Erleichterung in Berlin, Brüssel, Washington. Erleichterung wohl auch im politischen Paris. Doch bei den Abgehängten im Nord-Pas de Calais, in den Sozialwohnungen von Marseille und Toulouse oder bei den kleinen Weinbauern im Bordeaux wird die Enttäuschung ebenso groß sein: wieder Emmanuel Macron! Wieder "das Establishment", wieder Europa und kein "Frankreich zuerst".
Marine Le Pen und ihr Rassemblement National ("Nationale Sammlung") haben die Präsidentschaft erneut verfehlt, insgesamt zum dritten Mal. Amtsinhaber Macron, der nach ersten Prognosen des Instituts Ifop kurz nach Schließung der Wahllokale 57 Prozent der Stimmen bekam, kann, ja muss nun fünf weitere Jahre versuchen, einen sozialen Mörtel anzurühren, der stark genug ist, die Fünfte Republik zusammenzuhalten. Zugleich muss der 42-Jährige im Angesicht des russischen Kriegs in der Ukraine als Lokomotive die Europäische Einigung vorantreiben, wo seinen Amtskollegen dazu der Mut oder der Wille fehlen.
Keinen strahlenden Sieg eingefahren
Auch wenn Macrons Anhänger bei Bekanntwerden des Ergebnisses vor dem Eiffelturm jubelten: Es ist kein strahlender Sieg, den der Amtsinhaber, den die politische Mitte am Sonntag eingefahren hat. Eher ein Sieg mit ziemlich blauem Auge. Die Franzosen fühlen sich schon länger nicht mehr wohl in ihrer Haut. Und sie fühlten sich auch nicht wohl mit dieser Wahl. Erstmals stimmte eine Mehrheit im Land im ersten Wahlgang für extreme Kandidaten. Das bürgerliche Lager und die Sozialisten wurden regelrecht pulverisiert. Die Beteiligung der knapp 49 Millionen Wahlberechtigten sinkt.
Gezielt hatte Le Pen einmal mehr die Unzufriedenen eingesammelt, diesmal aber weniger auf die Karte Ausländerfeindlichkeit und Überfremdung gesetzt, sondern eher an die Verlustängste der gefühlt kleinen Leute gesetzt, befeuert vom Ukraine-Krieg. "Kaufkraft", das war bis zuletzt Le Pens Zauberwort – obwohl diese in der ersten Amtszeit Macrons im Landesdurchschnitt ebenso gestiegen wie die Arbeitslosenrate gesunken ist.
Macron als kleineres Übel
Schon im Vorfeld war häufig ein Statement zu hören, das man nur sehr vordergründig positiv werten kann: Ich wähle Macron als kleineres Übel. Also sozusagen aus Staatsräson; um eine rechtsextreme Regierung zu verhindern. Doch immer weniger Franzosen wollen Le Pen verhindern; der Abstand bis zu einem Wahlsieg wird immer kleiner. Für 2027 lässt das wenig Gutes hoffen.
Bis dahin allerdings hat der Elysee noch einmal fünf Jahre Zeit, das Steuer herumzuwerfen. Das ist schwierig genug; neigen doch die Franzosen dazu, von Ihren Politikern ein radikales Umsteuern, ein ganz neues Land zu fordern. Oder vielmehr: Frankreich wieder zu dem zu machen, was es sein soll: die kulturelle und wirtschaftliche Elite Europas. Doch sobald die ersten ambitionierten Vorschläge auf dem Tisch liegen, die Einschnitte beinhalten – etwa für die 35-Stunden-Woche oder die Rente mit 60 –, werden Straßen blockiert, Autos angezündet, Gülle vor Türen gekippt. Jakobinermützen, Gelbwesten und der Ruf: Nieder mit denen da oben!
Markenzeichen eines französischen Ersatzkönigs
Die Republik sei "en marche", so suggeriert der Name von Macrons Bewegung, mit der sich der junge Bursche von der Eliteschule, der Ex-Investmentbanker und vormalige Wirtschaftsminister, im Wahlkampf 2017 in kurzer Zeit neu erfand und das Kandidatenfeld von hinten aufrollte. Doch schon allzu bald, 2019, marschierte die Republik anders als gedacht: gegen Macron; gegen "die Arroganz" "der Reichen". Der unbeschriebene Hoffnungsträger von 2017, damals die Katze im Sack, er muss jetzt "liefern" – auch da, wo er womöglich schon vieles geliefert hat. Denn er genießt keinen Vertrauensvorschuss mehr.
Macrons europäisches Denken, seine sozialliberale Haltung, sein Realismus im Handeln, sein staatsmännisches Auftreten und Reden – unter de Gaulle, Giscard, Mitterrand immer Markenzeichen eines französischen Quasi-Ersatzkönigs – werden nurmehr im europäischen Ausland geschätzt. Doch sollte ein Krieg im Osten Europas noch näher rücken als ohnehin schon – vielleicht besinnen sich dann die Franzosen auch wieder der Besonnenheit.