DOMRADIO.DE: Ihr neues Buch haben Sie ihrer Oma gewidmet. Warum hat sie das verdient?
Hubertus Meyer-Burckhardt (Fernsehmoderator, Journalist, Schriftsteller): Wenn man in meinem Alter angekommen ist, auch schon in der zweiten Hälfte der 60er, fragt man sich, wem man was zu verdanken hat. Man fragt sich auch, wer einen besonders geliebt und geprägt hat.
Ich bin schon seit vielen Jahren zu der Erkenntnis gelangt, dass meine Großmutter eine Seelenverwandte war. Sie war sehr großzügig, sie war voller Humor, sie hat Eigenlob gehasst, sie mochte Selbstmitleid nicht. Sie war eine Frau, die mir bestimmte Werte vorgelebt hat, und das mit Humor. Etwas Besseres kann man sich als Enkel nicht wünschen.
DOMRADIO.DE: Wann haben Sie gedacht, dass sie über Ihre Oma und ihre Art ein Buch schreiben?
Meyer-Burckhardt: Es schwelte schon lange. Wenn man in der glücklichen Lage ist, einigermaßen erfolgreiche Bücher zu schreiben, fragt der Verlag, was man plant. Man muss sich nicht mehr darum kümmern, einen Verlag zu bekommen oder einen Vertrag. Insofern schwelen immer wieder unterschiedliche Ideen in einem: Romane, Biografien, Sachbuch-Ideen.
Meine Großmutter schwelte schon ungefähr zehn Jahre lang in meinem Kopf. Irgendwann war die Zeit reif und ich habe gesagt: Jetzt beschäftige ich mich drei Jahre mit meiner Großmutter. Drei Jahre hat die Arbeit gedauert, Recherche plus Schreiben.
DOMRADIO.DE: Ihre Oma hat zwei Weltkriege durchlebt, das prägt logischerweise. Aber sie hat darüber nicht die Lust am Leben verloren. Wie hat sie das gemacht? Welches Lebensrezept hatte sie?
Meyer-Burckhardt: Ich glaube, sie war die hohe Priesterin der Unvernunft. Sie hat sich nicht sehr darum gekümmert, welches Essen gesund war. Sie hatte gerne auch schon am Nachmittag mal eine Flasche Weißwein auf dem Tisch. Sie rauchte Lord in der flachen Packung, mehrere am Tag, und wurde trotzdem steinalt. Sie ist eine Frau gewesen, die das Leben gefeiert hat.
Sie war 16, als der Erste Weltkrieg begann, sie war 40 Jahre, als der Zweite Weltkrieg begann. In der zweiten Hälfte der 50er Jahre wurde Deutschland wieder etwas lebenswert und die Schaufenster waren wieder voll. Da war sie aber auch schon Ende 50. Und sie hat mir immer gesagt: "Kleener - sie hat berlinert - wenn ich das Leben jetzt nicht lebe, wann denn dann?"
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielte Gott bei ihrer Oma?
Meyer-Burckhardt: Sie war aus der Lutherstadt Wittenberg. Man könnte glauben, dass sie eine Lutheranerin war. Das war sie im rationalen Bekenntnis sicherlich auch. Aber sie hat immer ein bisschen die Opulenz des Katholizismus vermisst, das gute Essen, die opulenten Kirchen. Manchmal sagte sie mir: "Weeste, Kleener, die Protestanten sind aber langweilig."
Sie fuhr wahnsinnig gerne nach Österreich, nach Norditalien, auch nach Frankreich. Für Damen ihres Alters damals relativ ungewöhnlich, weil sie das alleine machte. Sie liebte die französischen Kirchen und das Restaurant, das meistens gleich neben der Kirche ist. Das hat sie am Protestantismus sehr vermisst.
DOMRADIO.DE: Was hat Ihnen Ihre Oma mitgegeben, das Sie nun selbst auch so machen?
Meyer-Burckhardt: Großzügig zu sein. Es gibt einen schönen Satz: Man muss das Geld aus dem Fenster werfen, damit es zur Tür wieder reinkommt. Sie war sehr großzügig. Sie war außerdem unglaublich diskret. Wenn sie sagte, darüber spreche ich nicht, dann konnte man sich darauf verlassen. Wenn jemand sagte: "Frau Vollbrecht, ich darf Ihnen das eigentlich nicht sagen, aber...", dann hat sie unterbrochen und gesagt: "Wenn du mir das nicht sagen darfst, dann lass es."
Sie war konservativ, fast kaisertreu, aber sie war gegen Rechts. Sie hat mal einen jungen Mann in der Weinstube getroffen, der gesagt hat: "Frau Vollbrecht, wir müssen doch ein bisschen stolz auf unser Volk sein dürfen." Dem hat sie gesagt: "Junger Mann, wenn Sie unbedingt stolz darauf sein möchten, dann empfehle ich Ihnen den Beruf des Imkers." So fängt das Buch auch an.
Sie war schlagfertig und hatte ein Männerbild, das heute ein bisschen hinterfragt werden dürfte: Ein Mann musste Motorrad fahren, ein Mann musste Alkohol trinken, durfte aber nie betrunken sein. Ein Mann musste rauchen und er musste wie John Wayne den Saloon, den Raum betreten können.
DOMRADIO.DE: Was können wir alle von dieser Frau lernen?
Meyer-Burckhardt: Sich selber nicht so wichtig zu nehmen. Das war ihr klassischer Berliner Satz, wenn jemand sich so aufmaschelte. Dann hat sie oft gesagt: "Jetzt lass mal die Luft raus, Kleener." Man muss die Menschen, die einen umgeben, ernst nehmen, aber man soll sich selber nicht wichtig nehmen, das finde ich einen Schritt in ein vernünftigeres Leben.
Sie hat das Wort Problem ersetzt durch das Wort Herausforderung. Wenn ich damals zu ihr kam und gesagt hab: "Mensch, mein Fahrrad wurde geklaut." oder "Ich bin verliebt in das falsche Mädchen" oder "Die Lehrer sind doof", dann hat sie immer gesagt: "Jung, was willst du, das ist das Leben."
Sie war eine stete Mahnung, dass man sich nicht zu wichtig nehmen darf und dass man darüber hinaus sich nicht selber bemitleiden sollte. Das Leben ist dafür da, dass man es lebt. Das Leben hat dir nichts versprochen, nur, dass es da ist. Also mach etwas draus und beklag dich nicht.
DOMRADIO.DE: Sie haben am Dienstagabend in der Flora in Köln aus dem neuen Buch gelesen. Wie haben Sie den Abend erlebt?
Meyer-Burckhardt: Ein tolles Publikum, ein tolles Haus. Die LitCologne zieht ein unheimlich tolles Publikum an. Davon habe ich profitiert. Es war ausverkauft. Es waren circa 800 Leute da. Die Zuschauer sind unheimlich gut mitgegangen. Es hat von der ersten dieser 90 Minuten an, die ich auf der Bühne war, Spaß gemacht. Das ist natürlich eine biochemische Wechselwirkung zwischen Publikum und Autor. Das unterschätzt man vielleicht als Publikum, jedes Publikum ist anders.
Ich habe drei Lesungen an drei aufeinanderfolgenden Tagen gemacht. Berlin, Hamburg, Köln, ohne Pause. Alle drei Lesungen liefen so, dass ich sagte: "Mensch, das Buch kommt an." Das freut mich natürlich sehr. Das Buch heißt "Die Sonne scheint immer, für die Wolken kann ich nichts." Das ist ein schönes Bild, wenn man sagt, das Leben sei so grau, dass man sich einfach vorstellt: Die Sonne scheint immer, also tu etwas dafür, dass du die Wolke wegschiebst. Das ist die Botschaft.
Das Interview führte Carsten Döpp.