DOMRADIO.DE: Angela Merkel wurde im Bundestag verabschiedet. Sie saß auf der Besuchertribüne neben Norbert Lammert, Wolfgang Thierse, dem früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck und Nikola Eterovic, dem Apostolischen Nuntius, also Papstbotschafter in Deutschland. Wie haben Sie diesen Moment erlebt?
Prälat Dr. Karl Jüsten (Leiter des Katholischen Büros in Berlin): Das war schon sehr bewegend. Wir hatten ja die Verabschiedung von der Bundeskanzlerin, einen Großen Zapfenstreich, das war schon bewegend. Aber jetzt auch im Parlament, wo alle Volksvertreterinnen und Volksvertreter da waren, war zu sehen, dass sich dort mit Ausnahme der AfD alle von ihren Plätzen erhoben hatten, um dieser langjährigen Kanzlerin, auch der großen Kanzlerin, auf diese Weise Ehre und Dank abzustatten. Das war schon ergreifend und das war auch sicher auch ergreifend, dabei sein zu dürfen.
DOMRADIO.DE: Sie haben es gesagt: Die AfD hat quasi nicht reagiert. Wie reagieren Sie auf so was?
Jüsten: Ich vermute mal, die Kanzlerin wird es gefreut haben, dass sie sitzen geblieben sind. Ich vermute mal, auf Darbietungen der AfD wird sie nicht erpicht sein. Für mich sind das Stilfragen. Ich finde, man sollte ein so guter Demokrat sein, dass man die Lebensleistung auch eines politischen Gegners anerkennen kann.
DOMRADIO.DE: Schauen wir auf Olaf Scholz. Wie bewerten Sie, dass der neue Bundeskanzler den Satz "So wahr mir Gott helfe" nicht gesprochen hat?
Jüsten: Ich kenne Olaf Scholz schon seit vielen Jahren. Er ist ein Mann, der von sich selber sagt, dass er an Gott so nicht glauben kann. Und ich finde, wenn einer das so nicht tun kann, dann sollte er auch nicht die Eidesformel verwenden, wo er sich auf Gott bezieht. Von daher halte ich das für ehrlich und authentisch. Er ist ja auch nicht der erste Bundeskanzler, der auf diesen Zusatz verzichtet.
Entscheidend ist allerdings nicht so sehr, dass er diese Formel nutzt oder eben nicht benutzt, sondern wie er handelt. Und da habe ich große Erwartungen an ihn, dass er im Grunde genommen dem Grundgesetz Folge leistet und dass er ein Kanzler werden wird, der die damit verbundenen Werte und die ethischen Grundhaltungen einhält. Und da bin ich bei ihm sehr zuversichtlich.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben wir eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Gleichzeitig ist im neuen Bundestag der Anteil der Konfessionslosen von 7,5 auf über zehn Prozent gestiegen. Kann das in Ihrem Sinne sein? Eigentlich nicht, oder?
Jüsten: Zunächst einmal ist das ja auch ein Widerhall des Spiegels der Gesellschaft. Es ist sogar faktisch so, dass mehr Konfessionslose in der Gesellschaft sind als sozusagen proportional im Deutschen Bundestag. Von daher können wir eigentlich froh sein, dass sich im Bundestag so viele zu einem religiösen Bekenntnis durchringen und das auch öffentlich machen. Der eine oder andere, der vielleicht Muslim ist, ist es ja nicht so gewohnt, sein Bekenntnis öffentlich zu machen und kann natürlich auch dazugehören, sodass insgesamt doch der Anteil derer, die religiös gebunden sind, sehr groß ist.
Das beunruhigt mich jetzt nicht, ob die Zahl jetzt um zweieinhalb Prozent gestiegen ist oder nicht. Auch hier gilt: Entscheidend ist, wie die Abgeordneten sich verhalten, ob sie kluge, ethisch verantwortbare, am Gemeinwohl orientierte Entscheidungen treffen.
DOMRADIO.DE: Und wie zuversichtlich schauen Sie auf Ihre Zusammenarbeit mit der neuen Regierung?
Jüsten: Ich kenne die meisten von den Mitgliedern der deutschen Bundesregierung schon seit vielen Jahren und habe zu denen allen ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis aufbauen können. Es sind einige neue Gesichter dabei, die aus den Ländern kommen. Die werde ich sicher alsbald kennenlernen. Das sind alles Menschen, von denen ich von meinen Kollegen aus den Länderbüros weiß, wie verantwortungsvoll sie handeln, so dass ich da guter Dinge bin.
DOMRADIO.DE: Der Papstbotschafter, Erzbischof Nikola Eterovic war auch im Bundestag dabei. War das etwas Besonderes oder ganz normal, dass der Nuntius heute mit dabei war im Bundestag?
Jüsten: Normalerweise ist ja immer das diplomatische Korps bei solchen Anlässen eingeladen. Coronabedingt war er jetzt eher der Repräsentant für alle Diplomaten. Und deshalb hat er auch das Glück gehabt, auf dieser Tribüne zu sitzen, auf der die Bundeskanzlerin saß.
Normalerweise haben die Diplomaten eine eigene Ehrentribüne. Die wurde jetzt aber auch noch für Mitglieder des Deutschen Bundestages gebraucht , die sich nicht testen lassen wollen oder nicht geimpft sind.
Das Interview führte Martin Mölder.