DOMRADIO.DE: An diesem Sonntag geht die weltweit größte Messe für Computer- und Videospiele, die Gamescom in Köln zu Ende. Was macht jemand von der katholischen Kirche dienstlich bei der Messe für Computerspiele?
Sonja Lexel (Zuständig für die "Jugendpastorale Bildung bei der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge" der deutschen Bischofskonferenz): Ich bin bei unserer Arbeitsstelle für Jugendseelsorge für ganz unterschiedliche Themen zuständig, unter anderem für das Themenfeld Digitales. Darunter betrachte ich auch den Bereich Gaming. Für uns und unsere Arbeit ist Jugendsoziologie und das Wissen um jugendliche Lebenswelten, jugendliche Kultur, total wichtig. Gaming ist einfach ein Bestandteil von Jugendkultur. Und das in einem wirklich nicht unerheblichem Maße.
Die letzte JIM-Studie von 2022 (Jugend, Information, Medien, Anm. d. Red.) hat ergeben, dass 76 Prozent der 12 bis 19-jährigen regelmäßig digitale Spiele spielen und nur sechs Prozent angegeben haben, dass sie nie spielen.
Wir sprechen hier von einer wirklich unglaublich großen Menge an jungen Menschen. Und an wohl keinem anderen Ort kommen so viele junge Menschen zusammen, um ihre Leidenschaft zum Gaming zu feiern, wie auf der Gamescom.
Hier haben wir als Kirche einfach die Chance, aktuelle Trends wahrzunehmen, Jugendkultur zu erleben und das dann weiterzutragen. Unser Auftrag ist es, Akteurinnen und Akteure der Jugendpastoral zu unterstützen und zu vernetzen. Dazu gehört eben auch, Themen der Jugendpastoral oder Themen der Jugend an sich wahrzunehmen und in Diskurse einzubringen.
DOMRADIO.DE: Die evangelische Jugend aus Köln hat jedes Jahr einen Stand auf der Gamescom. Die katholische Kirche war dieses Jahr mit Ihnen als Einzelkämpferin präsent. Warum hat man keinen eigenen Stand?
Lexel: Das ist ein Thema, an dem ich arbeite. Gerade geht es noch viel darum, Pionierarbeit zu leisten. In dem Bereich sind im Katholischen einfach noch nicht so viele Menschen unterwegs. Oder es sind noch nicht so viele Menschen, die das Thema für sich mit Kirche verknüpfen.
Wir haben seit ein paar Wochen ein kleines Netzwerk namens "Kirche und Gaming", das aus Menschen besteht, die in Kirche und Gaming unterwegs sind. Das sind größtenteils Menschen, die hauptberuflich in der Pastoral oder Jugendarbeit arbeiten, aber eine persönliche Leidenschaft für Gaming haben.
Gerade hier im Austausch merkt man, dass es noch andere Menschen gibt, denen das Thema ein Anliegen ist und die hier Kirche voranbringen wollen. Wir schauen, wie wir Projekte, die es schon gibt, irgendwie bündeln können und eine gemeinsame Präsenz schaffen können.
Dann wäre der eigene Stand auf der Gamescom sicher ein nächster Schritt. Gerade geht es aber noch viel um Sensibilisierung. Das geht einfach nicht von heute auf morgen, sondern braucht viel Zeit und Bewusstsein bei Entscheidungsträgern und vor allem Verbündete.
Daran arbeite ich einfach und freue mich über jeden, der das Thema für sich entdeckt und mit weiterdenken will.
DOMRADIO.DE: Die Jugend ist die Zukunft der Kirche. Und wenn die Jugend zu 94 Prozent sagt, sie spiele zumindest ab und an Games, dann ist das im Grunde genommen ein Thema, wo man ja präsent sein muss.
Lexel: Richtig, wir müssen da präsent sein und wir müssen irgendwie in diesen Bereich reinkommen. Das fängt meiner Meinung nach erst mal mit einer positiven Begegnung an. Dass man nicht direkt das Thema als schlecht abtut und nur Gefahren und Suchtpotenzial sieht. Die sind natürlich auch da, das kann man auch nicht beschönigen.
Aber es geht erst einmal darum, dass der junge Mensch mit dem, was er ist, angenommen und ernst genommen wird. Darum, dass er nicht verurteilt wird, darum, dass es einen Raum gibt, wo junge Leute zusammen zocken können, wo es einen Raum für Gespräche gibt. Das ist eigentlich das, was wir auch anbieten können.
DOMRADIO.DE: Sie haben die Spiele-Trends als Gamerin mit Sicherheit im Blick. Wer nichts mit Spielen zu tun hat, dem fallen als erstes Egoshooter ein. Gibt es denn auch Spiele mit christlichen und biblischen Inhalten? Wie sieht es da auf dem Spielemarkt aus?
Lexel: Meiner Meinung nach muss es die gar nicht so explizit geben. Wir müssen als katholische Kirche nicht jedes Jahr ein neues Spiel entwickeln. Wir haben zwar auch dieses Jahr ein VR-Game herausgebracht, wo es viel um Wertebildung junger Menschen geht, aber das ist gar nicht der zwingende Sinn.
Ich würde sagen, wir nutzen das, was da ist. Wir schauen, wo sind die jungen Leute, mit denen ich arbeite, unterwegs? Was sind da die Themen des Spiels?
Ganz viele Games sind voller Gottesbilder, voller religiöser Elemente. Es gibt ein eigenes Computerspiel-Genre, was "Gott Games" heißt, also Gott für Simulationsspiele. Das sind alles Spiele, wo sie eine eigene Welt erschaffen, sich zu einer Bevölkerung verhalten und mit denen irgendwie umgehen.
Das heißt, Gaming besteht nicht nur aus Egoshootern, sondern ist ganz vielfältig.
DOMRADIO.DE: Wie begegnen Sie solchen Dingen wie "verschwendete Zeit" am PC oder Sucht? Wie geht man gegen solche Vorbehalte vor?
Lexel: Ich würde behaupten, dass allein dieses Klischee, was man in dem Zusammenhang immer hört, von muffigen Teenagern, der im Keller vor ihrem PC sitzen und in ihrer eigenen Welt sind, noch nie so richtig zutreffend war, weil Games auch Gemeinschaft stiften. Sie verbinden Jugendliche über Kultur- und Ländergrenzen hinweg.
Das ist auch das, was man sehen muss. Natürlich soll man auch auf Gefahren und Suchtpotentiale hinweisen und das mit im Blick haben. Aber wenn man das nur primär sieht, ist es kein gutes Verhalten gegenüber Games.
Die Games werden nicht wieder weggehen, da bin ich mir ziemlich sicher. Das heißt, man ignoriert entweder diese riesige Szene weiter oder man sagt, man nimmt das ernst, befasst sich wirklich damit, probiert Dinge auch mal selber aus und schaut, was man davon auch in die eigene Arbeit einbringen kann. Denn die Gaming-Branche ist weltweit wirtschaftlich gesehen größer als die Film- und Musikbranche zusammen. Hier steckt auch eine enorme Wirtschaftskraft dahinter.
Bei Film und Musik ist das total selbstverständlich, dass die auch religionspädagogisch eingesetzt werden. Aber es gibt auch nicht nur gute oder nur gewaltfreie Filme.
Bei den Games jedoch ist dieser Schritt zur Selbstverständlichkeit irgendwie noch nicht gekommen. Und das, wo bekannt ist, dass ein Game einen auch ganz anders involviert als ein Film oder ein Lied.
Das Interview führte Bernd Hamer.