DOMRADIO.DE: Wie spitzt sich die Lage in China denn gerade zu?
Haiyuer Kuerban (Leiter des Berliner Büros des uigurischen Weltkongresses): Ich muss daran erinnern, dass das Phänomen der Internierungslager keine neue Erscheinung in China ist. Ebenfalls ist es gar kein unbekannter politischer Repressions-Mechanismus. Die chinesische Kommunistische Partei hat seit ihrer Gründung mit verschiedenen Namen und Formen dies dafür eingesetzt, um vor allem ihre politischen Gegner jeglicher Art beugsamer zu machen oder zu eliminieren. Nach Erkenntnissen der internationalen Experten in dieser Frage wissen wir heute, dass China spätestens 2016 mit dem Bau von massenhaften Einrichtungen angefangen hatte und in kürzester Zeit mehr als drei Millionen Uiguren in mehr als 1000 solcher Einrichtungen ohne jegliche gerichtliche Verfahren oder formelle Anschuldigungen festgehalten hat.
2018 enthüllte geheime Regierungsunterlagen und Dokumente zeigen, dass diese unvorstellbare, groß angelegte Verhaftungs- und Internierungswelle keineswegs spontane Politik war, sondern nach dem höchstpersönlichen Befehl des chinesischen Präsidenten Xi Jinping systematisch und gnadenlos angeordnet und durchgeführt war, mit der unvorstellbar hohen Anzahl der inhaftierten Menschen eines ethnischen Volkes. Es gibt systematisch durchgeführte Gehirnwäsche, gnadenlose Folter, Misshandlungen, Massenvergewaltigungen und Zwangssterilisierungen von Frauen sowie die Zwangsarbeit der Häftlinge: Diese von einem Staat geförderte Masseninhaftierung einer ethnischen Minderheit, die größte unserer modernen Zeit, stellt einen klaren Genozid dar und erinnert an Nazi-Verbrechen gegen die Juden während des Zweiten Weltkriegs.
DOMRADIO.DE: Was gibt den Uiguren Hoffnung mit dieser Situation umzugehen?
Kuerban: Religion ist die letzte Bastion, dass die Uiguren psychisch ihre Stärke und ihren Glauben erhalten. Das ist nicht nur bei den Uiguren so. Das ist eigentlich bei jeglichen Menschen, die in eine existenzielle Gefahr geraten, der Fall, dass Religion als Zufluchtsort dient. Religionen, in diesem Fall der Islam, geben der Bevölkerung die letzte Kraft, dass sie diese harten Zeiten und Probleme, die durch die staatlich geförderten Repressalien entstehen, überstehen können.
DOMRADIO.DE: Wo könnte es einen Ausweg geben? Was muss diesbezüglich in der Gesellschaft oder der Politik getan werden?
Kuerban: Auf der politischen Ebene glauben wir fest daran, dass die internationale Politik und darunter auch die deutsche Politik, einiges tun kann gegen die Menschenrechtsverletzungen in China. Nicht zuletzt dank der Übernahme der Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union hat Deutschland eine große Verantwortung und auch größere Möglichkeiten, eine europäische Einheit zu erzielen und konsequenter und verantwortungsbewusster gegenüber den massenhaften Menschenrechtsverletzungen durch die chinesische Regierung vorzugehen..
DOMRADIO.DE: Können wir uns als Einzelne gegen das Unrecht einsetzen?
Kuerban: Auf jeden Fall: Das kann eigentlich mit dem täglichen Einkaufen beginnen. Zum Beispiel auf individueller Ebene kann man eigentlich auch vieles tun gegen diese Unterdrückung, gegen die Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und das kann eigentlich auch mit dem täglichen Einkauf anfangen. Wir wissen durch die internationalen Berichterstattungen, dass China die Menschen in den Internierungslagern zu Zwangsarbeit verpflichtet hat, dass Produkte des täglichen Bedarfs in den Internierungslagern durch Zwangsarbeit erzeugt wurden, nicht zuletzt Kleidung und elektronische Artikel. Man kann eigentlich solche Produkte vermeiden zu kaufen und dadurch ein kleines, starkes Zeichen setzen, dass das, was in den Internierungslagern gegen die Menschen geschieht, den Verbrauchern nicht egal ist.
Das Gespräch führte Katharina Geiger.