Sie gehören fast täglich zu den Nachrichten aus aller Welt: Gewalttaten im Namen des Islam. Vor allem nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 wirkt die jüngste der drei monotheistischen Weltreligionen oft bedrohlich - auch wenn sich Islamvertreter regelmäßig von Gewalt distanzieren und die generelle Friedfertigkeit der Muslime betonen. Es bleibt die Frage, die auch bei der von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) geplanten Islamkonferenz eine große Rolle spielen wird: Wie verträgt sich der Islam mit der westlichen Welt? Und wie tolerant kann und will der Islam gegenüber der Demokratie sein? Islam-Experten kommen zu unterschiedlichen Schlüssen.
Für den Münchener Orientalisten Hans-Peter Raddatz steht fraglos fest: Islam und moderner Rechtsstaat sind weit gehend unvereinbar. Der als scharfer Islam-Kritiker bekannte Publizist warnt vor dem "Mythos vom toleranten Islam". Das islamische Recht, die Scharia, berechtige Muslime nicht nur zur Gewaltanwendung, sondern verpflichte sie sogar dazu.
Der Frankfurter Publizist Wolfgang Günter Lerch versteht den Islam dagegen nicht als gewalttätigen Glauben. Zwar habe es in seiner Geschichte viele Formen der Gewalt gegeben, aber auch aus dem Christentum und anderen Religionen sei Gewaltanwendung bekannt. Lerch weist allerdings darauf hin, dass Mohammed im Unterschied zu den übrigen Stiftern von Hochreligionen persönlich Feldzüge führte - etwa gegen die Mekkaner, die den Propheten selbst und seine junge Gemeinde in Medina vernichten wollten.
Seit dieser Zeit, so Lerch, habe der Islam auch einen wehrhaften Zug, verstehe sich durchaus "als kämpferische Religion". Der primär zu Defensivzwecken entwickelte Dschihad, die auch militärisch mögliche "Anstrengung auf dem Weg Gottes", sei dann aber schon bald zu aggressiven Kriegen entartet. "Die Scharia kennt zulässige Formen des Krieges zur Erweiterung und zum Schutz des islamischen Herrschaftsbereichs", meint Lerch.
Mit Blick auf das Thema Gewalt unterscheidet der Münsteraner Islamwissenschaftler Adel Theodor Khoury zwei Lager. Die Vertreter des klassischen Islam machten einen Absolutheitsanspruch für den Islam geltend, zumal er aus ihrer Sicht jüdische und christliche Tradition in sich aufgenommen und vervollkommnet habe. Sie wollten dem muslimischen Glauben und seinen moralischen Normen überall die Oberhoheit verschaffen. Notfalls erfordert der Dschihad den bewaffneten Kampf. Frieden ist erst dann, wenn sich der islamische Gottesstaat überall etabliert hat. Bis dahin lebt die islamische Gemeinschaft im ständigen Konflikt. Beziehungen zu fremden Ländern und Abkommen mit ihnen sind aber möglich, womit aber keinesfalls die Legitimität dieser Staaten anerkannt ist.
Demgegenüber macht Khoury eine andere Richtung unter Muslimen aus, die sich auf eine im Mittelalter vollzogene Umdeutung des Dschihad-Begriffs stützen und den Frieden akzentuieren. Danach bezieht sich der Einsatz für den Islam zunächst auf das Innenleben der Gemeinschaft, etwa durch Unterbindung des Bösen und Förderung des Guten. Nach außen ersetzt die Verkündigung den bewaffneten Kampf, der nur beim Angriff auf islamisches Gebiet als legitim gilt. An die gemäßigten Gelehrten richtet Khoury Erwartungen: Sie sollten die Texte des Koran, der Tradition und der Scharia so überzeugend auslegen, dass auch militante Muslime dem ohne Angst vor Identitätsverlust folgen können.
Der Düsseldorfer katholische Theologe Hans Waldenfels spricht von einem Absolutheitsstreben des Islam, für ihn das Hauptproblem für ein friedliches Miteinander. Der einst von Christen mit Hochmut vertretene universelle Geltungsanspruch komme "inzwischen wie ein Bumerang auf uns zurück". Der Absolutheitsanspruch des Islam müsse denn auch am Anfang des viel beschworenen Dialogs stehen.
Der Theologe sieht den Islam heute vor einer "Zerreißprobe, die das Christentum auf seine Weise hinter sich" habe: Entweder lassen sich Muslime auf die Moderne einschließlich wissenschaftlicher Erkenntnisse und demokratischer Spielregeln ein. Oder aber sie begegnen ihr durch radikale Abwehr. Angesichts der "Menge Steine", die den Weg zueinander noch versperren, erwartet Waldenfels vom Dialog derzeit nur begrenzten Erfolg. Eine Gewissheit des Theologen gilt aber auch angesichts der derzeitigen Aufregungen: "Solange Menschen miteinander sprechen, führen sie keinen Krieg miteinander."
Experten über Gewalt und Absolutheitsanspruch im Islam
Hintergrund: "Kämpferische Religion"
Sie gehören fast täglich zu den Nachrichten aus aller Welt: Gewalttaten im Namen des Islam. Vor allem nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 wirkt die jüngste der drei monotheistischen Weltreligionen oft bedrohlich - auch wenn sich Islamvertreter regelmäßig von Gewalt distanzieren und die generelle Friedfertigkeit der Muslime betonen.
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