KNA:Herr Erzbischof, als Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischöfe reisen Sie in dieser Woche in den Libanon, vor allem, um dort Lager für Flüchtlinge aus Syrien zu besuchen. Warum haben Sie den Libanon für diese Erkundungsreise ausgesucht?
Heße: Der Libanon hat seit Beginn des Krieges in Syrien mehr als 1,2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen - bei einer Bevölkerung von gut 4,6 Millionen Menschen! Das entspräche auf deutsche Verhältnisse übertragen der Aufnahme von fast 21 Millionen Flüchtlingen. Ich möchte selbst sehen und hören, wie die Aufnahme der Flüchtlinge im Libanon organisiert wird, aber auch, was die Herausforderungen und Schwierigkeiten sind. Ich will die enorme Leistung der Menschen dort und der Hilfswerke würdigen und die Situation vor Ort besser verstehen. Und den Flüchtlingen Solidarität zeigen.
KNA: Aus der Politik ist mitunter die Forderung zu hören, man solle die Lage der Flüchtlinge im Libanon und den anderen Nachbarländern Syriens spürbar verbessern, dann werde es weniger riskante Fluchtversuche über das Mittelmeer nach Europa geben. Was halten Sie von dieser Idee?
Heße: Es sollte alles uns Mögliche getan werden, damit Menschen das hohe Risiko einer Flucht über das Mittelmeer nicht eingehen. Wo ein entsprechendes Engagement in Zusammenarbeit mit den aufnehmenden Ländern sinnvollerweise noch ausgebaut und verbessert werden kann, sollte dies geschehen. Hier hat es in der Vergangenheit, speziell im vergangenen Jahr, sicher politische Versäumnisse gegeben, vor allem im Bereich der internationalen staatlichen Unterstützung des UNHCR. Mittlerweile geschieht in allen Nachbarländern Syriens deutlich mehr. Die internationale staatliche Hilfe ist wieder hochgefahren worden.
KNA: Was tut die katholische Kirche konkret, um in den Ländern zu helfen, wo die meisten Flüchtlinge leben - also insbesondere im Libanon, in Jordanien und in der Türkei?
Heße: Die katholische Kirche ist in allen diesen Ländern präsent. Die Ortskirche mit ihren Strukturen und Organisationen, vor allem die Caritas, wird in ihrem Engagement von vielen katholischen Hilfswerken aus dem Ausland unterstützt, nicht zuletzt aus Deutschland. Daneben helfen auch internationale katholische Hilfswerke, der Heilige Stuhl sowie kirchliche Organisationen aus den USA, Kanada, Frankreich und vielen anderen Ländern. Unterstützt werden die Flüchtlinge in allen Bereichen: Bei der Organisation des Lebensnotwendigen wie Unterkunft, Kleidung, Ernährung, in der Gesundheitsversorgung, der Trauma-Aufarbeitung und bei der Bildung.
KNA: Mit Blick auf den Libanon wird häufig gesagt, es sei vorbildlich, wie viele Flüchtlinge ein so kleines Land aufnehme. Sollte sich die deutsche Willkommenskultur am Vorbild Libanon orientieren? Und wenn ja, wie sollte das aussehen?
Heße: Nach allem, was ich höre, ist das Ausmaß der Hilfsbereitschaft der libanesischen Gesellschaft wirklich beeindruckend. Von der Gastfreundschaft der Menschen dort können wir in Deutschland eine Menge lernen. Es gibt aber auch große Unterschiede. Syrer und Libanesen sprechen dieselbe Sprache, sie sind Nachbarn. Die Situation zwischen Deutschen und Syrern ist da natürlich eine andere. Unsere Willkommenskultur kann sich sicher vom libanesischen Beispiel inspirieren lassen, letztlich müssen wir aber unseren eigenen Weg gehen. Dies geschieht ja auch schon auf vielen Ebenen, in den Pfarrgemeinden, der Caritas vor Ort, den Verbänden, Ordenseinrichtungen und Diözesen.
KNA: In den von Christen bewohnten Teilen des Libanon geht die Angst um, das Land könne die enorme Last der Flüchtlinge nicht länger tragen. In einigen Regionen sei tatsächlich "das Boot voll", weil die vielen Flüchtlinge mit der einheimischen Bevölkerung konkurrierten, wenn es um Wohnraum, Arbeitsplätze, aber auch um medizinische Leistungen und andere knappe Güter geht. Was kann die Kirche tun, um solche Konflikte zu entschärfen?
Heße: Die Frage nach einer gerechten Verteilung knapper Güter ist bei der Aufnahme und Unterstützung einer so großen Zahl von Flüchtlingen immer relevant - unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit. So entstehen Spannungen, nicht nur im Libanon. Es gibt dort wie in Jordanien aber auch bereits Programme, bei denen ein bestimmter Prozentsatz der Hilfen an die einheimische Bevölkerung geht, damit diese nicht übermäßigen Härten ausgesetzt ist. Hierauf haben auch die Ortskirchen der aufnehmenden Länder immer geachtet.
Im Libanon geht es mit Blick auf die einheimischen Christen aber noch um etwas anderes: die fragile Balance zwischen Christen, Drusen und Muslimen der jeweils verschiedenen Denominationen in diesem Land. Wenn die Anzahl der Menschen im Libanon durch die syrischen Flüchtlinge innerhalb kürzester Zeit um mehr als ein Viertel anwächst und die religiösen Gewichte sich dadurch verschieben, dann löst das Ängste aus. Hier braucht es eine aktive interreligiöse Zusammenarbeit. Einzelne Institutionen gehen hier bereits mutig voran, zum Beispiel die von unseren Hilfswerken unterstützte Adyan-Stiftung, die ich deshalb auch besuchen werde.
Das Interview führte Ludwig Ring-Eifel.