Fahnenträgerin der olympischen Flüchtlingsmannschaft am Start

Rose in Rio

Die 23-jährige Rose flüchtete vor der Gewalt in ihrer Heimat. Jetzt startet die südsudanesische 800-Meter-Läuferin im ersten Flüchtlingsteam bei Olympischen Spielen und will mit einer Finalteilnahme Geschichte schreiben.

Autor/in:
Jan Dirk Herbermann
Rose Nathike Lokonyen (l.) bei der Eröffnungsfeier / © Sergei Ilnitsky (dpa)
Rose Nathike Lokonyen (l.) bei der Eröffnungsfeier / © Sergei Ilnitsky ( dpa )

Sie muss laufen, schnell laufen. Rose (23) ist ein Flüchtling. Und sie startet für die erste Flüchtlingsmannschaft, die jemals bei Olympischen Spielen um Medaillen kämpft. Am Mittwoch will die junge Frau aus dem zerrissen Südsudan zeigen, was in ihr steckt. Rose tritt in Rio de Janeiro beim Vorlauf der Frauen über 800 Meter an. Am Schlusstag der Spiele, dem 21. August, könnte Rose im Endlauf stehen.

Rose Nathike Lokonyen jedenfalls scheint fest an sich und ihr Können zu glauben. "Was ich in Rio erreichen will? Gewinnen, gewinnen und nochmals gewinnen", sagt sie. Vor allem aber will die gläubige Christin ihr Bestes geben, "damit ich vielen Mädchen helfen kann, die Talent haben, aber weniger Chancen". Rose weiß, wovon sie spricht: Sie arbeitet für den Lutherischen Weltbund als Jugendbetreuerin in einem Flüchtlingslager in Kenia. Schwerpunkt: junge Mädchen.

Fahnenträgerin des Flüchtlingsteams

Bei der Eröffnungsfeier in Rio zeigte sich Rose als selbstbewusste Botschafterin der Millionen Flüchtlinge - und die Welt war beeindruckt. Die Leichtathletin führte das zehnköpfige Flüchtlingsteam an: Stolz und mit einem strahlenden Lachen hielt die Afrikanerin die Fahne vom "Refugee Olympic Team" hoch. Es war die Olympische Fahne mit den fünf ineinander verschlungenen Ringen auf weißem Grund. In dem Team finden sich ein Schwimmer und eine Schwimmerin aus Syrien, zwei Judokas aus der Demokratischen Republik Kongo, ein Marathonläufer aus Äthiopien und fünf Mittelstreckenläufer aus dem Südsudan, darunter eben Rose.

Papst beeindruckt

Die Menschen im Maracanã-Stadion jubelten - und selbst der Papst im fernen Rom war beeindruckt. "Durch euch kann die Menschheit verstehen, dass Frieden möglich ist", schrieb Franziskus. Und US-Präsident Barack Obama erklärte: "Du kannst Erfolg haben, ganz egal woher Du kommst."

Das Team um Rose präsentiert sich auf dem vorläufigen Höhepunkt der globalen Flüchtlingskrise: Weltweit sind nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht - niemals zuvor registrierten die UN so viele Geflohene. Angesichts des Elends reifte beim Internationalen Olympischen Komitee die Idee, ein eigenes Flüchtlingsteam nach Rio einzuladen. Im Oktober des vergangenen Jahres stellte IOC-Präsident Thomas Bach bei der Vollversammlung der UN das Projekt vor.

Die Athleten, so führte Bach aus, demonstrieren den Politikern, "dass es möglich ist, in einem Wettbewerb zu stehen und gleichzeitig in Frieden miteinander zu leben". Das IOC und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, das UNHCR, arbeiten seitdem eng zusammen, um den Frauen und Männern des Teams die besten Startbedingungen für Rio zu geben.

Leben im kenianischen Flüchtlingslager Kakuma

Davon profitiert nun auch Rose. Schon als Kind war die 800-Meter-Läuferin laut Angaben des Lutherischen Weltbundes mit ihrer Familie vor dem Konflikt im Süden des Sudan geflohen. Im Jahr 2002 erreichten sie das Flüchtlingslager Kakuma in Kenia, in dem heute rund 180.000 Flüchtlinge leben. Die Eltern verließen kurz darauf Kakuma. Rose blieb und kümmerte sich um ihre drei jüngeren Geschwister.

Sie besuchte bis zur mittleren Reife die Schulen des Lutherischen Weltbundes in dem Camp. In einer Schule wurde ihr Talent entdeckt: Ein Lehrer spornte das Mädchen dazu an, bei einem 10-Kilometer-Lauf mitzumachen. "Ich hatte nicht trainiert. Es war das erste Mal, dass ich an einem Lauf teilnahm, und ich wurde Zweite", erinnert sich Rose.

Friedensbotschafterin

Im Laufe der Jahre konnte das Flüchtlingskind seine Leistungen immer weiter steigern. Schließlich war sie so gut, dass für die Experten des Internationalen Olympischen Komitees feststand: Rose muss in das olympische Flüchtlingsteam. In einem Trainingscamp in der Nähe von Kenias Hauptstadt Nairobi bereitete sie sich auf das Abenteuer Rio vor.

Für die Zeit nach den Spielen in Rio hat Rose auch schon Pläne, in ihrer Heimat Südsudan: "Vielleicht kann ich, wenn ich Erfolg habe, zurückkehren und einen Lauf für Frieden und Völkerverständigung organisieren."


Quelle:
epd