sie nicht als innere Angelegenheit eines Staates ausgegeben werden können. Menschen, die solche Verbrechen begangen haben, sollen in Deutschland nicht frei sein, so die Idee.
Beim Koblenzer Prozess spielen mehrere Ebenen eine Rolle. Das Gericht muss herausfinden, ob die beiden Angeklagten der Taten, die ihnen vorgeworfen werden, schuldig sind oder nicht. Dazu spielen die Umstände und der Krieg in Syrien zwar eine Rolle. Staatliche Verbrechen durch das Assad-Regime sind aber nicht Hauptpunkt des Verfahrens.
Prozess kann Vorbildcharakter haben
Das OLG in Koblenz werde sich "im Zweifel nicht die Mühe machen, mehr aufzuklären als notwendig ist, um die Frage nach der Schuld der Angeklagten zu beantworten", erläutert der Trierer Strafrechtsprofessor Till Zimmermann. In dem Prozess gehe es nicht darum, weitere Verantwortlichkeiten oder Schuld des Assad-Regimes zu klären.
Dennoch kann der Prozess darüber hinaus Vorbildcharakter haben. Im Verfahren wurden Zeugen und Betroffene aus Syrien gehört. Fotos von Folteropfern sollen die Straftaten der Angeklagten belegen.
Maßgeblich dafür sind die sogenannten Caesar-Dokumente, die von einem syrischen Militärfotografen aufgenommen und außer Landes gebracht wurden. Seit 2016 liegen sie der Bundesanwaltschaft vor. Sie umfassen rund 28.000 Bilder von Leichen mit massiven Folterspuren. Eine solche Dokumentation von Verbrechen vor Gericht erschwere es, Fakten anzuzweifeln, so Zimmermann.
Darauf setzt auch das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR), das einige Nebenkläger im Verfahren unterstützt. Rechtsanwalt Patrick Kroker gibt zu bedenken, dass der Prozess neue, bis dahin nicht bekannte Aspekte und Dimensionen von Verbrechen ans Licht gebracht habe. Erstmals hätten Zeugen öffentlich über Massengräber in Syrien berichtet und "wie täglich LKW-weise Leichen in Massengräber geschüttet wurden".
Ein erster "sehr wichtigen Schritt"
Die syrische Menschenrechtsanwältin Joumana Seif, die auch für das ECCHR arbeitet, sagt: "Gerechtigkeit, wie wir sie wollen", könne der Prozess nicht leisten. Dazu müssten die Verbrechen des Regimes vor einem internationalen Gericht oder in Syrien verhandelt werden. Dennoch sei der Prozess ein erster "sehr wichtigen Schritt".
Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck betont: "Wir wünschen uns weitere Prozesse dieser Art."
Bei aller Kritik an der begrenzten Reichweite wurde der politische Wille gelobt, solche Straftaten zu verfolgen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt umfangreich im Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien und hat weitere Verfahren gegen Akteure eingeleitet, die im Verdacht stehen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben.
Zimmermann spricht von einer politischen Entscheidung. "Ich sehe die Zukunft des Völkerstrafrechts weniger in Den Haag beim Internationalen Strafgerichtshof als vielmehr bei nationalen Gerichten." Nationale Gerichte hätten meist mehr Kapazitäten. "Auf internationaler Bühne ist es schwieriger, Konsens herzustellen und alle Veto-Mächte zu überzeugen." Deutschland habe eine Vorreiterrolle eingenommen.