Die Beteiligung Betroffener an der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche ist ein zentraler Punkt in der Vereinbarung der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, vom Juni 2020. Doch nach nicht einmal einem Jahr zeigt sich: Es hakt, und das nicht nur an einer Stelle.
Im vergangenen Sommer konstituierte sich ein Betroffenenbeirat auf Bundesebene - sieben Frauen und fünf Männer aus verschiedenen Diözesen. Drei von ihnen traten erstmals bei der jüngsten Online-Konferenz des Synodalen Weges Anfang Februar öffentlich in Erscheinung.
Vielen Delegierten, aber auch Beobachtern erschienen diese Statements als bemerkenswerter Akzent, wenn nicht sogar als Wendepunkt im Prozess des Reformvorhabens, das doch mit der Erschütterung über Missbrauch begonnen hatte. Dennoch musste offenbar erst einige Zeit vergehen, bis Betroffene darin einen Raum erhielten und selbst zu Wort kamen. Johanna Beck bekräftigte den Willen des Beirats, den Synodalen Weg ab sofort kritisch zu begleiten und mitzugestalten.
Kritik aus den eigenen Reihen
Es dauerte nicht lange, da gab es Kritik aus den eigenen Reihen. Matthias Katsch, Mitbegründer der Betroffenen-Initiative Eckiger Tisch, monierte, offenbar seien beim Synodalen Weg nur Betroffene erwünscht, die sich dort auch einbringen wollten. Das veranlasste Johanna Becks Mitstreiter Kai Moritz zu einer ebenfalls öffentlichen Replik: "Betroffene dürfen sich nicht gegenseitig angreifen. Wir dürfen nicht zu dem werden, was wir gerade bekämpfen wollen."
Schon im schwierigen Aufarbeitungsprozess der bundesrepublikanischen Heimerziehung zeigte sich, dass die teils gegensätzlichen Vorstellungen Betroffener mitunter schwer unter einen Hut zu bringen sind. Dieses Muster scheint sich nun im kirchlichen Kontext zu wiederholen.
Zum Beispiel in Münster: Dort haben zu Jahresbeginn zwei Selbsthilfegruppen ihre Zusammenarbeit mit dem Bistum aufgekündigt.
Der Streit geht um die Form der Beteiligung, auch um die Form der Ansprache, sei es durch persönliche Anschreiben oder einen öffentlichen Aufruf über die Medien. Und darum, wer Zugriff auf Adressen hat. Noch scheint das Tischtuch nicht ganz zerschnitten. Der diözesane Interventionsbeauftragte Peter Frings jedenfalls möchte nach eigenem Bekunden die beiden Gruppen wieder ins Boot holen und gemeinsam mit anderen Betroffenen über das weitere Vorgehen beraten.
Es hakt vielfach
Eine Recherche der KNA in Bayern zeigt, dass es auch andernorts hakt.
So ist es in Eichstätt, Passau und Bamberg bisher nicht gelungen, genügend Betroffene für einen Beirat zu gewinnen. Gebraucht werden mindestens fünf. Diese sollen wiederum zwei Mitglieder aus ihren Reihen in die diözesanen Aufarbeitungskommissionen entsenden. Wo das nicht funktioniert hat, werden Betroffene von den Bistümern nun direkt für die Kommissionen rekrutiert. Das scheint zwar durch die Beschlusslage gedeckt, gilt aber nicht als ideal.
Ob wirklich nicht genug Betroffene mitarbeiten wollen oder ob es vor allem bei ihrer (Nicht-)Ansprache hakt, muss offen bleiben. In Bayern haben sich nur das Erzbistum München und Freising und - im zweiten Anlauf - das Bistum Würzburg bei der öffentlichen Ausschreibung strikt an die Rahmenordnung gehalten, die dafür eigens von der Bischofskonferenz mit Rörigs Büro vereinbart wurde.
Ein Problem könnte aber auch in der ungeklärten Frage der Repräsentanz bestehen. Laut Rahmenordnung sollen die Betroffenenbeiräte hinsichtlich Geschlecht und Herkunft sowie institutionellem Kontext ihrer Missbrauchserfahrung möglichst divers zusammengesetzt sein. Die Rückbindung an den größeren Kreis der Betroffenen ist allerdings nicht geregelt. So wird sich immer wieder die Frage stellen, für wen einzelne Betroffene eigentlich sprechen, ob nur für sich oder auch für andere. Letzteres ist schwierig, wenn sie dafür kein Mandat erhalten haben.
Gefahr der Instrumentalisierung
Eine weitere Gefahr besteht in der Instrumentalisierung. "Den Betroffenen fällt keine Helferrolle für die Institution zu", betonte der Jesuit Klaus Mertes - unter anderem in FAZ und "Stimmen der Zeit". Vor allem dürften sie nicht in die Mitverantwortung für Entscheidungen hineingezogen werden, die von der Hierarchie zu fällen seien.
Die jüngsten Vorfälle in Köln wertet Mertes als Paradebeispiel für Misslingen trotz bester Absichten auf beiden Seiten. Man sollte es zum Anlass nehmen, die jeweiligen Rollen neu zu klären - und auch die Kommunikation mit ihnen, empfiehlt der Pater. Zudem sei der Fokus immer noch viel zu oft auf die Wiedergewinnung der Glaubwürdigkeit der Kirche gerichtet - und nicht auf Gerechtigkeit für die Betroffenen.
Die zentrale Frage laute, wie man diese an Aufarbeitung beteiligen kann, ohne sie zu instrumentalisieren, so Mertes. Die Kirche könne ihnen zum Beispiel den Status von Anklägern bei Verfahren gegen Kleriker zugestehen und nicht nur die Rolle von Zeugen. Als weiteren Schritt schlägt Mertes die Einrichtung von Kommissionen vor, die sowohl unabhängig von der Institution Kirche als auch unabhängig von Betroffenenvertretungen sind. Als beispielhaft nennt er die nach der Politikerin und Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic benannte Kommission in Österreich.
Hilft eine Wahrheitskommission?
Die beiden aus dem Kölner Betroffenenbeirat inzwischen ausgeschiedenen Mitglieder, Patrick Bauer und Karl Haucke, haben mit Matthias Katsch indes eine neue, weitergehende Initiative gestartet: In einem offenen Brief appellieren sie an den Bundestag, eine Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission einzusetzen, um das "jahrzehntelange systematische institutionelle Versagen in den Kirchen" zu begleiten. "Die Kirche kann es nicht allein", sind die drei überzeugt. Die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) hat sich als erste ihrer Petition angeschlossen.
Rörig wandte sich im "Kölner Stadt-Anzeiger" aber gegen die Gründung einer Wahrheitskommission. Für solche Vorschläge fehlten die gesetzliche Grundlage und der Wille der Politik. Wenn sie sich für Aufarbeitung interessiere, dann nur im Feld der Kirche. "Sport, Schule, der familiäre Kontext interessieren die Politik noch weniger." Er und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) wollen sich damit aber nicht abfinden. Um eine wirklich unabhängige Aufarbeitung zu unterstützen, müsse die Politik stärker eingreifen.