DOMRADIO.DE: Kann sich die Kirche am Benediktinerorden ein Vorbild nehmen, wenn es um Macht und Führung geht?
Abt Notker Wolf OSB: Ach, ich würde nicht ohne Weiteres immer gleich als Musterbeispiel dastehen wollen. Ich stelle lieber in Frage. Macht ist eigentlich keine besonders christliche Kategorie. Jesus hat gesagt: In dieser Welt unterdrücken die Mächtigen ihre Leute. Bei euch aber soll es nicht so sein. Wer unter euch der Größte sein will, sei euer Diener. Und in der Parallelstelle heißt es sogar: Sei euer Sklave (siehe Mk 10,42-44). Das ist also etwas ganz anderes. Ich brauche natürlich Vollmacht, etwas zu tun, aber wir haben immer gleich in der Kirche diese Hierarchien. Davon finde ich gar nichts in den Evangelien. Da sieht es ganz anders aus.
DOMRADIO.DE: Sollten wir Christen da eigentlich viel revolutionärer sein?
Wolf: Ich möchte nicht revolutionär sein. Ich möchte dem Evangelium gemäß leben. Und wenn es revolutionär ist, okay.
DOMRADIO.DE: Wir haben ja auch mal gesagt: Als Christ steht man ein Stück weit gegen das Establishment.
Wolf: Der Mensch hat gewisse Naturtendenzen: zum Reichtum, Besitz, zur Anerkennung, zur Eitelkeit und allem. Und da stellt das Evangelium diese Dinge in Frage, nicht immer grundsätzlich, aber im rechten Rahmen. Ich darf mich auch über was Schönes freuen. Warum nicht? Aber wenn es Eitelkeit wird? Ich darf mich freuen über Anerkennung. Wenn ich das aber raushängen lassen will, dann bin ich bei dem wieder, was das Evangelium heute sagt: Wenn du betest, dann lass es nicht raushängen, das Ganze. Sei nicht arrogant. Das ist das Problem, weil ich damit wieder andere unterdrückte.
DOMRADIO.DE: Das Thema Macht ist ja verbunden mit Strukturen. Könnte denn Kirche auch funktionieren, wenn quasi von unten nach oben die Ansagen gemacht würden?
Wolf: Der Heilige Geist wirkt überall. Es gibt keinen Unterschied der Person, hat der heilige Paulus gesagt. Das ist eine Sache, die wir versuchen, im Kloster zu verwirklichen, auch wenn das lange Zeit in der Geschichte anders war. Wir müssen mal vom Evangelium her wieder kommen, sonst können wir einpacken. Und ja, ich habe immer Angst vor Strukturänderungen, weil das bedeutet, aus festen Strukturen von ehemals in neue, feste Strukturen zu kommen – und sitzt man wieder fest. Wir müssen in Bewegung bleiben. Das ist die Kirche ein pilgerndes Gottesvolk, ständig in Bewegung. Natürlich brauche ich auch feste Ordnungen. Aber die dürfen nicht steif werden.
Das Buch "Es geht auch anders: Wie Benediktiner mit Macht und Autorität umgehen" ist für 12 Euro im Patmos Verlag erschienen.