Ex-Synodale Schmidt erklärt Ausstieg aus dem Reformprozess

"Keine Atmosphäre des Vertrauens"

Sie habe auf echte Reformdebatten gehofft, erlebte bei den Synodalversammlungen aber raue Diskussionen, berichtet die ehemalige Synodale Dorothea Schmidt. Abweichende Meinungen seien unerwünscht, daher habe sie das Gremium verlassen.

Dorothea Schmidt (privat)
Dorothea Schmidt / ( privat )

DOMRADIO.DE: Vier einflussreiche Frauen verlassen den Synodalen Weg, den Reformdialog der deutschen katholischen Kirche kurz vor der fünften Synodalsversammlung. Sie sorgen sich darum, dass man sich durch den Synodalen Weg mehr und mehr von der Weltkirche entfernt. Und sie kritisieren, wie der deutsche Synodale Weg mit Interventionen von vatikanischen Stellen umgeht. Mit welchen Erwartungen hatten Sie sich denn ursprünglich dem Synodalen Weg angeschlossen?

Vierte Synodalversammlung / © Julia Steinbrecht (KNA)
Vierte Synodalversammlung / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Dorothea Schmidt (Journalistin und ehemalige Synodale): Mir war ganz klar, dass die Kirche Reformen braucht. Wir sehen, dass die Kirche danieder liegt. Wir wollen alle, dass sie wieder lebendig und dynamisch wird. Die Frage ist nur, wie wir das machen. Welche Reformen braucht die Kirche?

Da schaue ich auch gerne in die Geschichte und sehe dann, dass Reform immer eine Erneuerung der geistlichen Substanz bedeutete, also eine Rückbesinnung auf Christus, das Evangelium, Christi Botschaft. Das muss meines Erachtens heute der Kompass sein. Das war auch meine große Hoffnung, dass sich die Kirche wieder auf ihren Kern besinnt und dass die Evangelisierung in Gang kommt, von der Papst Franziskus ständig spricht.

Das wurde auch bei der kontinentalen Etappe der Weltsynode in Prag sehr deutlich. Die Themen Neuevangelisierung, Mission, Katechese wurden sehr stark hervorgehoben. Das heißt, dass die Menschen überhaupt erst wieder das "ABC des Glaubens" kennenlernen können, dass wir das verständlich erklären.

Aber die Voraussetzung, dass eine Kirche missionarisch ist, ist eben diese lebendige Christusbeziehung. Das hat auch der Erzbischof von Vilnius, Erzbischof Grusas, gesagt. Wir brauchen also keine neue Doktrin, sondern müssen zurück zum Kern der Botschaft und unsere Identität wiederfinden, Flagge zeigen, uns von der Welt unterscheiden, statt mit ihr zu verschmelzen.

Eine kraftvolle Pastoral brauchen wir, die versteht, dass Wahrheit und Barmherzigkeit zusammengedacht werden müssen.

Die neue Lehre, wie der Synodale Weg sie verfolgte, wird weder Verletzungen heilen, noch etwas an der Wahrheit ändern können. Meines Erachtens gibt es nur mit einer geistlichen Erneuerung auch wirklich eine erneuerte Kirche.

DOMRADIO.DE: Sie sind jetzt ausgestiegen. Inwiefern wurden Ihre Erwartungen nicht erfüllt?

Schmidt: Ich habe auf echte Debatten gehofft, auf sachliche Debatten, einen echten Austausch, eine echte Suche auch nach dem Willen Jesu für die Kirche, damit wir die Krise überwinden können. Aber von Anfang an habe ich mich auf einer rauen politischen Bühne befunden, in der es im Tauziehen um Mehrheiten ging, statt um ein Ringen um die Wahrheit.

Es gab auch immer wieder Emotionalisierungen, die den notwendigen sachlichen Diskurs einfach ersticken. Denn bei Emotionalisierung gewinnt immer der, der die extremsten Gefühle zeigt. Aber die Kirche ist doch eine Familie, keine politische Bühne. Sie ist der Leib Christi mit Christus als Haupt. Da hätte ich mir eine echte Suche nach der Wahrheit im Gebet gewünscht.

Papst Franziskus hat mehrfach gesagt, Synodalität bedeute aufeinander hören und auf den Geist Gottes als Hauptakteur zu hören. Es braucht Unterscheidung. Also welcher Gedanke kommt von Gott, welcher kommt aus mir selbst oder ist schlichtweg gerade Mainstream? Das zu unterscheiden, braucht Zeit.

Aber auf dem Synodalen Weg herrschte Zeitdruck. Schnell soll beschlossen werden, schnell sollen Beschlüsse umgesetzt werden. Wir wissen aber doch, dass man keine gewichtigen Entscheidungen, keine Lebensentscheidung unter Zeitdruck fällt. Und auf dem Synodalen Weg geht es um gewichtige Entscheidungen. Aber statt nach der Wahrheit zu suchen, sollen Lebenswirklichkeiten der Menschen von heute die ewigen Gesetze Gottes schleifen, damit die Kirche anschlussfähig bleibt. Die ändern sich aber ständig. Die Kirche dagegen spricht das Evangelium in unsere Lebenswirklichkeiten hinein und bietet uns an, eine Freundschaft mit Jesus einzugehen, seine Liebe zu erfahren.

Dorothea Schmidt (ehemalige Delegierte des Synodalen Wegs)

"Die Reaktion auf unsere Wortmeldungen, die reichten von Ignoranz über Angriffe bis hin zu Diffamierung."

DOMRADIO.DE: Sie beklagen ja, dass der Synodale Weg den Vatikan ignoriert habe und dass man sich mit dem Synodalen Weg von der Weltkirche entferne. Hätten Sie da Ihren Einfluss nicht auch innerhalb des Gremiums geltend machen können?

Schmidt: Das haben wir natürlich getan. Jeder kann in den Livestreams gerne noch mal nachschauen, wie mit der Meinung derer, die im Sinne der kirchlichen Lehre gesprochen haben, umgegangen wurde. Professorin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz ist man über den Mund gefahren, als sie auf einen Antagonismus in einem Beschlusstext hingewiesen hat.

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz / © Julia Steinbrecht (KNA)
Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie ist gemeinsam mit Ihnen ausgestiegen.

Schmidt: Genau, sie ist jetzt mit ausgestiegen. Wenn sich Bischof Rudolf Voderholzer nur erhoben hat, um zu sprechen, haben nicht wenige im Saal rote Karten in die Luft gehoben, um ihre Missbilligung für das zu zeigen, was er sagen wird. Das kann doch nicht sein. Dialog ist so wichtig. Er muss aber dazu führen, dass wir einander besser verstehen.

Wenn der Anspruch der ist, dass man wirklich miteinander spricht, dann lässt man das Gesagte auch auf sich wirken und nimmt nicht sofort eine Position dazu ein. In der Kirche sollte man auch erwarten dürfen, dass man das Gesagte ins Gebet nimmt und nach dem Willen Gottes fragt. Die Reaktion auf unsere Wortmeldungen reichten von Ignoranz über Angriffe bis hin zu Diffamierung.

Unsere Einwände haben in den Papieren kaum Berücksichtigung gefunden, weil sie offenbar nicht dem Ziel der synodalen Chefstrategen entsprachen, die im Übrigen die Synodalversammlung ja so besetzt haben, dass von vornherein klar war, wie die Ergebnisse ausfallen würden.

Dann kommt noch hinzu, dass wir meist eine, manchmal zwei Minuten Redezeit hatten. Wie soll man komplexe theologische Inhalte, die Lehre der Kirche, die heute so fremd geworden ist, überhaupt verständlich und angemessen in einer Minute rüberbringen?

Dann wurde zuletzt noch die geheime Abstimmung entgegen der eigenen Spielregeln gekippt, was sich dann auf das Abstimmungsverhalten ausgewirkt hat, vor allem bei den Bischöfen, die unter diesem dort ausgeübten Druck einfach nicht den Mut hatten, gegen Texte zu stimmen.

Also, es herrscht auf dem Synodalen Weg schlichtweg keine Atmosphäre des Vertrauens. Wer eine abweichende Meinung hatte, musste mit heftigen, teils auch persönlichen Angriffen rechnen.

DOMRADIO.DE: Sie haben es selber erlebt, wie sehr Sie sich ihre Position erkämpfen mussten. Wie kann man die Rolle der Frau in der Kirche denn stärken? Was ist da Ihr Ansatz?

Schmidt: Gibt es überhaupt die Rolle der Frau? Es gibt ja so viele weibliche Berufungen, wie es Frauen auf der Welt gibt. Frauen haben die Kirche immer stark geprägt. Sie sind auch die ersten Lehrerinnen des Glaubens. Frauen waren als Kirchenlehrerinnen, als Professorinnen aktiv. Frauen sehen und hören oft mit dem Herzen, wir lesen zwischen den Zeilen. Es waren und sind überwiegend Frauen, die sich um Kranke, Arme, Alte kümmern. Es ist nur alles so normal in dieser Welt. Es wird immer noch zu wenig gesehen und wertgeschätzt.

Und dann fangen wir an, uns anzupassen. Die Arbeitswelt ist beispielsweise immer noch zu sehr auf den Mann zugeschnitten. Aber nicht Frauen müssen sich anpassen und dieser Männerwelt angleichen, sondern wir brauchen Räume, in denen wir einfach Frau sein dürfen.

Wir müssen unsere Weiblichkeit, das Eigene neu entdecken und auch überlegen, wie wir das effizient einsetzen können. Da denke ich an Papst Franziskus, der das Katechetenamt so betont. Wäre es nicht wunderbar, diesen Dienst des Lernens, den Frauen ja ohnehin schon oft ausüben, zu fördern? Mit solider familiengerechter Ausbildung?

Frauen hatten jahrhundertelang großen Anteil an der katholischen Schulbildung. Warum wird dieses Charisma nicht gestärkt, indem man zum Beispiel dieses Katechetenamt in den Bistümern einsetzt? Die Kirche kann der Gesellschaft helfen, die Frau als Frau wieder zu entdecken, schätzen zu lernen. Wir sind anders als Männer, aber genauso wertvoll und wichtig.

Dorothea Schmidt (ehemalige Delegierte des Synodalen Wegs)

"Kirche hat ja eine sehr entfaltete tiefe Sexualethik, die den Menschen in ihrer Gesamtheit betrachtet."

DOMRADIO.DE: Viele Gläubige innerhalb der katholischen Kirche fordern ein Umdenken in der Lehre, beispielsweise in der Sexualmoral. Wie soll die katholische Kirche damit aus Ihrer Sicht umgehen?

Schmidt: Kirche hat eine sehr entfaltete tiefe Sexualethik, die den Menschen in ihrer Gesamtheit betrachtet. Diese Sexualethik wird oft viel zu verkürzt wiedergegeben. Vielen ist sie in ihrer ganzen Tiefe und dem ganzen Reichtum nicht bekannt.

Hier hat die Kirche die riesige Aufgabe, den Menschen diese wahnsinnig schöne, tief entfaltete Anthropologie zu vermitteln. Die drückt sich in dieser Sexualethik aus. Menschen müssen wieder begreifen lernen, dass diese Ethik eine Unterstützung auf ihrem Weg zum Glück ist. Die Kirche darf mutig wieder diese Gegenkultur anbieten, einen Kontrapunkt zu einer Kultur der Beziehungslosigkeit in der Welt, in der man sich schnell selbst bereichert, einander nicht vertrauen kann, in der eine Selbstbedienungsmentalität um sich greift, die auch andere ausnutzt.

Und hier kommt die Kirche. Obwohl wir Menschen ständig hinter unseren eigenen Ansprüchen zurückbleiben und das auch immer so sein wird, traut sich die Kirche, diese Sexualethik zu formulieren. Sie traut sich und den Menschen zu, in Treue und Hingabe zu leben und sagt: Das schaffst du schon mit der Gnade Gottes.

DOMRADIO.DE: Jetzt verliert die Kirche immer mehr an Einfluss und Relevanz in der Gesellschaft. Das spüren wir spätestens durch die Kirchenaustrittszahlen. Wie soll die Kirche in Zukunft damit umgehen?

Schmidt: Wenn die Kirche das Evangelium lebt und es verkündet, dann ist sie relevant. Christus sagt, geht in die Welt und macht alle Menschen zu meinen Jüngern. Da frage ich mich: Tun wir das noch? Viele kennen das "ABC des Glaubens" ja nicht mehr. Das zeigen uns Umfragen immer wieder.

Ich bin überzeugt, je mehr wir uns an Christus binden, desto mehr wird die Kirche an Relevanz zurückgewinnen. Eigentlich müssen wir "back to the roots" gehen. Wir müssen evaluieren: Wo sind denn in unserem Land die grünen Oasen des Glaubens? Wo blüht der Glaube?

Es gibt ein paar gute Beispiele, etwa "Nightfever", wo junge Menschen in die Anbetung gehen. Dort sind die Kirchen voll. Die Menschen versuchen, die Nachfolge Christi im Alltag zu leben, in Friede, in echter Nächstenliebe, auch in Freude. Das darf unser Kompass sein und nicht die Welt mit ihrem Denken, ihrem Handeln, ihren Wünschen oder ihren Ideologien, die sich alle paar Jahre ändern.

Die katholische Kirche lebt aus ihrem Blick auf Jesus. Wenn sie ihn aus dem Blick verliert, verliert sie sich und die Menschen.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Was wurde bei der vierten Synodalversammlung beschlossen?

Insgesamt berieten die gut 200 Delegierten der vierten Synodalversammlung über 8 Papiere, ursprünglich waren 14 vorgesehen. Vier Texte wurden in Zweiter Lesung verabschiedet; einer scheiterte an einer Sperrminorität von Bischöfen. Drei Texte standen in Erster Lesung zur Debatte und sind deswegen noch nicht beschlossen, auch wenn die jeweiligen Abstimmungsergebnisse Rückschlüsse auf die grundsätzliche Akzeptanz der jeweiligen Anliegen erlauben.

Abstimmungsgerät bei der vierten Synodalversammlung / © Max von Lachner (SW)
Abstimmungsgerät bei der vierten Synodalversammlung / © Max von Lachner ( SW )
Quelle:
DR