DOMRADIO.DE: Der frühere Päpstliche Botschafter in den USA Erzbischof Carlo Maria Viganò hat im Netz einen Aufruf veröffentlicht, der vor der "Schaffung einer Weltregierung" im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen warnt. Sie legen in Ihrem Buch "Das Franziskus-Komplott" dar, wie Viganò sich zu einem der schärfsten Kritiker von Papst Franziskus entwickelt hat. Was bezweckt er jetzt mit diesem Aufruf?
Marco Politi (Journalist und Vatikanexperte): Der Ton dieses Aufrufs ist sehr aggressiv und er erinnert an die Alternative Rechte in den USA. Und er hat viele Unterstützer, wie etwa der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Kardinal Müller oder der ehemalige Bischof von Hongkong, Joseph Zen Ze-kiun.
Das zeigt, dass es einen Teil in der kirchlichen Hierarchie gibt, die den Kulturkampf will. Denn das ist der springende Punkt in diesem Manifest, wo man von "technokratischer Tyrannei" spricht und sagt, dass die Rechte eingeschränkt werden und man das Recht auf Gottesdienste und Verkündigung verteidigen muss: entweder man ist mit Christus oder gegen Christus. Sie nehmen die Corona-Pandemie zum Anlass, wieder einen Kulturkampf zu entfachen: Die aus ihrer Sicht richtige Kirche ist gegen die moderne Welt, gegen die Regierungen und das ist nicht die Kirche von Franziskus.
DOMRADIO.DE: Wie passt denn dieser Aufruf mit dem Gebot der Nächstenliebe und der Solidarität zusammen, zu der wir alle aufgerufen wurden und zuhause bleiben sollen?
Politi: Das widerspricht dem total; es widerspricht Papst Franziskus und den vielen Bischofskonferenzen, die die Gläubigen bitten, zu Hause zu bleiben und auf öffentliche Gottesdienste verzichten. Und es widerspricht dem, was so viele Menschen gerade machen, die verstanden haben, dass man zu Hause bleiben muss, um andere nicht anzustecken.
Auch Gläubige anderer Weltreligionen halten sich daran. Mekka ist vollkommen leer, die islamische Welt musste die Festlichkeiten des Ramadan anders organisieren. Aber den Unterzeichnern dieses Appells ist das offenbar völlig egal.
DOMRADIO.DE: Sie haben Viganòs Unterstützer wie Kardinal Müller und Bischof Joseph Zen Ze-kiun erwähnt, die beide zu den Franziskus-Kritikern zählen. Wie einflussreich ist diese Gruppe?
Politi: Das darf man nicht unterschätzen, das ist nur die Spitze eines Eisbergs. Es gibt schon seit Jahren eine Opposition gegen Franziskus, das konnte man zuletzt bei der Amazonas-Synode im vergangenen Oktober beobachten. Einige Bischöfe und Kardinäle stehen da immer in der ersten Reihe, aber hinter ihnen versammelt sich ein nicht unerheblicher Teil des Klerus und der Laien, die gegen Franziskus und jegliche Reformen in der Kirche sind.
Es ist interessant zu sehen, mit welcher Vehemenz jetzt in diesem Aufruf die Bedeutung der Heiligen Messe hervorgehoben wird: Die Einschränkung der Gottesdienste - ein Skandal, ein Zeichen der Tyrannei, dass man sechs oder sieben Wochen nicht in die Kirche gehen kann.
Aber komischerweise kümmern sich dieselben Leute nicht um die Regionen im Amazonas, wo Christen nur einmal im Jahr eine Heilige Messe feiern können, weil es nicht genug Priester gibt. Die Idee, erfahrene, verheiratete Männer zuzulassen, die den Menschen dort die Eucharistie ermöglichen, lehnen sie ab. In dem Zusammenhang ist der Gottesdienst den Unterzeichnern offenbar nicht wichtig.
Daran erkennt man, dass eben dieser harte Kern gegen den Papst, die Reformen und auch gegen die moderne Welt aggressiv vorgeht. Es hat da in den vergangenen Jahren eine Eskalation gegeben: Viganò hat den Papst bereits zum Rücktritt aufgefordert, Bischöfe haben Franziskus der Häresie beschuldigt, seine Autorität wird untergraben. So viele Attacken auf einen Papst vonseiten des Klerus' und der Bischöfe hat es lange nicht gegeben.
DOMRADIO.DE: Das sind alles gebildete Männer, warum hängen sie solchen Verschwörungstheorien an? Im März hatte sich Viganò einer Forderung angeschlossen, die Wasserbecken der französischen Wallfahrtsstätte Lourdes wieder zu öffnen: Das Wasser schütze vor Ansteckung, hieß es da sinngemäß. Wie geht das zusammen?
Politi: Viganò ist ein gebildeter Mann, er hat auch als Generalsekretär des Governatorats vom Vatikan die Korruption bekämpft. Man kann ihn nicht auf dieselbe intellektuelle Ebene wir zum Beispiel Donald Trump stellen. Kardinal Müller hat mit den Befreiungstheologen Gutierrez ein Buch geschrieben über soziale Probleme, man sieht, das sind Persönlichkeiten, die sehr feinfühlig sein können. Aber es kommt eben vor, dass auch gebildete Menschen in das Lager von totalitären extremistischen Bewegung wechseln. In diesem Fall haben wir innerhalb der katholischen Kirche eine sehr starke reaktionäre Strömung.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, dass dies nur die Spitze des Eisberges ist. Wie groß ist denn die Opposition gegen Franziskus?
Politi: Es hat überhaupt keinen Sinn, diese Opposition kleinzureden, wie es Franziskus-Anänger immer wieder tun, wenn sie von einer kleinen lauten Minderheit sprechen.
Es ist keine Minderheit, ich würde schätzen, 30 Prozent des Klerus, der engagierten Laien und Bischöfe der Weltkirche sind auf dieser Linie. Die werden nicht alle einverstanden sein mit diesen konspirativen Theorien über den Coronavirus, aber sie folgen einer sehr starken konservativen, traditionalistischen Linie.
Das sieht man zum Beispiel in Italien, immer noch ein sehr katholisches Land. Aber bei den letzten Europawahlen haben 30 Prozent der regelmäßigen Kirchgänger für die populistische, rechte, xenophobe Lega von Matteo Salvini gestimmt. Das ist eine Partei, die mit der AfD vergleichbar ist. Und man kann beobachten, dass in den letzten Jahren auch die Zustimmung für Franziskus sinkt. Zu Beginn des Pontifikats waren es in Italien noch 88 Prozent und Ende des vorigen Jahres nur noch 66 Prozent.
Es gibt einen Teil der Kirche, der nicht einverstanden ist mit Franziskus und der jetzt schon versucht, das nächste Konklave zu beeinflussen. Davon sind viele überzeugt: Der Generalobere der Jesuiten, Arturo Sosa, zum Beispiel spricht von einem politischen Kampf innerhalb der Kirche und die selben Gedanken hat auch Kardinal Walter Kasper schon vor mehr als einem Jahr geäußert: Es gibt Leute, die hätten am liebsten, dass Papst Franziskus nicht mehr an seinem Platz ist. Und es ist Teil ihrer Strategie, jetzt schon Stimmungen und Mehrheiten für die nächste Papstwahl zu schaffen und die öffentliche Linie des Pontifikats unter Druck zu setzen.
Marco Politi ist Autor des Buches: "Das Franziskus-Komplott. Der einsame Papst und sein Kampf um die Kirche." Herder Verlag, 24 Euro.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.