KNA: Das Thema Antisemitismus ist derzeit wieder stark in die Öffentlichkeit gerückt. Auch im medialen Bereich haben laut Beobachtungsstellen antijüdische Verschwörungstheorien und Hasskommentare Konjunktur. Wie sieht das in der Gaming-Szene aus?
Felix Zimmermann (Gaming-Experte der Bundeszentrale für politische Bildung): Gaming ist sehr heterogen, deswegen kann man kaum von einer einheitlichen Szene sprechen. Zudem ist die empirische Forschung zum Phänomen Extremismus und Gaming noch sehr jung, weswegen es wenig belastbare Erkenntnisse gibt.
Dennoch können wir feststellen, dass das Thema Antisemitismus in der gesamten Branche, auch bei Spielentwicklern und Game-Influencern, noch ein "blinder Fleck" ist. Der aktuelle Konflikt könnte jedoch noch mal ein Brennglas darauf richten, wie wichtig Antisemitismus-Prävention auch im Gaming-Kontext ist.
KNA: Wie machen sich antisemitische oder extremistische Inhalte beim Gaming bemerkbar?
Zimmermann: Einerseits gibt es tatsächlich Games, die von Extremisten entwickelt werden. Zum Beispiel haben Rechtsextremisten aus Deutschland und Österreich das Spiel "Heimat Defender" in Umlauf gebracht, in dem antisemitische und homophobe Inhalte rezipiert werden.
Auch islamistische Terrororganisationen wie der IS und die Hisbollah haben eigene Spiele entwickelt. Allgemein haben diese Spiele aber wenig öffentliche Wirkung. Sie sind eher eine Selbstvergewisserung für die Szenen, zumal sie in der Regel schnell indiziert und aus dem Verkehr gezogen werden. Schwerwiegender ist das bei Modifikationen für Spiele.
KNA: Was bedeutet das?
Zimmermann: Hier werden für bereits bestehende und populäre Games sogenannte Mods, also von privaten Entwicklern erstellte Erweiterungen oder Veränderungen, angeboten. Im extremistischen Bereich sehen wir hier eine große Bandbreite, besonders oft aber Bezüge zum Nationalsozialismus.
So gibt es Mods für Strategiespiele, die den Bau von Konzentrationslagern ermöglichen, oder Modifikationen, die es ermöglichen, dem Spielcharakter eine Wehrmachtsuniform anzuziehen. Weil die Anbieter der Vertriebsplattformen mit Sichtung und Moderation der Inhalte nur ungenügend hinterherkommen, sind solche Mods teilweise sehr lange abrufbar und können sich verbreiten.
Dass solche Spielentwicklungen einen strategischen Nutzen zur Rekrutierung für die extremistische Szene verfolgen, ist aber eher die Ausnahme. Wichtiger ist es, die Kommunikation beim Gaming im Blick zu behalten. Hier gibt es meiner Einschätzung nach das größte Gefahrenpotenzial.
KNA: Inwiefern?
Zimmermann: Durch gemeinsames Spielen, das gemeinsame Meistern von Herausforderungen, entstehen Verbindungen zwischen den Spielern. In Zeiten von Online-Gaming oft auch zwischen noch unbekannten Menschen.
Wir haben in den Corona-Lockdowns gesehen, wie wichtig diese Verbindungen in die Online-Community gerade für junge Menschen sind, um soziale Kontakte zu pflegen. Dieser im Grunde positive Effekt ist aber auch ein Einfallstor für Extremisten. Auf diese Weise können sie über das Spielen erst mal ins Gespräch kommen und Vertrauen aufbauen.
KNA: Und dann werden judenfeindliche oder antidemokratische Themen besprochen?
Zimmermann: Es gibt natürlich zunächst andere Anknüpfungspunkte. Die Gaming-Kultur beispielsweise ist in ihrer Entwicklung sehr auf Männlichkeit zugeschnitten. Toxische Männlichkeit und Frauenfeindlichkeit haben da eine gewisse Tradition. Über diese Themen kann es zu einem Austausch kommen.
In einem In-Game-Chat ist das teilweise noch überprüfbar, weil entsprechende Äußerungen gemeldet und entsprechend geahndet werden können. Wenn sich die Gespräche allerdings auf private Server verlagern, ist es praktisch nicht mehr nachvollziehbar, worüber gesprochen wird.
KNA: Dort versuchen Extremisten dann andere zu "bekehren"?
Zimmermann: Die größte Gefahr ist, dass sich antisemitische Verschwörungstheorien und rechte Ideologien in den Gaming-Communitys normalisieren. Das ist der Nährboden, auf dem Extremismus entstehen kann.
Problematisch ist auch, dass jüdisches Leben und dessen Geschichte in der Games-Kultur bislang praktisch keine Rolle spielen. Bei historisierenden Spielen zum Zweiten Weltkrieg wie Strategiespielen oder Shootern geht es beispielsweise oft nur darum, wer die besseren Schützen oder die besseren Panzer hat und damit auf militärischer Ebene gewinnt.
Der Zusammenhang mit dem Holocaust wird dabei in der Regel komplett ausgeblendet. Es gibt im Gaming-Kontext kaum Reflexion darüber sowie wenige positive Beispiele in Spielen.
KNA: Wie kann dem entgegengesteuert werden?
Zimmermann: Gedenkstätten und Museen haben das Thema langsam für sich entdeckt und teilweise schon eigene "Serious Games"-Formate entwickelt, die in erster Linie nicht nur der Unterhaltung dienen, sondern sich sensibel mit dem Holocaust auseinandersetzen.
Wichtig wäre es nun, dass auch große Entwicklungsstudios hierbei mitwirken. Zudem müssen Bildungs- und Präventionsangebote ausgebaut werden. Das gilt natürlich zum einen gerade für Kinder und Jugendliche, denen oft noch die Medienkompetenz fehlt, um extremistische Aussagen in Spielen zu identifizieren und richtig einzuordnen. Aber auch Lehrkräfte und Eltern sind noch nicht aufmerksam genug gegenüber den Inhalten, die beim gemeinsamen Spielen geteilt werden.
KNA: Wir haben nun viel von Antisemitismus vor allem im rechtsextremen Kontext gesprochen. Wie sieht es denn im Phänomenbereich Islamismus aus, wie präsent ist er in der Szene?
Zimmermann: Islamismus spielt im Gaming-Kontext, zumindest in der westlichen Welt, tatsächlich eher eine untergeordnete Rolle. Der Antisemitismus ist zwar ein Überschneidungspunkt mit der rechtsextremen Szene. Allerdings ist die angesprochene Normalisierungsgefahr bei islamistischer Ideologie ansonsten weniger gegeben, da sie hierzulande größtenteils verpönt ist.