Das schreibt der Psychiater in einem Gastbeitrag in der "Welt" (Freitagsausgabe). Das Wissen aus einer solchen Studie sei "zwingend nötig, auch um die Effektivität und Effizienz von Präventions- und Schutzkonzepten besser einschätzen zu können".
Am umfänglichsten seien bislang sexualisierte Gewalttaten untersucht worden, die "im Verantwortungsbereich der katholischen Kirche begangen wurden", so Dreßing. Er hatte die sogenannte MHG-Studie koordiniert, deren Ergebnisse 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Diese Studie kam für den Untersuchungszeitraum von 1946 bis 2015 auf 1.670 beschuldigte Priester und rund 3.700 von Missbrauch Betroffene. Es handle sich dabei "nur um die Spitze des Eisbergs", betonte der Experte.
Kirche kein Hotspot
Er verwies zugleich auf Berechnungen zum relativen Risiko für Kleriker im Vergleich zu anderen Männern, zu Missbrauchstätern zu werden. Demnach sei einerseits "die Vorstellung, dass die besonderen moralischen Anforderungen an den Priesterberuf mit einer im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich niedrigeren Quote beschuldigter Kleriker einhergehen, nicht zutreffend".
Andererseits gehe von katholischen Klerikern "aber auch kein signifikant höheres relatives Risiko aus als von der männlichen Allgemeinbevölkerung. Der aus der medialen Berichterstattung manchmal hervorgehende Eindruck von der katholischen Kirche als einem Hotspot des sexuellen Missbrauchs von Kindern lässt sich mit diesen Zahlen jedenfalls nicht belegen."
Dunkelfeld soll erforscht werden
Dreßing berichtete zudem von einer Pilotstudie mit kleineren Stichproben, die zum Dunkelfeld bereits durchgeführt wurde. Von 1.000 Befragten gaben demnach 28,6 Prozent der Frauen und 6,7 Prozent der Männer an, mindestens einmal in ihrer Kindheit oder Jugend Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden zu sein. Die psychische Befindlichkeit der Betroffenen sei "signifikant schlechter" als die der anderen Befragten. Insofern müsse der Kampf gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen weiter verstärkt werden, mahnte der Experte: "Das sind wir unseren Kindern schuldig."