Experten warnen Bundestag vor Irrweg bei Suizidbeihilfe

Parlament ist nicht zu beneiden

Das Gesetz zur Suizidbeihilfe lässt weiter auf sich warten. Ethikexperten und Juristen warnen den Bundestag vor einem Irrweg. Entscheidend sei eine bessere Suizidvorbeugung, so der Tenor einer Podiumsdiskussion im Bonner Münster.

Autor/in:
Christoph Arens
Tabletten auf einem Tisch / © Dimitriy_Kul (shutterstock)
Tabletten auf einem Tisch / © Dimitriy_Kul ( shutterstock )

In der Debatte um eine Neuregelung der Suizidhilfe haben Experten den Bundestag vor einem Irrweg gewarnt.

Podiumsdiskussion im Bonner Münster / © Harald Oppitz (KNA)
Podiumsdiskussion im Bonner Münster / © Harald Oppitz ( KNA )

Gefragt sei ein klares Signal an die Gesellschaft, dass Suizide kein normaler Ausweg aus schweren körperlichen und psychischen Problemen werden dürften, mahnten der frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio, die Medizinethikerin Christiane Woopen und der Palliativmediziner Lukas Radbruch am Montagabend bei einer Podiumsdiskussion im Bonner Münster.

Thema elektrisiert

Wenn das Parlament, wie in den drei vorliegenden Gesetzentwürfen vorgesehen, Leitplanken, Beratungspflichten und zeitliche Fristen für einen freiverantwortlichen Suizid festlege, werte es die Selbsttötung - wenn auch ungewollt - zum Normalfall und Standard-Ausweg auf.

 Wolfgang Picken
 / © Harald Oppitz (KNA)
Wolfgang Picken / © Harald Oppitz ( KNA )

Das Thema elektrisiert: Erstmals hatten die katholische Kirche in Bonn und der Lehrstuhl für Moraltheologie der Katholisch-Theologischen Fakultät zu einer gesellschaftlichen Debatte in die katholische Hauptkirche Bonns eingeladen. Mehr als 700 Besucherinnen und Besucher sorgten für eine überfüllte Basilika, mehr als 300 Interessierte verfolgten zudem den Livestream im Internet - ein überwältigender Zuspruch.

Der Anlass für die Veranstaltung: Der Bundestag will noch in diesem Jahr ein Gesetz zur Suizidbeihilfe verabschieden. Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen, also auf Wiederholung angelegten Suizidhilfe aufgehoben und zugleich ein weitreichendes Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben, unabhängig von Alter oder Krankheit formuliert. Dabei sollen Suizidwillige auch auf die Hilfe Dritter zugreifen können. Zugleich legten die Richter dem Gesetzgeber nahe, Missbrauch durch Schutzkonzepte zu verhindern.

Udo Di Fabio / © Harald Oppitz (KNA)
Udo Di Fabio / © Harald Oppitz ( KNA )

Niemand solle zur Selbsttötung gedrängt werden können. Sowohl Di Fabio als auch Woopen machten deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht das Parlament in ein schweres Dilemma gestürzt habe. "Der Bundestag ist nicht zu beneiden", sagte Di Fabio.

Woopen, frühere Chefin des Europäischen Ethikrates, äußerte grundsätzliche Zweifel, ob ein Gesetz, bei dem "Checklisten" mit Beratungspflichten oder zeitlichen Fristen abgehakt werden müssten, überhaupt die richtige Antwort auf so individuelle Notlagen sei. Auch Karlsruhe habe den Bundestag nicht zu einer rechtlichen Regelung gezwungen.

 Christiane Woopen
 / © Harald Oppitz (KNA)
Christiane Woopen / © Harald Oppitz ( KNA )

Di Fabio bekundete die Sorge, dass der Bundestag mit neuer Bürokratie und neuen Beratungsgremien einen falschen Weg einschlage, um die Autonomie der Menschen zu schützen. Sinnvoll wäre aus seiner Sicht lediglich, zu verhindern, dass aus der Beihilfe zur Selbsttötung ein Geschäftsmodell wird.

Auch Radbruch, der Ärztlicher Direktor für Palliativmedizin am Uniklinikum Bonn ist, mahnte, der Gesetzgeber dürfe nicht bei einer "Art Checkliste" enden, die für einen Suizid abgearbeitet werden müsse. Schwerstkranke Menschen brauchten keine Beratung zum Suizid, sondern intensive Begleitung. Die Palliativmedizin kenne viele Mittel, um Leiden zu verhindern und auch seelische Not aufzufangen.

Lukas Radbruch / © Harald Oppitz (KNA)
Lukas Radbruch / © Harald Oppitz ( KNA )

Häufig sei der Sterbewunsch sehr schwankend und zunächst nur ein Signal dafür, dass die Menschen über ihre Situation reden wollten. Es komme nicht selten vor, dass sie im Verlauf eines Gesprächs vom Todeswunsch abrückten, und schließlich "heilfroh sind, dass sie es nicht umgesetzt haben".

Bessere Suizidprävention nötig

Einig waren sich die Experten, dass Deutschland dringend eine bessere Suizidprävention benötige. Es sei eine gesamtgesellschaftliche und auch kirchliche Aufgabe, etwa Sterbenskranken beizustehen und Menschen aus der Vereinsamung zu holen, sagte der Bonner Hochschulpfarrer Stefan Buchs.

Stefan Buchs / © Harald Oppitz (KNA)
Stefan Buchs / © Harald Oppitz ( KNA )

Woopen sprach sich für mehr Therapieplätze, eine bessere Gesprächsausbildung für Ärzte oder bauliche Maßnahmen wie das Sichern von Hochhäusern und Brücken aus.

Die Medizinethikerin bezeichnete es als Skandal, dass es in vielen Altenheimen keine palliativmedizinischen Angebote und Hospizdienste gebe.

Auch Di Fabio und Radbruch appellierten an die Politik, einen gesetzlichen Rahmen und ausreichend Geld zur Verfügung zu stellen, damit die Gesellschaft Menschen in schwierigen Situationen Hilfe anbieten und Gesprächsräume öffnen könne.

Alternativen zur Sterbehilfe

Wie steht die Kirche zur Sterbehilfe?

Die Kirche lehnt die organisierte oder kommerzielle Beihilfe zum Suizid sowie den ärztlich assistierten Suizid ab, weil sie es seit jeher als ihr Selbstverständnis betrachtet, das Leben von seinem Beginn an bis zu seinem Ende hin zu schützen.

Welche Alternativen sieht die Kirche zur Sterbehilfe?

Symbolbild Pflege / © Robert Kneschke (shutterstock)
Quelle:
KNA