DOMRADIO.DE: In einem Interview hatte der Papst der Ukraine den "Mut zur weißen Fahne" und zu Verhandlungen unter internationaler Vermittlung nahegelegt. Vatikansprecher Matteo Bruni erklärte später, der Papst habe "vor allem zu einem Waffenstillstand aufrufen und den Mut zu Verhandlungen wiederbeleben" wollen. Nun schlägt dem Papst aufgrund seiner Interviewaussagen zur Ukraine Empörung entgegen. Zu Recht?
Erik Flügge (Medienexperte und Autor): Ob das zu Recht ist oder nicht, hängt davon ab, wie man sich in diesem Konflikt positioniert. Eine Einschätzung dazu abzugeben, ist nicht mein Beritt.
Das Entscheidende ist, dass das hier in Deutschland, dass das im politischen Westen auf große Empörung stößt, weil wir aktuell eine Position der Unterstützung gegenüber der Ukraine bis zum bitteren Ende fahren.
Dementsprechend kann man einordnen, dass zum Beispiel die FDP-Politikerin Frau Strack-Zimmermann gesagt hat, dass es ihr peinlich sei, Katholikin zu sein, wenn der Papst so etwas sagt.
DOMRADIO.DE: Die Haltung von Papst Franziskus mit seiner Friedensdiplomatie im Ukrainekrieg ist bekannt. Damit stößt er häufiger auf Kritik. Warum ist der mediale Wirbel jetzt so groß, dass es selbst in der Tagesschau prominent aufgegriffen wird?
Flügge: Das Problem mit dem Interview des Papstes ist, dass er mit der "Weißen Fahne" ein kulturell stark aufgeladenes Bild anwendet. Die "Weiße Fahne" ist die Fahne der Kapitulation. Das Bild ist Jahrhunderte alt. Dahinter verblassen alle einschränkenden Dinge, die er sagt.
Er sagt nicht, dass die Ukraine bedingungslos kapitulieren soll, sondern dass Friedensverhandlungen aufgenommen werden sollen. Mit diesem Bild erschafft er jedoch den Gedanken, dass es eine bedingungslose Kapitulation sein sollte. Was dem Papst hier passiert ist, passiert in unserer heutigen medialen Welt häufig.
Einzelne Passagen größerer Interviews werden herausgegriffen und zum Debattengegenstand gemacht. Darüber kann man klagen oder man erkennt es einfach als Realität unseres heutigen Mediensystems an. Der Papst hat wiederum nicht den richtigen Blick darauf, wie unsere mediale Welt funktioniert.
DOMRADIO.DE: Das Bild der "Weißen Fahne" hat in dem Interview zunächst der Moderator gezeichnet. Ist der Papst in einen Fettnapf getreten?
Flügge: Der Papst muss im Jahr 2024 ein absoluter Medienprofi sein. Das geht nicht anders, weil er einer der bekanntesten und größten öffentlichen Figuren der gesamten Welt ist. Wenn er nicht versteht, wie Bilder und Medialität funktionieren, dann hat der Katholizismus insgesamt ein Problem.
Dabei ist es egal, was der Moderator als Bild anbietet. Papst Franziskus hat es übernommen und hat über dieses Bild sinniert. Es ist ein Problem, wenn der Papst nicht begreift, was es auslöst, wenn er dieses Bild benutzt. Dann ist es schwierig, dass er Interviews gibt.
DOMRADIO.DE: Der Papst hat einen Medienstab. Der Vatikan hat versucht, die Worte des Papstes im Nachhinein zu präzisieren. Er habe vor allem zu einem Waffenstillstand aufgerufen und den Mut zu Verhandlungen wiederbeleben wollen. Ist diese Erklärung im Nachhinein hilfreich gewesen?
Flügge: Sie zeigt vor allem, dass der Papst nicht kontrolliert mit diesem Bild umgegangen ist. Es hätte sein können, dass der Papst eine Debatte über die Kapitulation anstoßen will. Dann wäre es aus seiner Sicht schlau gewesen, was er getan hat. Aber dass danach der Stab sagt, dass man ihn hätte anders interpretieren müssen, dass man das Ganze anders hätte verstehen müssen, sind im Grunde genommen nur noch Rückzüge, die danach erfolgen.
Sie zeigen, dass Papst Franziskus diese kommunikative Situation nicht unter Kontrolle hat. Man könnte sagen: "Gut, das ist einmal passiert, passiert den Besten." Aber Papst Franziskus passiert das häufiger, dass im Nachhinein jemand erklären muss, was er gemeint hat.
DOMRADIO.DE: Es war früher nicht üblich, dass ein Papst Interviews gibt. Papst Benedikt XVI. hat erstmals damit gebrochen. Franziskus gibt immer wieder Interviews. Manche spotten auch und nennen ihn "Spontifex". Ist es für ein Pontifikat ein Gewinn, spontane und häufige Interviews zu geben oder sollte man das besser lassen?
Flügge: Es ist die große Stärke des Katholizismus in der heutigen Welt, dass er einen Papst hat. Wir sind zunehmend in einer Welt unterwegs, in der Institutionen an Vertrauen und Relevanz verlieren. Personen hingegen können Relevanz und Vertrauen binden.
Das sehen wir im gesamten Bereich von Influencern und politischen Persönlichkeiten. Alles fokussiert sich auf Menschen. Dass der Katholizismus eine solche Figur hat, ist eine Stärke.
Dementsprechend muss man dieses Personenmarketingspiel auf der großen Bühne mitspielen. Dazu gehören Interviews, dazu gehören Auftritte. Dazu gehört, dass man persönliche Meinungen kundtut.
Aufgrund dessen tut der Papst das Richtige. Das Problem ist, dass er nicht sieht, dass die Nuance in der medialen Welt von heute zählt und man auf Kleinigkeiten achten muss.
Kleinigkeiten machen im Zweifelsfall eine große Welle. Damit haben wir es mit einem Zwischenmoment zu tun. Wir haben es damit zu tun, dass der Papst verstanden hat, dass er eine wichtige Rolle in der Kommunikation spielt, aber leider die Regeln der Kommunikation im Hier und Jetzt noch nicht ganz verinnerlicht hat.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.