Der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl sieht in den weltpolitischen Entwicklungen den Verlust einer gemeinsamen Wahrheit. Das schreibt Gössl in einem am Samstag veröffentlichten Hirtenwort. "Wenn offensichtliche Lügen zu alternativen Wahrheiten umgemünzt werden und Propaganda sachliche Information ersetzt, fehlt zunehmend eine entscheidende Grundlage für Gespräche und für das gegenseitige Verständnis: Es fehlt die Wahrheit", mahnte der Erzbischof.
Viele Menschen derzeit verunsichert
Wenn Wahrheit relativiert würde, könne jeder Mensch sich auf seine eigenen Überzeugungen zurückziehen, ohne sich um die anderen kümmern zu müssen, so Gössl weiter. "Dann hat eben der Stärkere, Reichere, Frechere recht, ganz gleich welche Überzeugung er gerade vertritt."
Viele Menschen spürten aktuell große Verunsicherung und sehnten sich nach Orientierung. "Doch natürlich besteht die Gefahr, dass diese Orientierung dann bei denen gesucht wird, die einfache und bequeme Antworten auf komplexe Fragen anbieten, völlig unabhängig davon, was wahr, gerecht und hilfreich ist."
Auch Kirche nicht im Besitz der Wahrheit
Die Kirche sei der Wahrheit Gottes verpflichtet, sagte Gössl. "Aber nicht so, als ob wir sie ein für alle Mal in unserem Besitz hätten, sondern als Zeugen dafür, dass es diese Wahrheit gibt, weil es Gott gibt." Der Erzbischof rief dazu auf, die Fastenzeit als Zeit der Umkehr und des Neubeginns zu sehen und mit der Wahrheit Gottes in Berührung zu kommen: "durch Gebet und Betrachtung der Heiligen Schrift, durch Taten der Nächstenliebe in unserem Lebensumfeld, aber auch in Solidarität mit den Menschen, die weltweit unter Krieg, Hunger und Ungerechtigkeit leiden".