Immer wieder hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker betont, er wolle die "soziale Dimension" der Union stärken. Kommende Woche ist es soweit, die Kommission will voraussichtlich am Mittwoch entsprechende Vorschläge vorlegen.
Christliche und soziale Organisationen fordern bereits seit langem solch einen Vorstoß. Dabei berufen sie sich auf den Vertrag von Lissabon. Dort steht in Artikel 3, die Union wirke auf eine soziale Marktwirtschaft hin, "die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt". Weiter heißt es: "Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes."
Soziale Marktwirtschaft als Leitbild
"Es ist erfreulich zu sehen, dass die Europäische Kommission die soziale Dimension mit Leben füllen möchte", sagt Markus Vennewald, Referent für soziale Angelegenheiten bei der EU-Bischofskommission COMECE. "Denn mit Besorgnis sehen wir, dass die EU entgegen ihrem Gründungsgedanken seit 2009 sozial wie wirtschaftlich auseinander wächst und plädieren dafür, das Vertragsziel der sozialen Marktwirtschaft mit klaren Instrumenten auszustatten."
Bereits 2011 hatten sich die Bischöfe der COMECE für die soziale Marktwirtschaft als wirtschaftspolitisches Leitbild der EU ausgesprochen und dies mit der Forderung nach einer Stärkung der EU-Sozialpolitik verbunden. "Die soziale Marktwirtschaft hat sich in vielen Mitgliedstaaten der Union bewährt", schrieben die Bischöfe. In der jüngst vorgestellten Armutserklärung betont die COMECE, dass aus Sicht der katholischen Soziallehre Armut zumeist das Ergebnis von strukturellen Barrieren sei.
Blick auf soziale Bedingungen
In ihrem Konsultationsbeitrag zur Säule der sozialen Rechte fordert die COMECE etwa die Bekämpfung "prekärer Arbeitsbedingungen". Sie schlägt vor, im Europäischen Semester nicht nur länderspezifische Empfehlungen zur Wirtschaftspolitik, sondern auch zur Sozialpolitik zu geben. "Ähnlich wie die wirtschaftliche Entwicklung könnte das Europäische Semester noch stärker die soziale Lage in den Ländern unter die Lupe nehmen", sagt Vennewald. Auf Basis gemeinsamer Ziele könne die EU mit den Mitgliedsstaaten Empfehlungen ausarbeiten, wie die Länder bestimmte soziale Bedingungen wie etwa den Zugang zu Bildung verbessern können, so der COMECE-Referent.
Auch Papst Franziskus hatte in seiner Rede zur Karlspreisverleihung im Mai 2016 eine Suche nach neuen Wirtschaftsmodellen, die in höherem Maße inklusiv und gerecht seien, gefordert. "Das verlangt den Übergang von einer 'verflüssigten' Wirtschaft zu einer sozialen Wirtschaft", sagte er damals. Es müsse in Menschen investiert werden, indem die Wirtschaft Arbeitsplätze und Qualifikationen schaffe. Nur so könnten "neue Perspektiven und konkrete Gelegenheiten zur Integration und Inklusion" geschaffen werden. Dann sei es möglich, neu von "jenem Humanismus zu träumen, dessen Wiege und Quelle Europa einst war", so der Papst.
Soziale Dimension der EU
Die soziale Dimension der EU stärken - das ist auch das Ziel von 47 Nichtregierungsorganisation, die sich im Verband "SocialPlatform" zusammengeschlossen haben. Verbandspräsidentin Jana Hainsworth sagte, in Zeiten von wachsendem Populismus und einer EU, die oft als "verschwenderisch" wahrgenommen werde, sei es wichtiger denn je, eine "ehrgeizige Sozialagenda" vorzulegen. "Die Europäische Säule sozialer Rechte muss deutlich machen, dass es die EU und ihre Mitgliedstaaten ernst meinen mit der Schließung der Lücke zwischen 'Haben' und 'Nicht-Haben'", so Hainsworth. Investitionen in soziale Anliegen würden aus ihrer Sicht langfristig für Einsparungen sorgen. Die EU solle Mitgliedstaaten daher mehr Flexibilität im Haushalt für soziale Investitionen gewähren.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Kommissionsinternen Quellen zufolge soll es am Mittwoch neben einer Erklärung zu sozialen Prinzipien ähnlich wie in den 80er Jahren auch eine Kommunikation zur sozialen Dimension der EU sowie zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf geben. 1989 hatte der Europäische Rat die unverbindliche Sozialcharta "Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte" verabschiedet. Es war eine Willenserklärung der Mitgliedstaaten - nur Großbritannien nahm nicht teil - mit 47 konkreten Zielen. Darunter etwa auch Richtlinien zu Mutterschutz, Arbeitszeit und Entsendung. Diese sorgen auch heute noch für kontroverse Diskussionen im Rat.