Experten mahnen zu differenzierter Debatte über Einsamkeit

Klischees treffen nicht zu

Einsamkeit ist nach Worten von Diakonie-Präsident Ulrich Lilie ein "vielgesichtiges Phänomen". Durch die Corona-Pandemie sei das Thema zum Politikum geworden, sagte er vor rund 200 Teilnehmern beim digitalen Fachtag Einsamkeit

Autor/in:
Paula Konersmann
Vereinsamter alter Mann - Symbolbild Einsamkeit / © mrmohock (shutterstock)
Vereinsamter alter Mann - Symbolbild Einsamkeit / © mrmohock ( shutterstock )

Die Diakonie hatten gemeinsam mit der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung (midi) und dem Versicherer im Raum der Kirchen (vrk) eingeladen. Es brauche in der Debatte jedoch mehr Differenzierung, mahnte Lilie am Montag.

Ulrich Lilie / © Harald Oppitz (KNA)
Ulrich Lilie / © Harald Oppitz ( KNA )

Allzu häufig werde über Einsamkeit gesprochen wie über eine Krankheit, die zu heilen sei, oder wie über ein "sozialtechnisches Problem". Regelrecht skandalisierende Begriffe wie "die neue Epidemie der Einsamkeit" seien nicht hilfreich, mahnte der Diakonie-Chef. "Sie bergen vielmehr die Gefahr, betroffene Menschen zu stigmatisieren und als defizitär zu schreiben."

Zudem habe die Forschung gezeigt, dass Klischees wie das von "einsamen Alten" nicht zuträfen. Vielmehr seien Menschen in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen, Altersstufen und Einkommensgruppen von verschiedenen Formen der Einsamkeit betroffen, erklärte Lilie.

Alleinsein und Einsamkeit

Die Schweriner Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt wies auf den Unterschied zwischen Alleinsein, das möglicherweise als angenehm erlebt werde, und unfreiwilliger Einsamkeit hin. Aus letzterer Situation herauszufinden, liege nicht allein in der Verantwortung des Einzelnen. Hier seien Gesellschaft, Kirche und Politik gefragt. Zugleich sei für jeden Menschen die Kompetenz wichtig, Zeit mit sich selbst zu verbringen, fügte Kühnbaum-Schmidt hinzu.

Nach Einschätzung des Zukunftsforschers Erik Händeler steht die Gesellschaft vor einem Entwicklungsschritt. In Zeiten der landwirtschaftlich und später industriell geprägten Gesellschaft seien die Menschen stets in Gruppen eingebettet gewesen, erklärte der Forscher. In der heutigen Wissensgesellschaft dagegen herrsche eine große Individualisierung. Künftig würden die Menschen jedoch verstärkt zusammenarbeiten müssen, um Probleme lösen zu können. "Die wechselseitige Abhängigkeit nimmt zu", so Händeler. Investitionen in Kommunikations- und Teamfähigkeit seien daher durchaus auch aus ökonomischen Gründen sinnvoll.

Nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch im alltäglichen Miteinander brauche es einen stärkeren Zusammenhalt, ergänzte Lilie: So müssten die Menschen "soziale Gegenseitigkeit einüben". Die Institutionen seien gefragt, Orte zu schaffen, an denen sich sehr unterschiedliche Menschen begegnen könnten. Dies sei ein Ziel des Kompetenznetzes Einsamkeit, das im Februar seine Arbeit aufgenommen hatte und das vom Bundesfamilienministerium gefördert wird. Auch gelte es, Einsamkeit noch besser zu untersuchen: "Ich warne vor Schnellschüssen", sagte der Präsident des evangelischen Wohlfahrtsverbandes. Vielmehr brauche es eine gut entwickelte politische Strategie für den Umgang mit Einsamkeit.

Diakonie Deutschland

Die Diakonie ist der soziale Dienst der evangelischen Kirchen. Sie versteht ihren Auftrag als gelebte Nächstenliebe und setzt sich für Menschen ein, die am Rande der Gesellschaft stehen, die auf Hilfe angewiesen oder benachteiligt sind. Neben dieser Hilfe versteht sie sich als Anwältin der Schwachen und benennt öffentlich die Ursachen von sozialer Not gegenüber Politik und Gesellschaft. Diese Aufgabe nimmt sie gemeinsam mit anderen Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege wahr.

Diakonie (Symbolbild) / © Tobias Arhelger (shutterstock)
Diakonie (Symbolbild) / © Tobias Arhelger ( shutterstock )
Quelle:
KNA