Evangelischer Theologe kritisiert Aussagen in Benedikt-Buch

"Apokalyptische Zuspitzung"

Benedikt XVI. macht Schlagzeilen über den Tod hinaus. In einem Buch mit bisher unveröffentlichten Aufsätzen schließt er ein gemeinsames Abendmahl von Katholiken und Protestanten definitiv aus. Was bedeutet das für die Ökumene?

Kuppel des Petersdoms vor dunklem Himmel / © Cristian Gennari (KNA)
Kuppel des Petersdoms vor dunklem Himmel / © Cristian Gennari ( KNA )

DOMRADIO.DE: Benedikt XVI. schreibt in seinem Buch: "Wegen ihrer völlig entgegengesetzten theologischen Grundlagen ist es ganz klar, dass 'Abendmahl' und 'Messe' zwei grundverschiedene Formen des Kults sind, die einander von ihrem Wesen her ausschließen." Sie dagegen sprechen sich ja für genau eine solche gemeinsame Mahlfeier aus. Was würden Sie ihm da entgegnen?

Volker Leppin / © Harald Oppitz (KNA)
Volker Leppin / © Harald Oppitz ( KNA )

Prof. Dr. Volker Leppin (Evangelischer Theologieprofessor an der Universität Yale und Herausgeber des Dokuments "Gemeinsam am Tisch des Herrn" nach einem Votum des ökumenischen Arbeitskreises): Man müsste natürlich den Kontext genauer kennen. Wir sind jetzt alle in der Situation, nur diese paar Zitate zu haben. Der Ton "grundverschieden" – oder andere Übersetzungen sagen "entgegengesetzt" –, der klingt so ein bisschen apokalyptisch. Man kann die Dinge gar nicht miteinander vereinbaren.

Jetzt ist es ja so, dass wir im ökumenischen Gespräch wissen: Es gibt Unterschiede. Auch unser Dokument "Gemeinsam am Tisch des Herrn" benennt diese Unterschiede. Die Frage ist immer, wie tiefgreifend sind diese Unterschiede? Und dann würde ich einfach bei der Überprüfung dessen, worauf die Unterschiede basieren, den Ratschlägen folgen, die Joseph Ratzinger selbst in den späten 1960er-Jahren gegeben hat, als er von einem katholischen "sola scriptura" gesprochen hat, einem katholischen Schriftprinzip. Schauen wir zusammen in die Schrift.

Das haben wir in "Gemeinsam am Tisch des Herrn" getan. Und bei einem solchen Blick überwiegt das Gemeinsame: Die Einladung durch Jesus Christus. Jesus Christus, der sich selbst schenkt, das ist zunächst einmal die Grundlage, von der katholisches wie evangelisches Verständnis ausgeht. Auf einer solchen gemeinsamen Grundlage kann ich ein grundverschiedenes Abendmahlsverständnis nicht erkennen. Unterschiede ja, aber diese apokalyptische Zuspitzung in der Begrifflichkeit ist vielleicht auch ein bisschen Ausdruck der Stimmung des emeritierten Papstes in seinen letzten Lebensjahren.

DOMRADIO.DE: Die Kritik von Benedikt geht aber über die Frage der Mahlfeier hinaus, stellt er doch grundsätzlich Martin Luther zur Debatte. Luther habe einen Gegensatz des Priesterbildes im Alten und Neuen Testament gesehen, den die Katholiken so nicht ausmachen. Benedikt kritisiert hier aber auch die Unschärfe der Definitionen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das Thema sei eine Wunde, die viel zu lange ignoriert worden sei und jetzt endlich offen angegangen werden müsse. Hat er recht in Ihren Augen?

Prof. Dr. Volker Leppin (Evangelischer Theologieprofessor und Herausgeber des Dokuments "Gemeinsam am Tisch des Herrn")

"Da habe ich als evangelischer Theologe doch den Eindruck, in der katholischen Theologie hat ein Konzil mehr Gewicht als ein emeritierter Papst"

Leppin: Zunächst mal sein Blick auf Luther: Es ist ja keine Frage, Luthers Antijudaismus ist furchtbar und sein Umgang mit der hebräischen Bibel entspricht dem, was wir heute sagen können und mit ihrer Zuspitzung, alles führt auf Christus hin, in keiner Weise mehr. Wir würden noch heute die hebräische Bibel als ein Zeugnis lesen, das im Christentum wie im Judentum weitergeführt wird.

Das Interessante ist, dass Ratzinger bzw. Benedikt selbst ganz einig mit Luther ist. Das Alte Testament, wie es dann in diesen theologischen Ansätzen genannt wird, wird von Christus her gelesen. Das macht Ratzinger wie Luther, sodass ich auch da diesen Unterschied nicht sehen kann. Worauf er sich in dieser Aussage wahrscheinlich bezieht, ist, dass Luther vom Hebräerbrief her sagt: Jesus Christus hat ein für alle Mal das Opfer gebracht. Das ist ein ganz zentraler Satz Luthers, aber auch der Bibel selbst. Insofern müsste sich ja auch an der Stelle wieder Benedikt mit der Bibel auseinandersetzen.

Bei den Aussagen über das Zweite Vatikanische Konzil hört man wie an vielen anderen Stellen bei ihm ein bisschen heraus, dass er nicht zufrieden gewesen ist mit der Weise, wie das Zweite Vatikanum ausgelegt wurde. Jetzt klingt doch durch, auch mit dem Zweiten Vatikanum selbst. Da habe ich als evangelischer Theologe doch den Eindruck, in der katholischen Theologie hat ein Konzil mehr Gewicht als ein emeritierter Papst.

Papst Benedikt XVI. arbeitet an seinem Schreibtisch / © Romano Siciliani (KNA)
Papst Benedikt XVI. arbeitet an seinem Schreibtisch / © Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Bringt denn diese Argumentationslinie etwas Neues oder ist das ohnehin alles schon lange bekannt und diskutiert?

Prof. Dr. Volker Leppin (Evangelischer Theologieprofessor und Herausgeber des Dokuments "Gemeinsam am Tisch des Herrn")

"Das Neue ist tatsächlich diese sehr düstere Weise, die Dinge zu beschreiben. Vielleicht ist er auch da letztlich seinem Gegner Luther sehr ähnlich"

Leppin: Als Freund der evangelischen Theologie habe ich Ratzinger nie erlebt. Dass er eine Abendmahlsgemeinschaft ablehnt, war immer deutlich in Kardinalszeiten wie in seinen päpstlichen Zeiten. Das Neue ist tatsächlich diese sehr düstere Weise, die Dinge zu beschreiben. Vielleicht ist er auch da letztlich seinem Gegner Luther sehr ähnlich, der auch in seinen letzten Lebensjahren furchtbare Schriften über Juden und auch über das Papsttum geschrieben hat, die etwas von einer Verdunkelung der letzten Lebensphase ahnen lassen. Vielleicht ist das auch hier der Hintergrund.

DOMRADIO.DE: Benedikt XVI. hat ausdrücklich darum gebeten, dass diese Texte erst nach seinem Tod veröffentlicht werden. Er schreibt: "Die Wut der Kreise gegen mich in Deutschland ist so stark, dass das Erscheinen jedes meiner Worte sofort ein mörderisches Geschrei ihrerseits hervorruft. Das will ich mir und der Christenheit ersparen." Was sagen Sie dazu?

Leppin: Sehr schade, wenn das das letzte Wort Ratzingers über die Kirche in Deutschland, in der er groß geworden ist, sein sollte, wenn sich das bestätigt. Es ist auch schade, wenn Kritik – noch dazu in dieser seltsamen Zuspitzung "jedes Wort" – im Grunde nur als etwas wahrgenommen wird, an dem die Kritiker schuld sind und nicht die Frage entsteht, ob man vielleicht an der einen oder anderen Stelle etwas falsch gemacht hat oder etwas falsch formuliert hat. Das klingt jedenfalls in dieser Aussage nicht durch. Auch da muss man noch mal gucken, ob es auch demütigere Stellen in diesem Buch gibt. Ich selbst finde es da ansprechender und der Sache nach richtiger, wie Luther sein letztes Wort gesprochen hat: "Wir sind Bettler, das ist wahr."

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Das geistliche Testament von Papst Benedikt XVI.

Am Tag seines Todes, dem Silvestertag 2022, hat der Vatikan das Geistliche Testament von Papst Benedikt XVI. veröffentlicht, das er bereits am 29. August 2006 verfasste. Die Katholische Nachrichten-Agentur dokumentiert den Text in der Originalfassung (in alter Rechtschreibung):

Papst Benedikt XVI. am 9. September 2006 in München. / © Markus Nowak (KNA)
Papst Benedikt XVI. am 9. September 2006 in München. / © Markus Nowak ( KNA )
Quelle:
DR