Evangelische Kirche stellt Missbrauchsstudie vor

9.355 Missbrauchsopfer und 3.497 Beschuldigte

Die Zahl der Missbrauchsopfer in der evangelischen Kirche und Diakonie ist höher als bislang angenommen. Laut einer Studie sind seit 1946 in Deutschland nach einer Hochrechnung 9.355 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden.

EKD-Missbrauchsstudie / © Daniel Pilar (KNA)
EKD-Missbrauchsstudie / © Daniel Pilar ( KNA )

Die Zahl der Beschuldigten liegt bei 3.497. Rund ein Drittel davon seien Pfarrpersonen, also Pfarrer oder Vikare. Bislang ging die evangelische Kirche von rund 900 Missbrauchsopfern aus. Die Forum-Studie wurde von einem unabhängigen Forscherteam erarbeitet und in Hannover veröffentlicht.

Nach Angaben der Wissenschaftler zeigt die Untersuchung nur die "Spitze der Spitze des Eisbergs". Ausgewertet wurden demnach rund 4.300 Disziplinarakten, 780 Personalakten und rund 1.320 weitere Unterlagen. Zum Vergleich: Bei der MHG-Studie der katholischen Deutschen Bischofskonferenz 2018 wurden rund 38.000 Personalakten durchgesehen.

Beschuldigte fast ausschließlich Männer

Weiter heißt es in der Forum-Studie, dass rund 64,7 Prozent der Opfer männlich und rund 35,3 weiblich waren. Bei den Beschuldigen handelt es sich demnach fast ausschließlich um Männer (99,6 Prozent). Rund drei Viertel von ihnen waren bei der Ersttat laut Studie verheiratet.

Bei der Schwere der Tat gibt es demnach eine große Spannweite: Bei den meisten Taten handelt es sich aber um sogenannte Hands-on-Handlungen, das heißt, es gab einen Körperkontakt mit den Opfern - von nicht notwendigen körperlichen Hilfestellungen im Sportunterricht bis hin zur Penetration. 

Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr (dpa)
Gedruckte Ausgaben der Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche liegen auf einem Tisch / © Sarah Knorr ( dpa )

Die EKD hatte die Studie vor gut drei Jahren für rund 3,6 Millionen Euro in Auftrag gegeben. Die Forscher sollten alle Landeskirchen sowie die Diakonie mit einbeziehen. Die Studie enthält sechs Teilstudien, in denen Ursachen und Besonderheiten von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche untersucht werden. Auch Betroffene waren beteiligt. Ziel ist eine Gesamtanalyse evangelischer Strukturen und systemischer Bedingungen, die sexualisierte Gewalt begünstigen und ihre Aufarbeitung erschweren.

Das Forscherteam arbeitet unter dem Titel "Forum - Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland". Koordiniert wird es von dem Professor für Soziale Arbeit an der Hochschule Hannover, Martin Wazlawik.

Bischöfin Fehrs zeigt sich erschüttert

Die kommissarische Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat sich erschüttert über das Ausmaß des Missbrauchs bei den Protestanten gezeigt. Sie bitte die Missbrauchsbetroffenen um Entschuldigung, sagte Bischöfin Kirsten Fehrs am Freitag in Hannover bei der Vorstellung einer umfangreichen Aufarbeitungsstudie. "Wir haben uns auch als Institution an unzählig vielen Menschen schuldig gemacht."

Kirsten Fehrs, amtierende Vorsitzende des Rates der EKD, spricht bei einer Pressekonferenz zur Vorstellung einer Studie zum Missbrauch in der evangelischen Kirche / © Julian Stratenschulte (dpa)
Kirsten Fehrs, amtierende Vorsitzende des Rates der EKD, spricht bei einer Pressekonferenz zur Vorstellung einer Studie zum Missbrauch in der evangelischen Kirche / © Julian Stratenschulte ( dpa )

"Das Gesamtbild hat mich zutiefst erschüttert", sagte Fehrs. Kinder, Jugendliche und Erwachsene hätten im Umfeld von Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen schwere Verletzungen durch physische und psychische Gewalt mit lebenslangen Folgen erfahren. Betroffenen seien nicht geglaubt worden. "Wir haben täterschützende Strukturen", so Fehrs.

Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist die Gemeinschaft der 20 evangelischen Landeskirchen in der Bundesrepublik. Wichtigste Leitungsgremien sind die EKD-Synode mit ihren Mitgliedern, die Kirchenkonferenz mit Vertretern der Landeskirchen sowie der aus ehrenamtlichen Mitgliedern bestehende Rat. Sitz des EKD-Kirchenamtes ist Hannover.

Synode der EKD / © Norbert Neetz (epd)
Synode der EKD / © Norbert Neetz ( epd )
Quelle:
KNA