DOMRADIO.DE: Es sind klare politische Forderungen, die die österreichischen Bischöfe formulieren: In der Sozialpolitik etwa bekennen sie sich zu einem Grundeinkommen, oder sie fordern mehr Klimaschutz. Kommen diese Bekenntnisse jetzt überraschend oder waren die österreichischen Bischöfe schon immer so klar in ihrer Aussage?
Klaus Prömpers (Journalist und Österreich-Experte): Teilweise kommt das schon etwas überraschend. Denn man muss rückblickend auf die letzten zwei Monate sagen: Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise war von den Bischöfen verhältnismäßig wenig zu hören und zu lesen. Es wurden zwar Ostergottesdienste im Fernsehen übertragen. Aber eine gesellschaftspolitische Durchschlagkraft haben die Bischöfe nicht entwickelt. Insofern kommt das Hirtenwort jetzt überraschend, wenn auch manche darin enthaltenen Dinge in der einen oder anderen Form – bei der Caritas oder in anderen Einrichtungen der katholischen Kirche – befürwortet oder anderweitig schon vorangebracht worden sind.
DOMRADIO.DE: In Österreich regiert eine schwarz-grüne Koalition. Haben da sozialpolitische Forderungen wie die nach einem Grundeinkommen aus Ihrer Sicht eine Chance, realisiert oder überhaupt gehört zu werden?
Prömpers: Das lässt sich noch nicht endgültig abschätzen. Denn Teile dieses Programms finden sich durchaus auch in einer ökologischen Sozialpolitik, die ein früherer ÖVP-Vorsitzender vor ungefähr 15 oder 20 Jahren bereits einmal ins Programm der österreichischen Volkspartei hineingeschrieben hat. Dieser Teil des Programms wurde jetzt sozusagen ein wenig zu neuem Leben erweckt, als man in Österreich auf die Koalition mit den Grünen zuging.
Insofern könnte es durchaus eine gewisse Bereitschaft geben, darüber nachzudenken. Ob nun gerade das Grundeinkommen in der Form verwirklicht wird, während es ja beispielsweise in Finnland ausprobiert worden ist und jetzt gerade wieder abgelehnt wird, das wage ich zu bezweifeln. Aber es ist erstaunlich, dass die Bischöfe so etwas fordern.
DOMRADIO.DE: Österreich soll ein faires Kontingent an Flüchtlingen aufnehmen. Auch das fordern die Bischöfe in ihrem Hirtenbrief. Kanzler Sebastian Kurz ist da anderer Meinung. Legen sich die Bischöfe in ihren Forderungen ganz bewusst mit ihm an?
Prömpers: Ich glaube, ja. Denn sie vermissen zweifelsohne in gewisser Weise, dass Kanzler Kurz, der sonst gerne von seiner christlichen Grundhaltung spricht, diese Haltung an dieser Stelle in die Tat umsetzt. Insofern erinnern sie ihn gerne daran. Ich finde es bemerkenswert, dass der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler gemeinsam mit dem Caritasdirektor und anderen dies alles vorgestellt hat. Möglicherweise ist das auch ein Hinweis darauf, wen sich die Bischofskonferenz in Österreich als Nachfolger für den abtretenden Kardinal Schönborn als Vorsitzenden wünscht.
DOMRADIO.DE: Welchen Stellenwert hat denn überhaupt so ein Brief der katholischen Bischöfe in Österreich? Hat das eine politische Relevanz?
Prömpers: In der Form, wie er jetzt geschrieben ist, hat er, glaube ich, schon eine politische Relevanz und wird auch Diskussionen auslösen, die weit über den Tag und weit über das Pfingstfest hinausgehen. Denn es gibt eine Diskussion darüber: Was lehrt uns die Pandemie und wie können wir nach dieser Pandemie neu starten? Das greifen die Bischöfe sehr gut auf, mit vielen guten Ideen über Vertrauen und Zuversicht; Arbeitsplätze neu zuschneiden, Sonntagsarbeit weiterhin verbieten. Aber Arbeitsplätze beispielsweise auch so neu zuschneiden, dass möglichst viele Menschen Arbeit haben. Konsumieren nicht im Übermaß, sondern lokal und maßvoll. All diese Dinge sind durchaus virulent in der Bevölkerung da, in Teilen zumindest.
Die Bischöfe sprechen ganz bewusst auch gegen den Neo-Nationalismus, der sich in der Krise gezeigt hat – innerhalb Europas und auch über Europa hinaus. Alles Anstöße zu einer Diskussion, die ohnehin zurzeit geführt wird. Insofern haben sie da eine neue Stimme gewonnen, wenn man so will.
DOMRADIO.DE: Und welche Wirkungen oder welche Reaktion wird dieser politische Hirtenbrief in Österreich hervorrufen? Diskussionen gibt es ja auf jeden Fall.
Prömpers: Ich denke, wenn man aus der ersten Krise jetzt herauskommt und die Wirtschaft neu ankurbelt, werden sich beispielsweise in der Frage des Grundeinkommens und der Frage der Arbeitszeit, die ja zur Neuverteilung von Arbeit gehören würde, die Gewerkschaften an die Seite der Bischöfe stellen. Es wird eine ganz neue Situation entstehen können, wie man Politik in Zukunft besser gestalten kann.
Bisher ist diese Politik ja sehr zentralistisch, vom Kanzler aus betrachtet, gestaltet worden. Jetzt kommt da eine ganz neue Stimme ins Spiel, die bisher in der Vergangenheit so gar nicht gesprochen hatte, sieht man von Papst Franziskus ab. Das wird sicherlich Diskussionen hervorrufen, die sich dann irgendwann auch in neuen Gesetzen niederschlagen könnten.