Domkapitular zu den Chancen der Corona-Krise

"Es braucht jetzt Ruhe und Vertrauen"

Wie in vielen Bistümern hat das Erzbistum Köln wegen der Coronavirus-Pandemie alle Gottesdienste ausgesetzt. "Das rüttelt alles ziemlich durch", sagt Domkapitular Dominik Meiering. Doch die Krise berge auch Chancen.

Die Eingangstür zum Kölner Dom ist verschlossen / © Alexander Foxius (DR)
Die Eingangstür zum Kölner Dom ist verschlossen / © Alexander Foxius ( DR )

DOMRADIO.DE: Es ist ein besonderer Sonntag. Die Kirchenglocken werden bis Karfreitag nicht mehr zum Gottesdienst einladen. Nicht nur im Erzbistum Köln, auch in anderen Bistümern. Was machen Sie mit denen, die heute trotzdem vor den Kirchen stehen, weil sie davon noch nicht mitbekommen haben? 

Domkapitular Dominik Meiering: Wir werden hier in der Kölner Innenstadt mit den Seelsorgern zu den Gottesdienstzeiten an den Kirchen sein, um diejenigen, die kommen, zu empfangen und sie darüber zu informieren, was seit gestern passiert ist. Nach der Pressekonferenz der Stadt gestern war ja klar, dass alle öffentlichen Veranstaltungen in der Stadt Köln gestrichen werden.

Daraufhin haben sich Stadtdechant Kleine, Dompropst Bachner und Generalvikar Hofmann zusammen hingesetzt und überlegt, ob es dann nicht sinnvoll ist, das auch für das ganze Erzbistum auf den Weg zu bringen. Der Erzbischof war natürlich einverstanden, denn das ist auch seine persönliche Sorge. Es ist auch die Mitverantwortung der Kirche.

Und damit ist klar: Heute gibt es keine Gottesdienste mehr in unseren Kirchen im Erzbistum. Ich selbst habe eine kleine Kapelle zuhause und werde privat die Heilige Messe feiern, aber all diejenigen in Gedanken und im Gebet mit einbeziehen, die gerne zur Messe gekommen wären. 

DOMRADIO.DE: Für Christen gilt ja die Sonntagspflicht. Erklären Sie kurz: Was ist denn die Sonntagspflicht? 

Meiering: Naja, es ist vorgesehen, dass wir sonntags in die Kirche gehen - zur eigenen Heiligung und Stärkung im Glauben, aber auch als Zeichen der Gemeinschaft und der Freude für den anderen. Es ist eine "Pflicht" in "Anführungszeichen", eine moralische Pflicht im Sinne von "Es ist gut für mich und für den anderen, dass wir den Glauben nicht nur als Idee im Kopf haben, sondern dass wir ihn auch im gottesdienstlichen Vollzug wirklich leben."

Natürlich kann man sich in einer solchen Situation die Frage stellen: Was geht vor - das Recht auf körperliche Unverletztheit oder aber eben auf Religionsausübung in der Kirche und gemeinsamen Gottesdienst? Ich finde, das erste und wichtigste ist natürlich, dass die Menschen gesund sind. Und wenn eine solche Pandemie auf dem Weg ist, dann muss man etwas tun.

Mich hat überzeugt, dass, wenn wir heute nichts tun, in zwei Wochen nicht genügend Krankenhausbetten zur Verfügung stehen. Das hat mich schon berührt, weil das eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung ist, die wir als Kirchen und als Gläubige haben. Auch wenn es sich natürlich im ersten Augenblick ganz komisch anfühlt, Gottesdienste im Radio oder im Fernsehen mitzufeiern. 

DOMRADIO.DE: Ist das Mitfeiern im Internet denn eine Alternative? 

Meiering: Auf jeden Fall! Ich finde, wir müssen damit unseren Glauben nicht aufgeben, im Gegenteil. Das, was ihr hier im Radio macht, ist ja großartig. Die Messe aus dem Dom wir jetzt übertragen, die findet dann in der Marienkapelle statt. Da ist dann nur ein Organist und ein Küster dabei, oder so. Ich habe so etwas auch noch nie erlebt, aber das ist eben nun so. Und ich glaube schon, man kann sich dann auch zu Hause vor dem Fernseher versammeln, DOMRADIO.DE, Bibel-TV oder EWTN Streaming anmachen und den Gottesdienst mitfeiern und auch geistliche Kommunion halten.

Wir wissen uns verbunden mit vielen tausend Menschen, die genau das Gleiche tun. Mal in die Kirche zu gehen, eine Kerze anzünden, finde ich auch nicht falsch. Natürlich sollten die Älteren oder diejenigen, die besonders gefährdet sind, schön zu Hause bleiben. Aber es gibt ja auch das stellvertretende Beten der anderen für diejenigen, die in dem Augenblick eben nicht vor die Tür können.

DOMRADIO.DE: DOMRADIO.DE weitet sein Angebot aus. Wir übertragen jetzt auch abends um 18.30 Uhr die Andacht aus der Marienkapelle im Kölner Dom. Welche Vorsichtsmaßnahmen werden darüber hinaus im Erzbistum Köln getroffen? 

Meiering: Naja, wir haben ja schon vor einigen Tagen gesagt, wir müssen in unseren Gemeinden alle Sitzungen, alle Treffen der Gruppen, Gremien und Vereine einstellen - ungefähr so lang, wie jetzt die Schulen ausgesetzt sind. Das betrifft viele Bereiche: Kinder-, Jugendgruppen, Altentreffs, Chöre, die ganze Erstkommunion-Vorbereitung. Das rüttelt alles ziemlich durch. Und natürlich stellen wir uns auch mit dem Pastoralteam hier in der Kölner Innenstadt die Frage: Was wird das mit unseren Gemeinden machen?

Aber ich glaube, es braucht Ruhe und Vertrauen. Vertrauen vor allen Dingen in die staatlichen Stellen und in die Verantwortlichen unseres Erzbistums. Jeder von uns weiß die Dinge besser. Das ist wie beim Fußball. Da gibt es so und so viele Fußballtrainer, die hier genau Bescheid wissen, was man hätte tun müssen oder machen müssen. Ich finde es wichtig, dass es Leute gibt, die Verantwortung haben, die nicht nur das Einzelne, sondern das Ganze im Blick haben. Und auch wenn wir vielleicht nicht verstehen oder persönlich in der Lage sind, die Dinge einzuschätzen, müssen wir darauf vertrauen, dass diese Leute es gut machen.

Wir brauchen auch Vertrauen in die Mitmenschlichkeit, dass wir aufeinander achtgeben und mitbekommen, wo braucht jemand Hilfe, wo geht es einem vielleicht nicht gut, wo könnte ich jemandem durch Erledigungen zur Hand gehen, wen könnte ich mal anrufen. Ich finde, das ist ein bisschen wie ungewollte Exerzitien. Mein Alltag wird unterbrochen und ich werde jemand ganz anderes -  gezwungenermaßen. Was bedeutet das für mich und meinen Alltag? Da gilt es, auch wieder Vertrauen in sich selbst und in die Mitmenschen zu entwickeln – und natürlich Vertrauen in Gott. Das können wir durch das Gebet.

Dieses Grundvertrauen in die Verantwortlichen, in die Mitmenschlichkeit, in Gott - das können wir vielleicht in diesen Tagen wieder ganz existenziell neu lernen. 

DOMRADIO.DE: Wie gehen Sie denn als Seelsorgeteam damit um? Gibt es mehr Gesprächsbedarf bei den Gemeindemitgliedern? 

Meiering: Das werden wir jetzt sehen. Wir haben gestern gemerkt, dass das Telefon, WhatsApp und alle sozialen Medien heiß gelaufen sind. Die Menschen haben alle möglichen Fragen. Das hält uns ganz schön auf Trab. Das fängt an im Kindergarten mit der Kindergartenmutter und das endet im Altenheim mit der Frage, wie ist denn das jetzt mit der Krankenkommunion? Es ist wirklich die ganze Lebensspanne betroffen – bis hin zur Überlegung, wie organisieren wir jetzt die Beerdigung auf dem Friedhof, wenn die Exequien - die Messen vorher in der Kirche - nicht mehr stattfindet.

Da gibt es jede Menge Dinge, die jetzt zu organisieren und zu planen sind. Das Leben steht scheinbar still, aber in den Herzen der Menschen ist es natürlich total aufgewühlt. Wir wollen das jetzt in aller Ruhe mit den Seelsorgern angehen und versuchen, bei den Menschen zu sein. Ich glaube, das ist jetzt das Wichtigste, da seriös und gut all die vielen Fragen, Sorgen, Nöte anzuschauen und darüber miteinander ins Gespräch kommen. Das miteinander zu teilen und so, wie es geht, abzuarbeiten. Wir sind in vielen Dingen ja handlungsfähig. Wir handeln nach bestem Gewissen und Wissen, das ist unvollkommen. Aber das miteinander zu teilen, das ist schon sehr viel wert. 

DOMRADIO.DE: Viele Bars und Restaurants bleiben zu oder haben bestimmte Auflagen, an die sie sich halten müssen. Wird auch der Kölner Dom in absehbarer Zeit schließen? 

Meiering: Das haben wir nicht vor. Der Dom steht auf der Gefährdungsskala nicht so hoch. Es ist ein großer, weiter gut durchlüfteter Raum. Wenn da in den nächsten Tagen und Wochen keine gemeinsamen Gottesdienste stattfinden, ist es gut möglich, sich dort alleine zu bewegen. Das ist fast wie an der frischen Luft.

Wir werden aber natürlich die Situation genau beobachten. Das betrifft alle unsere kirchlichen Häuser, Einrichtungen und Kirchen. Und dann werden wir genau schauen, was zu tun ist. Wir merken, die Sachlage kann sich manchmal innerhalb von wenigen Stunden ändern. Ich habe gestern drei Mitteilungen an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschrieben, die jeweils anderen Inhalts waren, weil sich die Sachlage immer wieder geändert hat. Aber ich glaube, jetzt haben wir erst einmal einen Status, mit dem wir die nächsten Tage weiter gehen können. Und dann wird man schauen, was als nächstes passiert. 

Das Gespräch führte Katharina Geiger. 


Innenstadtpfarrer Dr. Dominik Meiering freut sich auf einen intensiven Prozess mit den Gemeinden. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Innenstadtpfarrer Dr. Dominik Meiering freut sich auf einen intensiven Prozess mit den Gemeinden. / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR
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