domradio.de: Warum ist es so wichtig, dass die Berliner zur Wahl gehen?
Erzbischof Heiner Koch (Erzbistum Berlin): Solche Wahltage sind immer Festtage der Demokratie und ein Zeichen für unsere freiheitlich-demokratisch Ordnung. Das Recht zu wählen ist für mich auch eine innere Verpflichtung. Es kommt auf jede Stimme hier an. Es ist bedeutend, wer wie abstimmt. Es sind sehr knappe Verhältnisse, die Parteien liegen ziemlich nahe beieinander. Es ist die Pflicht eines jeden mündigen Bürgers und auch Ehre, bei allen Abwägungen und auch z.T. unklaren Positionierungen der Parteien in bestimmten Fragen, einer Partei und einem Politiker das Vertrauen zu geben. Das ist wichtig, damit unsere Politiker auch wissen, dass sie von vielen mitgetragen sind.
In Berlin gibt es so viele wichtige Anliegen. Sich da nicht zu positionieren, halte ich für schwierig.
domradio.de: Sie haben sich auch an einem Bündnis für ein weltoffenes Berlin beteiligt und rufen zum Engagement für die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland auf. Sehen Sie diese in Gefahr?
Koch: Engagement für die freiheitlich-demokratische Grundordnung fängt ja nicht am Wahltag an. Es fängt da an, wo Menschen den anderen nicht achten, nicht wertschätzen, nicht zur Geltung kommen lassen. Es ist auch eine Frage des Inhalts und des Stils. Im Vorfeld der Wahl sehe ich da Tendenzen, die gefährlich sind. Auch dann, wenn Menschen sagen, dass sie denen da oben mal einen Denkzettel verpassen wollen, sich aber nicht weiter um Inhalte kümmern und pauschalen Thesen, die vielen Menschen weh tun, sehr schnell nachhängen. Aber auch dann, wenn sie sich weigern, politische Verantwortung wahrzunehmen. Ich sehe schon Tendenzen, die problematisch sind. Zu glauben, die Demokratie sei einmal gesetzt und dann für immer gesichert, ist ein großer Irrglaube. Das wissen wir doch aus unserer Geschichte.
domradio.de: Die AfD könnte wieder einen Wahlerfolg feiern. Wie sehen Sie das?
Koch: Es ist ein ähnliches Phänomen, wie ich es in Vorpommern erlebt habe. Es ist nur wenig greifbar, warum so viele Menschen diese Partei wählen. Viele sagen ja, der Erfolg komme daher, weil die CDU nach links gerückt sei, und nicht mehr für Konservative wählbar sei. Ich glaube es liegt auch daran, weil die Partei Lösungen durch einfache Antworten verspricht. Das ist manchmal erschreckend, wie einfach alles gelöst werden soll. In vielen Fragen sind aber sehr differenzierte Wege zu suchen. Dazu kommt, dass sich nicht wenige AfD-Wähler nicht genügend beachtet fühlen und durch diese Wahlentscheidung Beachtung finden wollen. Man muss die Menschen fragen, ob sie diese Inhalte wirklich mit tragen wollen. Da sind Ausgrenzungen vorgesehen, die für uns Christen nicht nachvollziehbar sind.
domradio.de: Und mit noch einem anderen Thema beschäftigt sich Berlin und beschäftigen Sie sich: Einen Tag vor der Wahl findet in Ihrer Stadt erneut der sogenannte Marsch für das Leben statt. Sie werden daran teilnehmen.
Koch: Es ist ein öffentliches Zeichen, dass uns der Schutz des ungeborenen Menschen so am Herzen liegt, dass wir nicht wollen, dass das Anliegen des Lebensschutzes vergessen wird. Es geht auch um den Schutz des behinderten und des sterbenden Lebens. In diesem Jahr besonders auch um den Schutz des Lebens von Flüchtlingen. Überall dort, wo Leben bedroht ist, müssen wir als Christen aufstehen und es schützen. Überall, wo es um Leben geht, müssen wir uns als Kirche einsetzen. Mein Anliegen ist es auch immer, ein weltoffenes und tolerantes Berlin zu zeigen.
domradio.de: Es hat auch Beatrix von Storch von der AfD ihre Teilnahme angekündigt. Ist das einen Tag vor der Wahl nicht schwierig?
Koch: Ich werde mich da überhaupt nicht vereinnahmen lassen. Mir geht es um das positive Anliegen. Das können auch Menschen teilen, die in vielen anderen Fragen anderer Meinung sind. Das ist aber bei fast jedem öffentlichen Auftritt so.
domradio.de: Welche Wirkung erhoffen Sie sich denn von diesem Marsch?
Koch: Ich erhoffe mir, dass es eine wachsende Offenheit für dieses Anliegen des Schutzes des ungeborenen Lebens gibt. Ich befürchte, dass dieses Anliegen in Deutschland immer mehr in den Hintergrund gerät und dass man sich einfach so arrangiert. Unsere Kirche setzt sich für dieses Anliegen ja tagtäglich ein, in den Gemeinden, bei der Caritas, bei der persönlichen Unterstützung von Schwangeren.
Das Interview führte Silvia Ochlast.