Essens Generalvikar kritisiert Überhöhung von Amtsträgern

"Teilweise sehr autoritäre Züge"

Viele Gläubige reagieren immer noch erschüttert auf die bekannt gewordenen Missbrauchs-Verdachtsfälle gegen Franz Kardinal Hengsbach, sagt Essens Generalvikar Klaus Pfeffer. Er betont die Betroffenenperspektive und übt Selbstkritik.

Abbau der Skulptur von Franz Hengsbach / © Olaf Biernat (KNA)
Abbau der Skulptur von Franz Hengsbach / © Olaf Biernat ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie ist die Situation aktuell in Ihrem Bistum? Wie haben die Essener, die Gemeinde, die Bistums-Mitarbeiter reagiert?

Klaus Pfeffer / © Harald Oppitz (KNA)
Klaus Pfeffer / © Harald Oppitz ( KNA )

Klaus Pfeffer (Generalvikar im Bistum Essen): Es ist eine tiefe Erschütterung, die überall zu spüren ist und das in vielerlei Hinsicht. Zum einen wird deutlich, welch eine hohe Bedeutung der Gründerbischof Franz Hengsbach, für viele Menschen nach wie vor hier hat.

Es gibt noch viele Ältere, die ihn kannten. Aber auch Jüngere sind zumindest über die Übermittlung ihrer Eltern und Großeltern davon geprägt, dass er verehrt wurde wie eine "Lichtgestalt". Das erschüttert jetzt viele, weil sich das viele gar nicht vorstellen können.

Es kommt aber auch hinzu, dass sich inzwischen relativ viele Menschen bei uns melden, die deutlich machen, Franz Hengsbach war eine ambivalente Persönlichkeit. Sie sprechen über ihre nicht so erfreulichen Erfahrungen mit ihm. Das ist lange Zeit bei uns im Bistum nicht besprechbar gewesen.

Franz Hengsbach war natürlich eine bedeutende Figur fürs Ruhrgebiet, eine Identifikationsfigur, aber auch ein sehr konservativer Vertreter des Bischofsamtes, der teilweise sehr autoritäre Züge haben konnte.

DOMRADIO.DE: Sind inzwischen weitere Missbrauchsvorwürfe bei Ihnen eingegangen?

Pfeffer: Das können wir im Moment nicht sagen. Es hat eine ganze Reihe von Meldungen gegeben, zu denen unsere Ansprechpersonen jetzt Gespräche führen, auch Meldungen, die sehr ernst zu nehmen sind. Aber man kann im Moment noch nicht sagen, ob es noch weitere Betroffene gibt. Das muss jetzt erst in den Gesprächen geprüft werden.

Das sind unabhängige Ansprechpersonen, sodass sich die Personen nicht direkt bei uns als Bistumsleitung melden. Aber es ist eben auffallend, dass es zumindest eine ganze Menge an Rückmeldungen gibt, die in eine Art Kategorie gehören über persönliche, nicht ganz so erfreuliche Erfahrungen mit dem Kardinal zu erzählen.

DOMRADIO.DE: Kardinal Hengsbach war von 1961 bis 1978 katholischer Militärbischof. Um diese Zeitspanne soll es bei den Untersuchungen gehen. Das ist die Ankündigung der Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs des Erzbistums Berlin, der Bistümer Görlitz und Dresden/ Meißen und der Katholischen Militärseelsorge. Gibt es da eine Zusammenarbeit mit Ihrem Bistum?

Pfeffer: Ich habe das heute auch gehört. An diesem Punkt sind wir noch nicht. Was allerdings für uns klar ist, wir sind zum einen natürlich im Gespräch mit dem Institut, das unsere Aufarbeitungsstudie geleitet hat. Unsere Aufarbeitungskommission befindet sich im Moment in der Konstituierung. Da ist auch eine Verbindung da.

Worüber wir uns sehr einig sind, ist, dass wir die Geschichte um Kardinal Hengsbach aufarbeiten müssen. Da braucht es aber eine sehr umfassende Sicht. Da geht es auch um das Erzbistum Paderborn, die mit betroffen sind, denn da kommt er her. Es geht sicherlich auch ein Stückchen um Adveniat. Er war lange Zeit Adveniat-Bischof. Es geht auch um die Erfahrungen als Militärbischof. Das muss, so glaube ich, alles zusammengeführt werden.

An diesem Punkt sind wir im Moment noch nicht, da alles noch relativ frisch ist. Aber da müssen wir tatsächlich in den nächsten Wochen und Monaten ins Gespräch kommen, wie das sein konnte. Dafür sind sehr viele Beteiligte zusammenzuführen.

DOMRADIO.DE: Neben der Aufarbeitung geht es darum, wie gehen wir mit der Erinnerungskultur um, oder?

Klaus Pfeffer

"Wir neigen dazu und vielleicht in der Vergangenheit noch stärker als heute, Persönlichkeiten schnell zu idealisieren, auf ein Podest im wahrsten Sinne des Wortes zu stellen."

Pfeffer: Es geht um die Erinnerungskultur. Aber ich glaube, dass das, was wir jetzt im Moment mit Kardinal Hengsbach erleben, macht auch auf etwas ganz anderes aufmerksam. Wir neigen dazu und vielleicht in der Vergangenheit noch stärker als heute, Persönlichkeiten schnell zu idealisieren, auf ein Podest im wahrsten Sinne des Wortes zu stellen.

In der katholischen Kirche ist das oft sehr stark mit dem Amt verbunden. Das wird hier an diesem Beispiel deutlich, in welcher Weise das geschehen ist, dass es auch bestimmte Gefahren birgt, weil man plötzlich die ambivalenten Seiten einer Persönlichkeit gar nicht mehr sieht.

Das erleben wir im Moment auch an vielen Reaktionen, an denen deutlich wird, dass man plötzlich auch mal etwas offener über die Schattenseiten spricht. Natürlich sind die Missbrauchsvorwürfe von einer ganz anderen Dimension und Qualität. Das erschüttert noch mal in einer besonderen Weise.

Aber die Frage, wie wir mit dem Amt umgehen, wie wir es überhöhen, wie wir Persönlichkeiten auf einen Sockel stellen, aus welchen Gründen auch immer, das gilt es sehr radikal zu hinterfragen, weil es große Gefahren birgt.

Man denkt plötzlich, es könnte Menschen geben, die sind Lichtgestalten, die sind ausschließlich gut und dann kann man plötzlich das Ambivalente gar nicht mehr sehen. Oder man entwickelt eine Neigung, davon zu träumen, dass es tatsächlich solche Menschen geben könnte, die eine komplett reine Weste haben. Die gibt es aber nicht. Das könnte vielleicht auch unser Amtsverständnis noch mal relativieren.

DOMRADIO.DE: Sie haben im Bistum Essen schnell reagiert und ein deutliches Zeichen gesetzt. Sie haben die Statue von Kardinal Hengsbach entfernen lassen. Haben Sie in Ihrem Bistum auch andere Möglichkeiten diskutiert? Zum Beispiel den Vorschlag der Künstlerin Silke Rehberg, die Skulptur auf den Kopf zu stellen?

Pfeffer: Sie hat sich dazu, zum einen schon selber auch in der Presse geäußert. Es gab auch Kontakte mit Vertretern des Domkapitels. Natürlich haben wir das abgewogen. Aber für uns war sehr klar, dass wir jetzt eine Situation haben, in der es angemessen ist, das Denkmal zunächst einmal zu entfernen und vor allem mit den Betroffenen von sexueller Gewalt ins Gespräch zu kommen. Denn um sie geht es.

Wir müssen lernen, auch die Entwicklungen in unserer Kirche aus deren Perspektive zu sehen, gerade in einer solchen Frage. Darum haben wir entschieden, dass wir zuerst mit dem Betroffenenbeirat das Gespräch suchen, um mit diesem Gremium, mit den Betroffenen gemeinsam zu überlegen, was kann an diesem Ort geschehen.

Unser Ziel ist vielleicht, einen Erinnerungsort zu schaffen, der daran erinnert, dass es viele Menschen gibt und gab, die zu Betroffenen sexueller Gewalt geworden sind. Dass in diesem Zusammenhang auch darüber gesprochen werden muss, was kann mit der Skulptur passieren, - kann mit ihr überhaupt noch etwas passieren und wenn ja, wie - das werden wir noch in Ruhe beraten müssen.

DOMRADIO.DE: Auch andere Einrichtungen und Orte sind nach Kardinal Hengsbach benannt.

Klaus Pfeffer

"Denn das beinhaltet eine solche Idealisierung, die dann, wenn plötzlich so gravierende Schattenseiten deutlich werden, auch in sich zusammenfallen."

Pfeffer: Ja, das ist auch bezeichnend, dass wir jetzt sehr schnell diese Diskussion losbrechen. Ich kann verstehen, dass manche das etwas kritisch sehen, warum man so schnell Straßen umbenennt oder ähnliches. Ich glaube, dass auch das noch mal zeigt, dass wir in Zukunft, unabhängig von der katholischen Kirche, sehr zurückhaltend sein sollten, Menschen Denkmäler zu setzen oder nach Menschen, Straßen und Plätze zu benennen. Denn das beinhaltet eine solche Idealisierung, die dann, wenn plötzlich so gravierende Schattenseiten deutlich werden, auch in sich zusammenfallen.

DOMRADIO.DE: Was ist für Sie persönlich die größte Herausforderung im Umgang mit den Missbrauchsvorwürfen gegen den verstorbenen Kardinal?

Pfeffer: Die größte Herausforderung ist sehr vielschichtig. Zum einen zu rekapitulieren, dass auch wir in der Vergangenheit diesen klassischen Mustern erlegen sind. Unser Bischof hat dazu auch jetzt in diesen Tagen selber bekannt, dass im Jahre 2011 Vorwürfe in Paderborn eingegangen sind, die in Paderborn und in Rom als nicht plausibel bewertet wurden.

Das hat letztlich dazu geführt, dass unser Bischof diesen Vorgang für sich als abgeschlossen betrachtete. Jetzt erleben wir, dass wir im vergangenen Jahr eine betroffene Person hatten, die Vorwürfe vorgetragen hat, die für uns so plausibel waren, dass wir sagen müssen, wir müssen da genauer hingucken.

Dann wird plötzlich offenbar, wie leichtfertig wir in der Vergangenheit - und damit meine ich die gesamte katholische Kirche – mit Meldungen von Betroffenen umgegangen sind. Damit sind wir diesen Mustern verfallen, die viele Betroffene sexueller Gewalt auch in anderen Zusammenhängen erleben.

Klaus Pfeffer

"Das ist eine fatale Reaktion, weil wir in den letzten Jahren gelernt haben, aus all den Einblicken in die Abgründe des sexuellen Missbrauchs, dass nichts mehr unglaublich ist".

Es wird ihnen erst mal nicht geglaubt, weil das, was sie schildern, so unglaublich ist. Das ist eine fatale Reaktion, weil wir in den letzten Jahren gelernt haben, aus all den Einblicken in die Abgründe des sexuellen Missbrauchs, dass nichts mehr unglaublich ist und dass wir tatsächlich sehr ernst nehmen müssen, wenn Betroffene sich melden. Das ist schon sehr herausfordernd.

Das Interview führte Dagmar Peters. 

Franz Hengsbach

In seinem Bischofsring trug er ein Stück Ruhrkohle - Zeichen seiner Verbundenheit mit dem Ruhrgebiet. Umgekehrt bezeichneten ihn die Kumpel als "unser Franz". Der erste Ruhrbischof, Kardinal Franz Hengsbach, war eine der profiliertesten Persönlichkeiten der katholischen Kirche Deutschlands in den Nachkriegs-Jahrzehnten. Nun machte das Bistum Essen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen ihn öffentlich.

Kardinal Franz Hengsbach (KNA)
Kardinal Franz Hengsbach / ( KNA )
Quelle:
DR