domradio.de: Sie kritisieren nicht nur die Arbeitsbedingungen vor Ort, sondern auch die Rolle des IOC. Was fordern Sie von den Sportfunktionären?
Barbara Lochbihler (Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte im Europaparlament und Grünen-Politikerin): Sie sollen dafür sorgen, dass die Arbeitsmigranten, auch in diesem Fall sind es viele aus Zentralasien oder auch aus Bosnien, unter Bedingungen auf den Sportstätten arbeiten können, die den internationalen Normen entsprechen. Wir haben gut dokumentiert, dass das nicht geschehen ist. Dass die Arbeiter teilweise auf ihren niedrigen Lohn haben warten müssen. Dass sie ihn gar nicht bekommen haben. Dass man ihnen keine Pause zugestanden hat. Viele hatten überhaupt keinen Arbeitsvertrag, und können sich jetzt auch nicht irgendwo hinwenden, dass sie etwas bekommen. Ich denke, hier hat das IOC eine konkrete Verantwortung, denn sie sind ja auch in diesen Sportstätten. Und ich denke, dass das IOC das wiederholt in Russland nicht gemacht hat, aber auch schon in China nicht gemacht hat. Immer wenn sie planen, Olympische Spiele zu vergeben, dann sollten sie sich die Situation in dem Land genau anschauen und sollten Zielvereinbarungen machen. Konkret vereinbaren, was in diesem Land sich bei den Menschenrechten ändern muss, damit es dann zu einer Vergabe kommt. Wenn Sie das nicht tun, weil sie sagen, dass ist nicht ihre Aufgabe, dann verkennen Sie sehr ihre Verantwortung, die ja auch eng mit der olympischen Idee verknüpft ist, dass man eigentlich ein humanitäres Miteinander hat.
domradio.de: Wladimir Putin hat jetzt angekündigt, doch noch nachträglich 6.000 Arbeitern einen Lohn nachzuzahlen. Wie schätzen Sie solche Vorhaben ein?
Lochbihler: Es wird schwierig sein, das umzusetzen. Die Leute hatten ja teilweise überhaupt keinen Arbeitsvertrag. Geschweige denn, dass man weiß, wo sie sich jetzt befinden. Sie sind so über Mittelsmänner ins Land gekommen. Es ist wahrscheinlich eher eine schnelle Reaktion, um die Kritik zurückzuweisen. Sicher ist es notwendig, dass die Arbeiter den Lohn bekommen. Ich kann nur hoffen, dass die russische Regierung bis dann auch detailliert nachhält und aktiv sucht, dass die Leute an ihren Lohn kommen. Bereits 2010/2011 haben Arbeiter protestiert, auch bei russischen Behörden, bei Arbeitsinspektionen, dass die Arbeitsbedingungen nicht okay sind. Da hat die zuständige Behörde ganze fünf Fälle wahrnehmen können, die schlecht behandelt wurden. Da muss ich doch davon ausgehen, dass man das Problem nicht sehen wollte und warum sollte man es jetzt, nachdem man die Arbeitsleistung ja hat, wirklich lösen wollen.
domradio.de: Einerseits geht es bei Olympischen Spielen um Sport, im besten Fall um friedliche Wettkämpfe. Andererseits werden dann immer wieder Länder ausgewählt , wie zum Beispiel China oder jetzt eben Russland, die immer wieder wegen der Missachtung der Menschenrechte kritisiert werden. Hört man Sie da mit ihren Forderungen und Mahnungen einfach nicht?
Lochbihler: In dem Moment, wo dann die Medien einen Spotlight auf die Spiele haben, da wird die Kritik schon gehört. Da gibt es dann auch Gespräche. Aber die Grundlagen, dass man eben vor der Vergabe harte Kriterien ansetzt, was sich ändern muss, die gibt es nicht. Zum Beispiel in Russland hätte man sagen können 'Dieses Gesetz zur Gängelung der unabhängigen, nichtstaatlichen Organisationen, das muss rückgängig gemacht werden'. Da hätte man eigentlich den größten Einfluss, und da hören die großen Funktionäre einfach nicht hin. Es reicht ihnen, wenn sie eine gute PR haben und sie ziehen daraus, dass es wohl eine russische Angelegenheit ist.
domradio.de: Heute um 17 Uhr geht es erstmal los, dann starten die Olympischen Winterspiele. Wie kann man sich verhalten, ihrer Meinung nach, wenn man ihrer Meinung ist und seinen Protest zum Ausdruck bringen will. Den Fernseher einfach ausstellen, und die Spiele einfach boykottieren?
Lochbihler: Wir persönlich haben Parteitag in Dresden, ich habe gar keine Zeit zum Ausschalten oder Einschalten. Ich denke, dass muss man jedem selber überlassen. Ich rufe ja nicht zu einem Boykott der Spiele auf, sondern ganz konkret, dass Menschenrechte korrigiert werden. Ich denke aber, dass es gute symbolische Politik aber auch deutliche Politik ist, wenn hochrangige Politiker nicht an der Eröffnungsveranstaltung teilnehmen, weil die Regierung Putin ja eigentlich eine große Show haben möchte. Da kann man sagen 'Moment, so toll sind die Spiele nicht. Ihr habt eine Menschenrechtssituation im eigenen Land, die wir auch ohne die Olympischen Spiele immer wieder kritisieren'. Deshalb fahre ich als hochrangiger Politiker nicht hin.
Das Interview führte Daniel Hauser