DOMRADIO.DE: An vielen Flughäfen herrscht Chaos. Erleben Sie das am Düsseldorfer Flughafen auch so?
Johannes Westerdick (Seelsorger am Flughafen Düsseldorf): Die Ökumenische Flughafenseelsorge hat ihren Standort mitten im Terminal, insofern sehen wir es live. Es gibt verschiedene Stoßzeiten, zu denen es dramatisch werden kann. Da reichen die Schleifen innerhalb des Sicherheitbereichs nicht aus, sondern man steht vor der Sicherheit unter Umständen noch eine halbe Stunde an, bis man überhaupt in den Sicherheitsbereich reinkommt. Unter Umständen dauert es noch mal eine halbe Stunde, bis man durch die Sicherheit durch ist.
DOMRADIO.DE: Die Leute kommen nach der Corona-Zeit in guter Laune an und dann werden die Mienen düsterer. Beobachten Sie das?
Westerdick: Ja, das ist natürlich schwierig. So ein Flughafen ist wie ein Organismus. Wenn er lange geschlafen hat, braucht er lange Anlaufzeit, bis er wieder so richtig auf Touren kommt. Den Service-Firmen fehlen Mitarbeitende, sodass sie nicht die Leistung bringen können, die jetzt notwendig wäre. Ich habe das Gefühl, dass sie alle nicht daran geglaubt haben, dass es diese Veränderungen wirklich gibt und dass die so massiv und schnell greift.
DOMRADIO.DE: Geht die Wut bei den Reisenden in Richtung Flughafen und Personal?
Westerdick: Ja, das ist ein großes Problem, weil sich die Wut kaum gegen jemanden konkret richten kann. Ansprechpartner für die Sicherheit ist eigentlich die Bundespolizei. Die hat diesen Auftrag an einen Sicherheitsdienstleister weitergegeben und diesem auch die Zahlen genannt. Der hat versucht, Leute einzustellen oder zu finden. Die muss er aber auch ausbilden. Die sind nicht sofort ausgebildet auf dem Markt. Das heißt, die dürfen nicht sofort an die Sicherheitsgeräte. Das alles dauert seine Zeit.
Der Flughafen hat am wenigsten damit zu tun, aber natürlich ist es der "blöde Flughafen" und man muss auch ehrlicherweise sagen, dass es ja nicht nur hier in Düsseldorf so ist. Ich habe kürzlich von einem Rückkehrer aus Dublin gehört, dass er da drei Stunden vor der Sicherheit gewartet hat. Das ist ein internationales Problem. Alle großen Flughäfen haben das Problem, dass man so schnell kein qualifiziertes Personal findet.
DOMRADIO.DE: Kommen die Menschen mit ihrem Ärger auch zu Ihnen? Oder mit was für Anliegen melden die sich bei der Flughafenseelsorge?
Westerdick: Mit so einem Frust kommen sie eher indirekt. Wenn Sie völlig verzweifelt sind und nicht wissen, was sie tun können, dann landen sie schon mal bei uns. Oder wir kriegen mit, dass bei den Dienstleistern für die Airlines rechts oder links am Schalter die Stimmung gerade mal wieder hochkocht. Dann ist es schon so, dass wir manchmal sogar dazwischengehen und sagen: die Aufregung können wir verstehen, aber die Person, die jetzt da ist und für sie vielleicht noch versucht, etwas umzubuchen, kann am wenigsten etwas dafür.
Wir können vermitteln, wir können ein bisschen erklären und wir können dann unter Umständen nach Lösungen suchen, je nach Airline und Situation. Man muss auch ehrlicherweise sagen, je nach persönlichem Auftritt sind Dinge manchmal möglich oder eben nicht mehr möglich.
DOMRADIO.DE: Das hört sich an, als ob Sie auch sehr oft für das Personal da sein müssten?
Westerdick: Genau. Das ist im Moment ein ganz wichtiger Part, wo wir ein Augenmerk darauf haben, dass die Mitarbeitenden, die versuchen, einen guten Job zu machen, nicht überrannt werden, nicht beschimpft werden, nicht angespuckt werden, dass wir einfach unterstützen.
Wenn ein Flieger zum Beispiel gecancelt wird und dann 150 Leute umgebucht werden müssen - und die Service Firma hat jetzt mal nur drei Leute, die das tun können - , ist es das erste, dass wir zu den Mitarbeitenden gehen und denen mal Gummibärchen geben und viel Kraft wünschen.
Und dann gehen wir zu der Schlange und geben ein paar Getränke raus, erklären die Abläufe und dann beruhigt sich das System in aller Regel ein bisschen, weil man weiß, derjenige, zu dem ich gleich komme, versucht sein Möglichstes und ist nicht mein Gegner.
DOMRADIO.DE: In einem Monat gehen die Sommerferien in NRW los. Wie bereiten Sie sich denn auf diesen Ansturm vor bei der Flughafenseelsorge?
Westerdick: Wir versuchen einfach durch eine erhöhte Präsenz da zu sein. Wir sind morgens ab 7 Uhr schon im Einsatz, mit Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen. Meine evangelische Kollegin betreut das Team der Ehrenamtlichen. Wir sind dann vor Ort und gucken, was wir tun können, versuchen mit offenen Augen durchs Terminal zu gehen oder an unserem Schalter die ganz großen Dramen soweit es geht zu verhindern oder wenigstens soweit abzufedern, dass man sie klären kann und dass die Situation nicht eskaliert.
Wir haben dafür in Absprache mit den Airlines und den Service-Firmen zum Beispiel Anfang des Jahres für Mitarbeitende Deeskalationstrainings angeboten, die gerne wahrgenommen wurden. Da haben wir vier Stunden lang die Themen Kommunikation, Umgang, persönliche Präsenz bis hin zur Selbstverteidigung eingeübt und denen Schulungen gegeben, wie man so mit stressigen Situationen umgehen kann.
DOMRADIO.DE: Und Sie haben zur Sicherheit auch immer ein paar Gummibärchentütchen in der Tasche?
Westerdick: Absolut, das ist unsere Standardware. Wenn der Segen alleine nicht reicht, dann ziehen wir die Gummibärchen (lacht). Nein, das ist immer unsere Nervennahrung, die wir gerne verteilen und die gut angenommen wird. Das ist für die Mitarbeitenden, die einfach mal merken, man hat ein Auge auf sie, sie sind nicht nur "die Doofen", sondern die, die sich kümmern.
Wir sind mittendrin, wir werden für Unterstützung angefragt, auch wenn mal ein Streik ist. Die Zusammenarbeit ist sehr gut und der Flughafen tut wirklich alles, um das System so gut wie möglich in Gang zu halten. Aber wie gesagt, an vielen Stellschrauben können die gar nicht selbst aktiv sein, sondern es liegt an den Service-Firmen.
Das Interview führte Heike Sicconi