Als Anfang Oktober der Regen in Mengen auf den Urwald niederprasselte, tanzten die Brandlöscher vor Freude. Seit über zwei Monaten hatten die Feuer in Bolivien gewütet, dabei wüstenähnliche Ebenen hinterlassen, tote Ameisenbären, Schlangen und Pumas. Mehr als zwei Millionen Wildtiere sind im bolivianischen Amazonas, in Chiquitania und im Chaco Umweltschützern zufolge qualvoll verendet. Rund 5,5 Millionen Hektar Vegetation brannten nieder.
Der Regen brachte nicht nur dem Amazonasgebiet Erleichterung, sondern auch Staatschef Evo Morales, der seit bald 14 Jahren das Land regiert. Denn vor der Tür stehen die hoch umstrittenen Präsidentschaftswahlen an diesem Sonntag.
Der bald 60-jährige Morales wuchs in einer armen indigenen Bauernfamilie im bolivianischen Hochland auf. Später wurde er Kokabauer im tropischen Chapare, wo seine politische Karriere begann.
Erst wurde er Präsident der Gewerkschaft der Cocaleros, dann kam er mit ihrer Unterstützung ins Parlament. 2006 trat er das Amt des Staatschefs an.
Etwa die Hälfte der Wähler in den letzten Jahren verloren
In den ersten zwei Amtszeiten konnte der indigene Präsident mit einer breiten Unterstützung in der Bevölkerung rechnen. Morales führte wichtige, schon lang notwendige Veränderungen herbei. "Er gab den Indigenen ein Selbstwertgefühl und bezog sie in die Politik ein", sagt Roger Cortez, politischer Analyst aus der Regierungsstadt La Paz. Unter Morales sei es auch zu einer Umverteilung von Geldern und Ländereien gekommen.
Seit die Brände im Amazonas beinahe gänzlich gelöscht sind, hebt Morales mit Flugzeug und Helikopter unermüdlich ab, besucht Städte und Dörfer, hält Reden, sichert den Menschen weitere soziale und wirtschaftliche Verbesserungen zu. Vielerorts wird er mit Freude, Fähnchen und Jubel empfangen. "Trotzdem hat er etwa die Hälfte der Wähler in den letzten Jahren verloren", sagt Cortez, "unter anderem weil er den Ausgang des Referendums nicht akzeptierte".
2016 sagten die Bolivianer in einem Referendum Nein zu einer unbeschränkten Wiederwahl ihres Präsidenten. Morales akzeptierte das Resultat nicht. Ende 2017 ließ er sich seine erneute Kandidatur durch das Verfassungsgericht genehmigen. Seither sehen viele Bürger die Demokratie mit Füßen getreten.
Brände im Amazonas
Für die Brände im Amazonas machen viele Bolivianer Morales persönlich verantwortlich. "Die Einnahmen durch Erdöl und Erdgas haben in der letzten Zeit abgenommen", sagt Cortez, "etwa wegen der sinkenden internationalen Rohstoffpreise". Die Regierung suche neue Ertragsquellen in der Landwirtschaft. Erst im Juli habe Morales ein Dekret erlassen, das erweiterte "kontrollierte Brandrodungen" zulasse, um etwa Soja anzupflanzen. Diese Feuer seien zum Teil außer Kontrolle geraten. Das schlimmste sei aber, so Cortez, "dass er den Notzustand nicht ausrufen und keine internationale Hilfe für die Löscharbeiten annehmen wollte".
Die jüngsten Vorfälle haben die Gesellschaft weiter polarisiert. Für gut ein Drittel der Wähler bleibt Morales der Mann, der Bolivien in einer vierten Amtszeit regieren kann. Cortez: "Was kommt nach Morales? Diese Angst hat vor allem damit zu tun, dass die Leute ihre verbesserte wirtschaftliche Lage nicht verlieren möchten." Bolivien weist seit Jahren nachhaltiges Wachstum auf.
Die Opposition hat nicht nur das Problem, dass sie nicht einheitlich auftritt, sondern, wie Cortez sagt, dass sie nicht sichtbar ist. "Sie sind zwar da, machen aber keine Kampagne." Der aussichtsreichste Gegenkandidat sei Carlos Mesa. Er tritt für eine bürgerliche Allianz an und war bereits von 2003 bis 2005 Präsident Boliviens.
"Die Brände haben das Wählerverhalten verändert, Morales stagniert in vertrauenswürdigen Umfragen bei 37 Prozent der Stimmen." Dies erhöhe die Wahrscheinlichkeit sehr, dass es zu einem zweiten Wahlgang kommt.
Da könnte der Gegenkandidat alle Stimmen der Opposition vereint erhalten.
Eines ist sicher, auch wenn Morales gewinnt, im Parlament wird er keine Mehrheit mehr erreichen. Dies wird ihm künftig das Regieren sehr erschweren. Bei einem Sieg fürchtet Morales außerdem einen Putsch, wie er diese Woche mitteilte. "Ich kann es beweisen, ich habe Aufnahmen aus dem Umfeld der Opposition, sie drohen damit."