DOMRADIO.DE: Warum ist es denn überhaupt wichtig, den Fokus auf die Familie zu legen?
Heiner Koch (Erzbischof von Berlin und Vorsitzender der Kommission für Ehe und Familie der Deutschen Bischofskonferenz): Weil die Familie sicherlich eine Verpflichtung darstellt für die gesamte Gesellschaft und weil viele Entwicklungen der Gegenwart, nicht nur die wirtschaftlichen, eine besondere Herausforderung für Familien sind.
Familie ist für jeden zudem etwas selbstverständliches. Jeder kommt aus einer Familie und oftmals ist es so, dass man das Selbstverständliche nicht mehr wertschätzt.
DOMRADIO.DE: Was ist denn die gesellschaftliche Aufgabe der Familie?
Koch: Die Familie ist für mich und für uns - ich glaube, da gibt es sogar ziemlichen Konsens - der Grundpfeiler der Gesellschaft. Die kleinste Einheit, in der fundamentale Weisheiten und Arten des Lebens vermittelt werden.
Wenn ein Kind beispielsweise bei seinen Eltern oder bei denen, die für dieses Kind in der Kindheit so bedeutend sind, nicht erfahren kann, dass es Vertrauen schenken kann, dass Vertrauen die Grundlage des Lebens ist, dann hat das oftmals Schäden zur Folge, die ein ganzes Leben lang das Kind begleiten und verhindern, dass das Leben sich entfalten kann.
Hier werden die Grundpfeiler auch kommunikativer Art aufgestellt und aufgezeigt, was Werte und Wertverhalten bedeutet.
DOMRADIO.DE: Bei Familie denken viele bestimmt nach wie vor an Mutter, Vater, Kind. Aber das Verständnis von Familie hat sich ziemlich gewandelt. Es gibt Patchwork-Familien, oder aber auch die Konstellationen Mutter, Mutter, Kind oder Vater, Vater, Kind. Viele Möglichkeiten gibt es da heutzutage. Inwiefern verändert sich auch das kirchliche Verständnis von Familie?
Koch: Familie ist für uns in der Kirche, auch wenn das manche nicht wahrhaben wollen, immer alles, das heißt alle Formen, in denen Menschen zusammenleben. Das betrifft auch die alten Menschen. Heute hat man den Eindruck, inzwischen würden nur noch Vater, Mutter, junges Kind zählen, aber auch der alte Mensch gehört zur Familie.
Die ganze Frage des Sterbens in der Familie ist genauso wie Fragen von Behinderten in der Familie ein großes Thema. Das gilt übrigens natürlich auch für das Thema Familie in der Kirche, Familie als die kleine Kirche, in der grundlegende Glaubenserfahrungen vermittelt oder nicht vermittelt werden und die Gemeinde aufgebaut wird.
DOMRADIO.DE: Am Sonntag haben wir den Muttertag gefeiert. Davor gab es kontroverse Debatten darüber, ob dieser Tag noch zeitgemäß sei. Und es kam auch der Vorschlag, den Tag umzubenennen in Elterntag, um Väter, aber möglicherweise auch queere Menschen mit einzubeziehen. Wie stehen Sie dazu?
Koch: Alle, die sich um das Kind bemühen, haben ihren Festtag verdient, beispielsweise auch zweifelsohne die Großeltern. Aber die Bedeutung der Mutter ist nun eine ganz besondere, weil nur die Mutter mit dem Kind schon vor der Geburt neun Monate verbunden ist und alle Prägungen da schon ihren ganz grundlegenden Anfang finden.
DOMRADIO.DE: Sie denken also, dass die Mutter nach wie vor auch durchaus hervorgehoben werden darf.
Koch: Die darf hervorgehoben werden, das ist ja keine Diskriminierung gegenüber etwa den Vätern oder den Großeltern.
Aber die Mutter hat eine ganz besondere Bedeutung, wie gesagt, schon aufgrund des biologischen Umstandes, dass Mutter und Kind untrennbar miteinander verbunden wachsen.
DOMRADIO.DE: Die Kirche soll den Familien stärker zur Seite stehen. Wie genau könnte so eine Unterstützung aussehen?
Koch: Zunächst einmal, indem die Kirche ein Raum für Familien ist – das scheint mir ganz wichtig zu sein. Das fängt bei den Gottesdiensten an, wo Kinder dazugehören, auch wenn sie schreien. Das bedeutet aber auch, dass wir die anderen Institutionen, die wir als Kirche für Familien anbieten, wirklich als Familien unterstützende und helfende Einrichtungen sehen.
Ich denke an den ganzen Bereich des Kindergartens. Das ist für uns auch ein Ort der Familienförderung. Ich denke da auch an die Schulen. Wir wissen alle, wie wichtig auch die Eltern sind und wie wichtig die Zusammenarbeit mit ihnen in dieser Phase ist. Das bedeutet natürlich auch wahrzunehmen, dass Familien heute in materieller und sozialer Not sind.
Was wir etwa über die Caritas an Familienhilfe leisten, an Familienberatung, ist schon ein ganz beachtlicher Beitrag.
DOMRADIO.DE: Wäre heute Sonntag, wäre das schön für eine Familie, die dann auch etwas zusammen unternehmen könnte. Dann könnten die Jungen die Alten besuchen und so weiter – heute ist aber ein Wochentag. Können Sie uns vielleicht trotzdem eine Idee zu diesem Tag der Familie mitgeben?
Koch: Zunächst einmal lassen sich vielleicht gerade auch an einem Werktag besondere Akzente setzen. Es ist ja nicht gesagt, dass man an diesem Tag nicht beispielsweise zusammen als Familie kochen könnte oder, dass man vielleicht besonders an diesem Tag auch mal miteinander beten und einander vom Alltag erzählen könnte.
Familie als Erzählgemeinschaft, in der Zeit gegeben ist, Raum gegeben ist, das Leben miteinander zu teilen. Vielleicht ist da ein alltäglicher Wochentag auch eine besondere Chance.
Das Interview führte Dagmar Peters.