Kalte Winter, eine fremde Sprache und Kultur, gewöhnungsbedürftiges Essen und Heimweh – 800 junge Inderinnen, die Anfang der 1960er Jahre nach Deutschland kamen, um in deutsche Klöster einzutreten, hatten wahrlich keinen leichten Start. Nicht wenige schmissen hin und gingen zurück in ihre Heimat. 500 hielten durch; sie bildeten den Grundstock jener indischen Ordensfrauen, die seit über 50 Jahren in deutschen Klöstern leben und arbeiten. Auf ihr Wirken und ihre Geschichte macht nun ein Film aufmerksam.
Gedreht hat "Unbemerktes Leben. Indische Nonnen in deutschen Klöstern" der indische Journalist Jose Punnamparambil. Der heute 82-Jährige begleitete damals als Sozialberater für die Caritas im Erzbistum Köln die indischen Nonnen, die in Deutschland auch in der Pflege oder für pastorale Tätigkeiten ausgebildet wurden, durch ihre Krisen. Und davon gab es nicht wenige.
"Wir sind doch keine Tiere..."
Aber von vorn. Wie kam es dazu, dass die jungen Frauen in deutschen Klöstern aufgenommen wurden? Im Nachkriegsdeutschland fehlte es nicht nur in Fabriken, sondern auch in der kirchlichen Alten- und Krankenpflege an Arbeitskräften. Da es seit über 500 Jahren – auch über deutsche Missionare – intensive Beziehungen zu dem indischen Bundesstaat Kerala gab, fühlte sich die indische Kirche verpflichtet, einen Teil beizutragen. Die angehenden Ordensfrauen gehörten zu den ersten Indern, die nach dem Krieg nach Deutschland kamen.
Der Start war mehr als holprig. Das fing beim Essen an. "Viele haben geklagt, als ihnen Salat serviert wurde", erinnert sich der Journalist. "Sie haben gesagt, warum müssen wir diese Blätter essen, wir sind doch keine Tiere..." Aber Salat war noch das geringste Problem. Vielen fiel es schwer, sich in das Klosterleben in der Fremde zu integrieren. Weil sie anfangs die Sprache nicht konnten, wurden sie für einfache Arbeiten eingeteilt – Putzen, Waschen, Toiletten reinigen. Solche "schmutzigen" Tätigkeiten wurden in ihrer Heimat Kerala nur von Angehörigen niederer Kasten verrichtet; viele weigerten sich zunächst. Ihre Unzufriedenheit über diese vermeintlich unwürdige Tätigkeit teilten sie auch ihren Familien in der Heimat mit. Und die behielten es nicht für sich.
Shitstorm nach Toilettendienst
In Indien löste der Toilettendienst einen Shitstorm in der Öffentlichkeit aus, von organisiertem Menschenhandel und Sklavenarbeit war die Rede. "Es gab Gerüchte, dass die jungen Frauen von unserer indischen Kirche an die deutsche Kirche verkauft worden sind, um Geld zu verdienen – ohne Rücksicht auf ihre Menschenwürde", erinnert sich der ehemalige Sozialberater. "Sie wussten auch nicht, dass in einem deutschen Kloster alle Schwestern alle Arbeiten machen mussten." Nachdem sie das verstanden hatten, habe sich auch ihre Einstellung geändert, wie im Film eine Schwester berichtet. Zunächst aber stand das ganze Projekt auf der Kippe. Die kritischen Berichte in indischen Medien irritierten auch weitere Anwärterinnen. Im Film erinnert sich eine Schwester, wie verunsichert sie daraufhin nach Deutschland gekommen sei.
"Dieser Skandal war kein Skandal", betont Punnamparambil. Er veröffentlichte 1972 einen Artikel in einer indischen Nationalzeitung, um das Missverständnis aufzuklären. Offenbar mit Erfolg. Die Wogen glätteten sich, und die jungen Inderinnen wuchsen in ihre Aufgabe hinein. Dennoch war das Klosterleben mit seinen strengen Regeln für sie mitunter kein Zuckerschlecken. So durften sie für viele Jahre nicht nach Hause fahren. Eine Schwester erzählt, dass sie nicht die Erlaubnis erhielt, sich in der Heimat von ihrem sterbenden Vater zu verabschieden.
Zum Klosterleben gedrängt
Dennoch blieben viele Schwestern in Deutschland; andere gingen nach einigen Jahren – im pflegerischen oder sozialen Bereich gut ausgebildet und mit Gespartem – zurück nach Indien, aber auch nach Afrika. In Indien kümmerten sie sich beispielsweise in abgelegenen und unterentwickelten Gebieten um die indigenen Adivasi. Nicht nur dort bauten sie unter anderem Schulen, Berufsbildungszentren und Gesundheitseinrichtungen auf – finanziell unterstützt von ihren indischen Mitschwestern in Deutschland. So entstanden durch die Nonnen mit dem deutschen Know-how auf dem Subkontinent und anderen Teilen der Welt zahlreiche soziale Dienste.
Heute arbeiten laut Punnamparambil hierzulande rund 2.000 indische Schwestern in der Kranken- und Altenpflege sowie im pastoralen Bereich. Inzwischen sei aber auch in Indien die Zahl der Berufungen rückläufig, ebenso sinke die Geburtenrate, so der im rheinischen Unkel lebende Journalist. Deshalb würden junge Frauen – anders als in den 1960er Jahren – weniger von ihren Familien zu einem Klosterleben gedrängt, wenn diese die teure Mitgift nicht aufbringen können.
Geld für die Heimat
Die zweite Schwesterngeneration kam meist bereits ausgebildet nach Deutschland. Ihr ist das Einleben leichter gefallen; schließlich leben heute, anders als früher, auch mehr Inder, etwa als IT-Spezialisten, in Deutschland. So können sie auch hierzulande Kontakt zu Landsleuten pflegen und leiden weniger unter Heimweh. Mit ihrem Gehalt – jede überweist laut dem Filmemacher durchschnittlich 1.500 Euro – unterstützen sie ihre Mutterhäuser in Indien bei unterschiedlichen humanitären, caritativen und entwicklungspolitisch relevanten Projekten. Immerhin 36 Millionen Euro gingen so jedes Jahr nach Indien, rechnet Punnamparambil vor.
Stolz schwingt mit, wenn etwa Schwester Veena Punnackapallil im Film auf das Wirken indischer Ordensfrauen in Deutschland zurückblickt. "Wir haben geholfen, eine schwächelnde Kirche am Leben zu halten und mit neuer Kraft zu füllen." Einige haben längst Karriere gemacht, auch international. Sr. Mercy Cheruvilparambil etwa ist Generaloberin ihrer in vielen Teilen der Welt aktiven Gemeinschaft.
"Wenn die alte Heimat einem fremd ist"
Schwester Prema Packumala erinnert sich indes auch an Gegenwind von deutschen Mitschwestern: "Sie sind Ausländerinnen, farbig, wie können Sie über uns die Oberhand haben"? Schwester Veena spürte eher Widerstand bei ihren indischen Kolleginnen, wie sie im Film erzählt. Und auch an deutsche Speisen haben sich die Ordensfrauen inzwischen gewöhnt, "heute essen manche sogar lieber deutsches als indisches Essen", schmunzelt Punnamparambil. Heute, nach 40, 50 Jahren im Ordensdienst sind die Schwestern der ersten Generation im Ruhestand. Der Inder weiß, dass nicht wenige im Alter gerne den Lebensabend in ihre Heimat verbringen möchten, in die in den vergangenen Jahrzehnten aber auch die westliche Lebensweise Einzug gehalten habe.
Die indische Gesellschaft habe sich verändert; "wenn sie nach Hause gehen, werden sich viele dort fremd fühlen, was ein Gefühl von Heimatlosigkeit auslösen kann". Nach über einem halben Leben in Deutschland sei ihnen die indische Mentalität verloren gegangen, zugleich sei ihnen auch die deutsche Mentalität noch immer nicht richtig vertraut, bedauert Schwester Jositta. Würden sie zurückkehren, hätten sie keinen Versicherungsschutz und keine medizinische Versorgung, ergänzt Schwester Alphonsa. "Wenn die alte Heimat einem fremd ist, warum sollten sie zurückgehen?", fragt der Filmemacher. "Die meisten sagen, wir bleiben hier."
Der Film "Unbemerktes Leben. Indische Nonnen in deutschen Klöstern" wurde vom Erzbistum Köln finanziert. Er erzählt ein besonderes Kapitel deutscher Orden. Als Journalist sei es Punnamparambil ein Anliegen, objektiv über das Wirken der indischen Schwestern zu berichten und nichts zu beschönigen – "die Probleme waren da, und man brauchte Zeit, sie zu bewältigen". Punnamparambil, der für sein Engagement 1988 vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker mit dem Preis für Entwicklungspolitik ausgezeichnet wurde, zeigt in seinem Film viele Höhen und Tiefen dieser besonderen Geschichte auf.
Der Film ist hier abrufbar.