Flüchtlingsseelsorger warnt vor Entmenschlichung in Migrationsdebatte

"Grundprinzipien der Menschenrechte"

Das Thema Migration beschäftigt die Gesellschaft über den Wahlkampf hinaus. Welche Orientierung kann die Bibel dabei bieten? Jan Korditschke ist Seelsorger beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst und kritisiert die Ausgrenzung von Migranten.

Bootsflüchtlinge verlassen ein Schiff im Hafen von Palermo (Archiv) / © Igor Petyx (KNA)
Bootsflüchtlinge verlassen ein Schiff im Hafen von Palermo (Archiv) / © Igor Petyx ( (Link ist extern)KNA )

DOMRADIO.DE: Sie haben an diesem Sonntag in St. Peter, der Kölner Kirche der Jesuiten und Kunststation, eine Fastenpredigt gehalten. Sie sagen, dass das Gleichnis vom verlorenen Sohn uns viel über Gastfreundschaft sagt. In diesem Gleichnis geht es darum, dass ein Vater seinem Sohn, der sich lange rumgetrieben hat, ein Willkommensfest ausrichtet. Der andere Sohn der brav zu Hause geblieben war, findet das unfair. Kann man verstehen, oder?

Jan Korditschke SJ (Flüchtlingsseelsorger beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland): Ich halte es eher für unfair, dass der ältere Sohn dem Jüngeren unterstellt, er habe sein Geld mit Prostituierten durchgebracht, ohne dafür irgendwelche Belege bringen zu können. Mich persönlich erinnert das an Informationskampagnen, mit denen Vorurteile gegen Minderheiten, auch gegen Geflüchtete, geschürt werden. Die Gedanken des älteren Bruders beruhen auf einem Missverständnis. Er meint, ihm werde hier etwas weggenommen, was ihm eigentlich zustünde. Als wären er und der jüngere Bruder Konkurrenten um knappe Ressourcen. Der Vater macht an dem Gleichnis gerade deutlich, dass für alle genug da ist und alle in einer guten und friedlichen Weise leben können. Das wäre für unser Land auch wichtig.

Pater Jan Korditschke SJ / © Elaine Rudolphi
Pater Jan Korditschke SJ / © Elaine Rudolphi

DOMRADIO.DE: Was kann uns dieses Gleichnis über die Gastfreundschaft sagen, speziell im Hinblick auf die Migrationsdebatte? 

Korditschke: Vor allem zunächst einmal den Menschen als Menschen zu sehen. In dem Gleichnis ist der große Wendepunkt an der Stelle, wo der Vater den Sohn von Weitem kommen sieht. Wir neigen auch in unserer heutigen Debatte dazu, alles zu entmenschlichen. Wir reden nicht von einzelnen Menschen, sondern wir reden von Strömen und Wellen, die uns bedrohen. Das ist zumindest die Intention dieser Bilder. Da wirklich erst einmal den einzelnen Menschen zu sehen mit seinen Fähigkeiten und natürlich auch seinen großen Nöten, in denen er steckt, ist schon mal der erste Schritt für eine gastfreundliche und offene Haltung gegenüber einem anderen, den anderen als Individuum zu sehen.

Jan Korditschke

"Mit einer menschlichen Grundhaltung ist es nicht vereinbar, grundsätzlich Notleidende und Asylsuchende an Grenzen abzuweisen, sie zurückzuschieben oder Asylverfahren in irgendwelche anderen Länder verlegen zu wollen, wo man sich über die Einhaltung der Menschenrechte wirklich nicht so sicher sein kann".

 

DOMRADIO.DE: Gucken wir auf die aktuelle Politik. Am Sonntag war verhandlungsfrei, aber aktuell laufen die Verhandlungen wieder in Berlin. Die Koalition muss ausloten, wie es eine Gemeinsamkeit gibt. Ein großer Streitpunkt ist die Migrationspolitik. Wie verfolgen Sie die Debatte und die Koalitionsverhandlungen? 

Korditschke: Als kirchlicher Mitarbeiter, als Priester und Flüchtlingsseelsorger des Erzbistums Berlin, schaue ich vor allen Dingen auch auf diese immer weiter zunehmende Entmenschlichung, wo die Würde des Einzelnen nicht mehr wirklich gesehen wird. Das Gleichnis, von dem wir gerade gesprochen haben, ist auch ein Appell zur Menschlichkeit. Mit einer menschlichen Grundhaltung ist es nicht vereinbar, grundsätzlich notleidende und Asylsuchende an Grenzen abzuweisen, sie zurückzuschieben oder Asylverfahren in irgendwelche anderen Länder verlegen zu wollen, wo man sich über die Einhaltung der Menschenrechte wirklich nicht so sicher sein kann. 

Jan Korditschke

"Ich weiß um die Herausforderung der Integration und der Partizipation beider Seiten. Ich sehe aber auch, dass es immer wieder gelingen kann und zwar viel öfter, als man meint".

DOMRADIO.DE: Das Thema Migration wird unglaublich emotional geführt, schon im Wahlkampf. Können Sie es nachvollziehen? 

Korditschke: Es wird aus verschiedenen strategischen Überlegungen heraus zu einem immer emotionaleren Thema gemacht. Das sehe ich aber mit großer Sorge. Ich arbeite Tag für Tag mit Geflüchteten zusammen. Ich weiß um die Herausforderung der Integration und der Partizipation beider Seiten. Ich sehe aber auch, dass es immer wieder gelingen kann und zwar viel öfter, als man meint. Dafür möchte ich mich dann stark machen. 

DOMRADIO.DE: Die Antwort wird jetzt wahrscheinlich vorhersehbar sein, wenn ich Sie frage, ob sich die Kirchen hier weiter äußern sollten. Ich bin aber gespannt auf Ihre Begründung. Sollten Kirchen den Politikern die Politik überlassen oder sollen sie sich einmischen? 

Korditschke: Es ist nicht Aufgabe der Kirchen, bestimmte parteipolitische Linien im Einzelnen immerzu zu kommentieren. Das ist auch Sache der politischen Parteien, die Vorschläge zu machen, wie bestimmte gesetzliche Regelungen dann auch gemacht werden könnten, aber immer wieder an Grundprinzipien der Menschenrechte und der Menschlichkeit zu erinnern. Da dann auch auf Grenzen hinzuweisen, was nun wirklich nicht mehr mit Menschenrecht und Menschlichkeit vereinbar ist, das denke ich, das ist wirklich eine wichtige Aufgabe von Kirche. 

Jan Korditschke

"Wir dürfen gleichzeitig auch die Erfahrung machen, dass wir von diesen Menschen auch bereichert werden. Durch ihre menschlichen Qualitäten, aber auch durch ihre praktischen Fähigkeiten".

DOMRADIO.DE: Wie sieht denn dann gelungene Migrationspolitik aus? 

Korditschke: Bei einer gelungenen Migrationspolitik wird in Integration investiert. Ich glaube, dass das eine viel lohnendere Investition ist und dass wir auf diese Weise Menschen, die in schwerer Not sind, helfen. Wir dürfen gleichzeitig auch die Erfahrung machen, dass wir von diesen Menschen auch bereichert werden. Durch ihre menschlichen Qualitäten, aber auch durch ihre praktischen Fähigkeiten. 

DOMRADIO.DE: Wird das gelingen mit Schwarz-Rot? 

Korditschke: Das würde ich mir sehr wünschen, dass Menschen vor allen Dingen kennen, wir lösen unsere Probleme nicht dadurch, dass wir mit immer größerer fremden Feindlichkeit versuchen, Menschen wegzuschieben, Menschen, die aus guten Gründen Hilfe bei uns suchen. 

Dieses Interview führte Tobias Fricke.

Jesuiten - Eine Chronologie

1521: Bei einer Belagerung von Pamplona wird der junge baskische Landadlige Inigo Lopez de Onaz de Loyola (Ignatius, 1491-1556) schwer verletzt; seine Militärkarriere ist dahin. Fortan will er Heiliger statt Ritter werden.

1534: Ignatius legt mit Francisco de Xavier (Franz Xaver, 1506-1552) und weiteren Gefährten auf dem Pariser Montmartre geistliche Gelübde ab - die Geburtsstunde der Jesuiten. Die Ziele: geistliche Erneuerung durch Christus-Beziehung und Gehorsam gegenüber dem Papst.

Ignatius von Loyola / © Maria Irl (KNA)
Quelle:
DR

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