Experten zu möglichen Tests an schwer Demenzkranken

"Für die Forschung nicht notwendig"

Die Bundesregierung will Forschung an schwer Demenzkranken unter bestimmten Voraussetzungen ermöglichen. Das stößt auf Widerstand - nicht nur im Parlament. Nun sollen Experten an diesem Mittwoch zu Wort kommen.

Autor/in:
Christoph Scholz
Demenz: Zum Weinen oder Lachen? / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Demenz: Zum Weinen oder Lachen? / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

An diesem Mittwoch erhalten im Gesundheitsausschuss des Bundestags die Sachverständigen das Wort: Soll künftig medizinische Forschung an schwer Demenzkranken erlaubt sein, auch wenn diese davon nicht profitieren? Der Bundestag hatte sich noch 2013 einstimmig gegen eine solche "fremdnützige" Forschung an Behinderten oder nicht-einwilligungsfähigen Erwachsenen ausgesprochen. Doch dann tauchte im Gesetzentwurf zur Novellierung des Arzneimittelgesetzes aus dem Hause von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) überraschend ein Satz auf, der vieles ins Rutschen brachte.

Erheblicher Widerstand

Das Ministerium will "gruppennützige Studien an nicht einwilligungsfähigen Personen", wie es im Fachjargon heißt, unter bestimmten Voraussetzungen erstmals erlauben. Die Absenkung bisheriger Schutzstandards sollte eigentlich vor der Sommerpause geräuschlos über die Bühne gehen. Die erste Beratung fand abends ohne öffentliche Debatte statt. Nach dem Protest zahlreicher Abgeordneter und Widerstand von Kirchen, Behindertenverbänden und Patientenorganisationen wurde aber die abschließende Abstimmung vertagt. Wie bei anderen schwierigen ethischen Fragen wurde der sogenannte Fraktionszwang aufgehoben, nach dem Abgeordnete mit ihrer jeweiligen Fraktion stimmen müssen.

Zur Anhörung liegen nun drei Anträge vor. Der SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach und der CDU-Abgeordnete Georg Nüßlein treten dafür ein, dass Personen nach ärztlicher Aufklärung und noch im Zustand der Einwilligungsfähigkeit ihre Bereitschaft zur späteren Teilnahme an Forschungsvorhaben in einer Verfügung erklären sollen. Der Vorschlag wird von rund 70 Parlamentariern getragen, einschließlich Gröhe.

Ringen um Unterstützer

Ein weiterer Antrag sieht ebenfalls vor, dass Patienten sich mit einer eigenen Verfügung zur Teilnahme an Forschungsvorhaben bereiterklären müssen, will aber auf eine verpflichtende ärztliche Aufklärung verzichten. Er wird von den SPD-Abgeordneten Hilde Mattheis und Sabine Dittmar getragen. Ihm sollen bislang rund 60 Parlamentarier zugestimmt haben.

Knapp 180 Unterstützer findet bislang der Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt (SPD), Uwe Schummer (CDU) Kordula Schulz-Asche (Grüne) und Kathrin Vogler (Linke), der für die bisherige restriktive Regelung eintritt und jede fremdnützige Forschung untersagt.

Für die Abstimmung des Bundestages am 9. November wird es also darauf ankommen, die noch Unentschiedenen zu überzeugen. Dem soll auch die Expertenanhörung dienen. Wie heftig in dieser Frage gerungen wird, zeigen dabei die Auseinandersetzungen über die Redezeit und die Zahl der geladenen Sachverständigen.

"Vorausverfügung illusorisch"

Die fremdnützige Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Probanden ist grundsätzlich umstritten, weil Betroffene nicht mehr bewusst zustimmen können. So besteht die Gefahr, dass sie als Wehrlose zum Zwecke anderer instrumentalisiert werden - ein Thema, das nach der NS-Vergangenheit besonders sensibel ist. Befürworter der Forschung, wie der Heidelberger Medizinrechtler Jochen Taupitz, wollen deshalb das Selbstbestimmungsrecht des Patienten durch eine schriftliche Verfügung nach dem Vorbild von Patientenverfügungen sicherstellen, der ein möglicher Proband noch bei vollem Bewusstsein zustimmt.

Kritiker wie der Berliner Philosoph Andreas Lob-Hüdepohl, halten eine solche Vorausverfügung hingegen für illusorisch, da wesentliche Einzelheiten der Forschung zum Zeitpunkt der Abfassung nicht bekannt sind und sich der Patient während der Studie nur beschränkt äußern kann. Selbstbestimmung in dieser Form sei eine Illusion, so Lob-Hüdepohl. Der Frankfurter Gerontologe und Demenzforscher Johannes Pantel sieht im übrigen gar keine Notwendigkeit für eine Gesetzesänderung. Durch eine Beibehaltung des aktuellen Schutzniveaus werde die Forschung "nicht behindert oder gar verhindert". Auch die Pharma-Industrie hatte sich ähnlich geäußert. Kritiker der Novelle befürchten deshalb, dass die Änderung eigentlich nur eine Türöffner-Funktion haben soll.


Quelle:
KNA