Schausteller geben Kirmesorgel-Konzerte vor Seniorenheimen

"Es könnte eine Tradition werden"

Auf dem Rummel gehen sie oft unter: Historische Kirmesorgeln, Raritäten, gut 100 Jahre alt. In der Corona-Krise erfreut ihre Musik die Älteren. Denn bundesweit ziehen Schausteller mit den Orgeln vor die Seniorenheime.

Autor/in:
Johannes Senk
Musik der Kirmesorgel für Seniorenheime (shutterstock)
Musik der Kirmesorgel für Seniorenheime / ( shutterstock )

Den freien Tag muss Peter Loosen nutzen: Sein altes "Schätzchen" ist diese tägliche Belastung nicht mehr gewohnt, er muss es dringend reinigen und ausbessern. Das "Schätzchen" ist Baujahr 1911 und wiegt rund 800 Kilo. Es handelt sich um eine historische Kirmesorgel, mit der der Schausteller in der Corona-Krise von Seniorenheim zu Seniorenheim tourt und die Menschen unterhält. Die Bewohner dort kommen sonst kaum noch aus den Häusern heraus.

Herzergreifend – "manche tanzen sogar"

Am Samstag hat Loosen seine Tournee durch Aachen und die umliegenden Gemeinden gestartet. Bis zu vier Konzerte gibt der Vorsitzende des Aachner Schaustellerverbandes seitdem pro Tag, wobei er hauptsächlich für den Transport der Orgel auf seinem Lastwagenhänger zuständig ist. Die Töne erzeugt das mit Luftdruck angetriebene Instrument nämlich von alleine. Operettenmusik der 1920er und 30er Jahre ertönt dann, im Kirmessound interpretiert.

Von der Resonanz ist der Schausteller, der auch einen Autoscooter betreibt, begeistert: "Es ist herzergreifend, die Senioren zu sehen. Manche können leider nur vom Fenster aus zuschauen, viele kommen auch heraus, und manche tanzen sogar." So ist der Tourkalender schnell voll geworden.

Sinnvolles trotz Kirmes-Absagen

Eigentlich sollte Loosen auf der traditionellen Frühjahrskirmes der Stadt, dem "Öcher Bend", arbeiten. Wegen der Corona-Pandemie wurde sie aber abgesagt. "Wir sind in unserer Familie in der achten Generation Schausteller, die Orgel ist ein richtiges Familienerbstück", erzählt der 57-Jährige. "Aber auf der Kirmes wird sie kaum beachtet, sie geht gegenüber den anderen Geschäften vielfach unter."

Auch in Augsburg, Düsseldorf, Essen, Gütersloh und Oberhausen spielen Schausteller mit historischen Orgeln ihren Jahrmarkt-Swing vor Senioreneinrichtungen. Der Bundesverband Deutscher Schausteller und Marktkaufleute (BSM) hat in der Pandemie zu einer Solidaritätsaktion aufgerufen. Die Frauen und Männer helfen mit ihren Transportern und ihrem Know-How bei logistischen Engpässen aus - oder sie verbreiten eben Lebensfreude mit den Orgel-Konzerten.

Angebotslücke für Seniorenheime

Dabei gibt es im ganzen Bundesgebiet nur noch rund 60 bis 70 der historischen Instrumente, schätzt BSM-Vizepräsident Patrick Arens. Mit 15 Exemplaren finden sich die meisten in Nordrhein-Westfalen. Die Orgeln werden nicht mehr produziert und stammen in der Regel vom Anfang des letzten Jahrhunderts. Viele gingen in den Weltkriegen verloren - manche auf andere Weise: "Ein Modell, das ursprünglich aus Dortmund stammte, liegt heute auf dem Grund des Atlantischen Ozeans", berichtet Arens. "Es stand auf der Titanic und ging folglich mit ihr unter." Die "Schwester" der gesunkenen Orgel ist allerdings eins der beiden erhaltenen Exemplare, das noch heute in Dortmund betrieben wird.

Wegen der vielen Anfragen wird Loosen seine Tournee bis mindestens in der Woche nach Ostern fortsetzen. Dann könne bald, so hofft er, der Normalbetrieb weitergehen - vielleicht ja auch mit Orgel. "Ich fände es gut, wenn solche Konzerte häufiger stattfinden", meint der Schausteller. "Ob nun auf dem Kirmesplatz oder wie jetzt vor Seniorenheimen. Es könnte gut eine Tradition werden."


Quelle:
KNA