Neue Forschungserkenntnisse zu einer erfolglosen Mission

Faulhaber zu Besuch beim "Führer"

Nur einmal empfing Hitler einen katholischen Bischof auf dem Obersalzberg. Doch auch nach dem Gespräch blieb die Kirche unter Druck. Trotzdem setzte Münchens Kardinal Faulhaber weiter auf Verständigung mit den Nazis.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Kardinal Michael von Faulhaber (KNA)
Kardinal Michael von Faulhaber / ( KNA )

Am 4. November 1936 fährt der Münchner Kardinal Michael von Faulhaber zu Adolf Hitler auf den Obersalzberg. Drei Stunden reden die beiden miteinander in der tief verschneiten Residenz über dem Königssee.

In der nächsten Ausgabe der "Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte" präsentiert der Historiker Philipp Gahn Dokumente, die ein neues Licht auf die eigenartige Begegnung werfen. Keinen anderen katholischen Bischof hat der "Führer" je in diesem Ambiente empfangen. Aber wozu?

Für die Mission hat der Kardinal kein Mandat. Der deutsche Episkopat ist gespalten in der Frage, wie man weiter mit den Nationalsozialisten umgehen soll, die trotz des 1933 geschlossenen Reichskonkordats den Bewegungsspielraum der katholischen Kirche mit kalkulierten Rechtsbrüchen immer mehr einengen. Einige, darunter der Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen, drängen auf einen "Wechsel in der Kampftaktik". Sie plädieren für offenen Protest.

Faulhaber will ohne Vorbedingungen reden

Verhandelt werden soll erst dann wieder, wenn die Nazis ihre antikirchliche Propaganda eingestellt haben. Doch Faulhaber ist anderer Ansicht. Er will ohne Vorbedingungen reden.

Über einen Mittelsmann, Baron Otto von Ritter zu Groenesteyn, lässt der Münchner Erzbischof einen Draht nach Berlin herstellen. Der ehemalige bayerische Gesandte beim Apostolischen Stuhl hat beste Beziehungen zur Regierung. Auch Nuntius Cesare Orsenigo ist involviert. Der Vatikanbotschafter erhofft sich, dass aus der Zusammenkunft eine Verbindung entsteht, die noch nützlich werden kann. Die Zusage aus der Reichskanzlei kommt kurzfristig am Vortag - per Telefon.

Um 11 Uhr trifft Faulhaber auf dem Berghof ein. Hitler begrüßt ihn mit "Handschlag und Händedruck". Zur Überraschung des Kirchenmanns erwartet ihn kein Vieraugengespräch, Hitlers Faktotum Rudolf Heß ist auch da.

Gahn beschreibt die Atmosphäre als "gespannt bis feindselig". Der Diktator will die katholische Kirche für seinen Kampf gegen die Bolschewisten gewinnen. Faulhaber hat sich vorgenommen, das scharfe Vorgehen der Nazis gegen katholische Schulen und Verbände zur Sprache zu bringen. Er sucht nach irgendeiner Art Arrangement mit dem Regime - in erster Linie, um seiner Kirche Räume zur Seelsorge und Verkündung ihrer Lehre zu sichern. Nach der Unterredung begeben sich die Männer miteinander zu Tisch.

Auftrag in der Tasche

Faulhaber verlässt den Berghof mit einem Auftrag in der Tasche. Er soll seine Mitbrüder zu einem gemeinsamen Hirtenwort gegen den Kommunismus bewegen. Im Gegenzug schlägt ihm Hitler einen "Kompromiss oder Kuhhandel" vor, wie der Kardinal in seinem Tagebuch notiert: die Einstellung von Devisen- und Sittlichkeitsprozessen gegen Priester und Ordensleute.

Dann geschieht etwas Merkwürdiges: Der Münchner Erzbischof setzt alles daran, seinen Auftrag zu erfüllen. In wenigen Wochen ist das gesamtdeutsche Hirtenwort fertig, am 3. Januar 1937 wird es von den Kanzeln verlesen, doch: In der gleichgeschalteten Presse wird es totgeschwiegen, seine weitere Verbreitung von den Behörden teilweise verboten. Ein Fiasko für Faulhaber.

Im Januar wird er mit einem Entwurf für eine Enzyklika betraut. In ihr sollen die Irrtümer des Nationalsozialismus deutlich benannt werden. Die Vorlage des Kardinals fällt gemäßigt aus, Pius XI. und sein Staatssekretär Eugenio Pacelli verschärfen den Ton. Darüber ist Faulhaber gar nicht glücklich. 

Gahn dokumentiert zwei Entwürfe für einen Brief an Hitler vom August 1937. Demnach erwog der Kardinal ernsthaft, sich für die Enzyklika, die unter dem Titel "Mit brennender Sorge" veröffentlicht wurde, beim "Führer" zu entschuldigen. Die Briefe wurden nie abgeschickt. Aber auch noch Ende 1938 hält Faulhaber einen Ausgleich zwischen NS-Staat und Kirche für möglich.

Was den Münchner Erzbischof dieser Illusion weiter aufsitzen ließ, vermag Gahn nicht abschließend zu erklären. War es Eitelkeit, genährt aus der direkten Begegnung mit Hitler? Der Historiker hält das für zu kurz gegriffen. Für ihn ist der Kardinal ein Mann, der gegenüber den Nazis "im Zwiespalt verharrt".

Information der Redaktion: Philipp Gahn, "Widersprüche eines Modus Vivendi. Dokumente zum Besuch Michael Kardinal von Faulhabers bei Adolf Hitler auf dem Obersalzberg im November 1936", Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 69 (2021), 481-526. Die Ausgabe erschien am 1. Juli.


Quelle:
KNA
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