Experte Jo Frank über Interreligiosität und das Judentum

"Es gibt einen unglaublichen Gestaltungswillen"

Seit Donnerstag findet in Essen eine internationale Konferenz des Programms "Dialogperspektiven. Religionen und Weltanschauungen im Gespräch" statt. Ein Gespräch mit dem ELES-Geschäftsführer und Projektleiter der "Dialogperspektiven", Jo Frank.

Autor/in:
Leticia Witte
Die heiligen Schriften des Islam, Judentums und Christentums / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Die heiligen Schriften des Islam, Judentums und Christentums / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

KNA: Herr Frank, was hat es mit dem Programm "Dialogperspektiven.Religionen und Weltanschauungen im Gespräch" auf sich?

Frank: Damit haben wir gemeinsam ein Programm geschaffen, das einzigartig im ideellen Förderprogramm der Begabtenförderung ist. Es bildet die religiöse, politische und gesellschaftliche Pluralität ab. Auch ermöglicht es den Austausch und den Dialog zwischen Stipendiaten unterschiedlicher religiöser Zugehörigkeiten über die abrahamitischen Religionen hinaus und zwischen religiösen und nichtreligiösen Stipendiaten.

KNA: Welche Ziele verfolgen Sie noch?

Frank: Wir wollen Leute mit ganz unterschiedlichen Hintergründen zusammenführen. Sie sollen schauen, welche gesellschaftlichen Ziele gemeinsam erreicht werden können, und auf welcher Basis. In den vergangenen drei Jahren haben wir Stipendiaten zusammengebracht, um diesen Dialog zu beginnen und herauszufinden, welche Methoden man dabei anderen an die Hand geben kann. Mit der Begabtenförderung haben wir Menschen, von denen wir erwarten, dass sie das interreligiöse Gespräch aus künftigen Führungsrollen heraus gestalten können.

KNA: Können Sie Beispiele dafür nennen, was die bisherigen 120 "Experten" für interreligiösen Dialog auf die Beine gestellt haben?

Frank: Zuerst ist die methodische Arbeit zu nennen. "Dialogperspektiven" hat eine Vielfalt an Methoden entwickelt, mit denen gesellschaftlich ausgerichtete Dialoge mit pluralistischem Charakter geführt werden können. Dann macht uns besonders stolz, was unsere Teilnehmer selbst gestalten: das Festival "Faiths in Tune" beispielsweise, das in Berlin angefangen hat und das es inzwischen auch in London und New York gab. Man schaut sich unterschiedliche Ausprägungen religiösen Glaubens und musikalischer Traditionen an. Außerdem gibt es das "Cafe Abraham" an mehreren deutschen Hochschulstandorten, das ein Zeichen gegen Hass und Extremismus setzen will. Vor zwei Wochen wurde zudem in Paris ein europäisches Institut für Dialog gegründet. Und immer wieder suchen wir den Austausch auf Katholiken- und Kirchentagen.

KNA: Wie kann ein gutes interreligiöses Miteinander aussehen?

Frank: Die Vermittlung der religiösen Praxis von Juden, Christen und Muslimen ist ein großes Thema, um Voreingenommenheiten und Unkenntnis abzubauen. Es gibt eine Solidarität zwischen religiösen Minderheiten - entgegen der Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft. Sie basiert unter anderem auf dem Leben als religiöse Minderheit und Migrationserfahrungen. Allianzen gerade unter Minderheiten zu bilden, ist eines der Ziele unseres Programms.

KNA: Wo sehen Sie Herausforderungen?

Frank: Ein Beispiel ist der Antisemitismus oder der antimuslimische Rassismus. Wir sehen, dass die besten Stimmen gegen Antisemitismus Muslime sein können. Genauso wie wir sehen, dass die besten Stimmen gegen antimuslimischen Rassismus Juden sein können. Wir Minderheiten stehen füreinander ein, auch mit nichtreligiösen Menschen. Eine Gemeinschaft alleine kann gesellschaftliche Veränderungen nicht vorantreiben, wir müssen gemeinsam Ziele setzen und sie verfolgen. Es gibt ganz viel, was wir auch von nichtreligiösen Gruppen lernen können.

KNA: Wie ist es insgesamt um das Judentum in Deutschland bestellt?

Frank: Da gibt es keine einfache Antwort. Das Leben als Jude in Deutschland verändert sich sehr dynamisch - nicht zuletzt durch Strukturen, die es ermöglichen, am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen, die es vorher nicht gab. Es gibt aber auch den Antisemitismus. Was mir große Sorgen macht, ist der Antisemitismus in der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Aber die jüdische Gemeinschaft ist wehrhaft, im religiösen, politischen oder im künstlerischen Bereich. Die zunehmende Solidarität vor allem mit Muslimen ist auch eine Stärkung der jüdischen Gemeinschaft.

KNA: Was bedeutet das Wehrhafte genau?

Frank: Auch zusätzliche Verantwortung, etwa mit Blick auf die AfD im Bundestag. Die AfD schießt sich auf Muslime ein, dagegen müssen wir uns wenden, nicht zuletzt mit einem gewissen Eigeninteresse. Mögliche Einschränkungen von Minderheitenrechten ist etwas, das immer auch die jüdische Gemeinschaft angeht. Dagegen müssen wir gemeinsam vorgehen. Die neuen Allianzen sind noch fragil. Diese zu stärken, ist eine wesentliche Aufgabe unserer Arbeit.

KNA: Ein Blick in die jüdische Gemeinschaft: Wie kommen dort die verschiedenen Strömungen miteinander aus?

Frank: Die kleine jüdische Gemeinschaft ist so pluralistisch wie kaum eine andere Community. Konflikte gehören dazu, aber auch starke Allianzen. Darauf können wir stolz sein, das ist eine Stärke. Wir können auch Vorbild für andere sein: dass man sich auf gemeinsame Ziele konzentriert, den eigenen Weg niemandem aufzwingt, aber gemeinsame Akzente setzt, wenn es Überschneidungen gibt. Es geht um die Stärkung gemeinsamer Positionen.

KNA: Was sind Aufgaben und Ziele Ihres Studienwerkes?

Frank: Es funktioniert nach dem Prinzip der Begabtenförderung. Wir stellen ein breites Bildungsangebot und finanzielle Förderung für Studium und Promotion bereit. Ein Ziel ist auch das Engagement, also Begabung zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen. Wir verstehen uns zudem als jüdisches intellektuelles Zentrum in Deutschland und zunehmend in Europa.

KNA: Mit welchen Themen beschäftigen sich die Stipendiaten?

Frank: Die Themen sind maßgeblich von ihnen geprägt und reichen von Fragen der Erinnerungskultur über eine Künstlerförderung bis hin zur Frage nach der Zukunft der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und Europa. Es gibt einen unglaublichen Gestaltungswillen unter den Stipendiaten. ELES will das Judentum in Europa stärken und innerhalb der Gemeinschaft verbindend und manchmal vielleicht auch vermittelnd wirken.

KNA: Sind alle Stipendiaten jüdisch?

Frank: Bei Promotionen fördern wir auch Nichtjuden, die zu einem "jüdischen Thema" arbeiten. Bei den Studenten sind es ausschließlich Juden. Mehr als 80 Prozent haben einen Migrationshintergrund, sie kommen aus der ganzen Welt. Von liberal bis orthodox ist das gesamte religiös-jüdische Spektrum abgedeckt, aber auch das säkulare Judentum.


Quelle:
KNA