KNA: Frau Buyx, nach acht Jahren Ethikrat, vier davon als Vorsitzende, ist Schluss. Ist Ihnen der Abschied leicht oder schwer gefallen?
Prof. Dr. Alena Buyx (ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats): Beides. Ich bin zutiefst dankbar, dass ich diese Tätigkeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen gemeinsam übernehmen durfte. Es war irrsinnig intensiv und hatte hier und da auch mal Schattenseiten.
Es ist ein Ehrenamt, und es hat mich und die anderen streckenweise in einer Art und Weise gefordert, die glaube ich schon über eine übliche ehrenamtliche Tätigkeit hinausging. Aber die Jahre waren sehr inspirierend, und ich habe wahnsinnig viel gelernt – vom Gremium und im Gremium.
KNA: Sind sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Buyx: Sehr. Alles geht immer noch besser, aber wir haben verschiedene Beiträge geleistet zu sehr schwierigen Fragen in der Pandemie und hoffen, dass wir damit etwas Orientierung schaffen konnten. Und wir haben andere, sehr wichtige Themen früh aufgespießt, etwa Künstliche Intelligenz.
KNA: Also ein guter Abschluss?
Buyx: Für mich war es am Ende eine absolut runde Sache. Wir haben als Gremium Höhen und Tiefen erlebt, auch in der eigenen Arbeit. Wir haben wirklich gerungen, aber diese Phase dann auch sehr konstruktiv gelöst. Und mehrere wichtige Stellungnahmen einstimmig oder mit den üblichen Sondervoten herausgegeben. Das freut mich wirklich sehr.
KNA: Welchen Stellenwert hatte die Arbeit im Ethikrat für Sie?
Buyx: Die Arbeit hat immer großen Spaß gemacht, und sie war sehr sinnstiftend. Was nicht angenehm war, waren teils heftige Angriffe oder Drohungen gegen den Rat und mich. Das war in der Pandemie, die uns ja auch alle persönlich betroffen hat, durchaus auch mal herausfordernd.
KNA: Mit welchen Erwartungen sind sie angetreten?
Buyx: Ich kannte schon den Vorgänger des Deutschen Ethikrats, den Nationalen Ethikrat, und ich habe mehrere Jahre für den englischen Nuffield Council on Bioethics gearbeitet. Ich wusste etwa, dass man als Vorsitzende nicht die Themen setzt. Die werden gemeinsam vom Gremium abgestimmt. Zusätzlich erhält der Rat Arbeitsaufträge von außen, etwa von der Bundesregierung.
KNA: Was waren Ihre Themen?
Buyx: Ich habe Künstliche Intelligenz und datengetriebene biomedizinische Entwicklungen im Blick gehabt. Dazu forsche ich selbst an der TU München und andere Mitglieder waren auch einschlägig dazu. Aber ich war thematisch sehr offen.
Und wir hatten, bevor sich der Ethikrat überhaupt konstituiert hatte, einen Arbeitsauftrag aus dem Bundesgesundheitsministerium. Der flatterte ins Haus, bevor es den Rat offiziell gab. Daraus entstand unsere erste Stellungnahme zu Immunitätsbescheinigungen in der Corona-Pandemie.
KNA: Haben Sie das Gefühl, dass durch die Pandemie wichtige ethische Themen vom Rat unbearbeitet geblieben sind?
Buyx: Es gibt immer Themen, die noch behandelt werden können. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass wir etwas verpasst haben. Eventuell hätten wir ohne Pandemie noch etwas zum Thema der Embryoide oder Organoide gesagt, da geht es gerade rasant voran in der Forschung.
KNA: Übergibt denn der eine Ethikrat Themen an seine Nachfolger?
Buyx: Nein. Jeder Ethikrat setzt seine Agenda selbst. In Ausnahmefällen kann es vorkommen, dass ein Ethikrat eine Stellungnahme nicht fertig bekommen hat und dem Nachfolgegremium empfiehlt, dies noch zu tun.
KNA: Müssen die neuen Mitglieder jetzt bei Null anfangen?
Buyx: Nein. Es gibt immer Mitglieder, die ihre zweite Amtszeit antreten. Es geht das institutionelle Wissen nicht verloren. Und auch bei der Zusammensetzung des Vorstands wird meist versucht, neue und erfahrene Mitglieder zusammenzubringen. Es ist aber natürlich eine freie und geheime Wahl.
KNA: Die Corona-Pandemie hat die erste Hälfte ihres Vorsitzes dominiert. Was lief im Rückblick gut, was schlecht?
Buyx: Wir haben im Frühjahr 2022 eine ausführliche Stellungnahme zu ethischen Kriterien für Entscheidungen in der Pandemie veröffentlicht und darin auch das Geschehene aufgearbeitet. Das ging aufgrund des Ukraine-Kriegs etwas unter. In unserer Stellungnahme ging es etwa darum, dass Kinder und Jugendliche in der Pandemie aus dem Blick geraten sind.
KNA: Also sind die anhaltenden Rufe nach Aufarbeitung berechtigt?
Buyx: Ich bin weiterhin der Meinung, dass wir die Pandemie – ohne Polemik und Abrechnungsgelüste – aufarbeiten müssen, insbesondere auch die psychosozialen und gesellschaftlichen Folgen. Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist noch viel spürbar. Und die Pandemie war ein traumatisches Ereignis für die ganze Gesellschaft.
KNA: Die Neubesetzung des Ethikrats durch Bundestag und Bundesrat ist überfällig. Die Mitgliedervorschläge der Bundesregierung fehlen weiterhin. Dabei ist bereits am Mittwoch die diesjährige Jahrestagung. Was sagen Sie dazu?
Buyx: Da halte ich mich raus. Ich habe mich bei Kollegen, die an der Spitze eines Gremiums standen, erkundigt, was sie gerne gewusst hätten mit Blick auf das Ende ihrer Amtszeit. Alle haben mir gesagt: Äußere dich nicht zum Nachfolgegremium. Das beherzige ich.
Das Interview führte Anna Mertens.