Man kann es als glückliche Fügung betrachten. Wenn die Frankfurter Buchmesse am 10. Oktober ihren diesjährigen Ehrengast Frankreich begrüßt, kommt der Glamour quasi frei Haus. Das Interesse am Nachbarland ist neu erwacht. Vorbei die Zeiten, da ein wenig charismatischer, aber dafür ziemlich glückloser François Hollande an der Spitze des Staates stand. Mit Emmanuel Macron ist ein Präsident in den Élysée-Palast eingezogen, der auch Menschen zu begeistern vermag, die sich nicht direkt für Politik und stattdessen für das spezielle französische Lebensgefühl begeistern.
Grüblerisches und Melancholisch-Morbides
Dabei geht und ging es in der französischen Literatur nie nur unbeschwert und heiter zu. Etwas Grüblerisches, mitunter auch Melancholisch-Morbides zieht sich durch viele Werke: angefangen bei den Essais von Michel de Montaigne, über die Romane à la Émile Zola und die Gedichte eines Charles Baudelaire bis hin zu einem viel diskutierten Bestseller der jüngsten Vergangenheit, "Unterwerfung", in dem Michel Houellebecq eine beklemmende Vision vom Aufstieg des Islam in Frankreich entfaltet.
Die Auseinandersetzung mit dem vermeintlichen oder tatsächlichen Fremden - ein klassisches literarisches Motiv, das in Frankreich in ganz unterschiedlicher Weise zur Entfaltung kommt. Etwa durch die frankophonen Literaten aus den ehemaligen Kolonien oder anderen Teilen der Welt. Passend dazu wird zur Eröffnungsfeier der Buchmesse in Frankfurt Wajdi Mouawad erwartet. Der aus einer maronitischen Familie im Libanon stammende Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur wuchs teilweise in Kanada auf und lebt heute in Frankreich.
10.000 Verlage
Lebendig wie die literarische Produktion ist auch die Branche, folgt man den Informationen der Frankfurter Messeveranstalter. Insgesamt gibt es rund 10.000 Verlage, davon 20 große Häuser mit je 5.000 Titeln im Programm. Marktführer ist die Verlagsgruppe Hachette Livre, auf Platz 8 im internationalen Vergleich und in circa 70 Ländern vertreten.
Frankreich ist den Angaben zufolge außerdem eines der Länder mit dem dichtesten Netz an Buchhandlungen weltweit. Zwischen Lille und Toulouse sind etwa 15.000 "Buchverkaufsstellen" erfasst, davon 1.000 "echte Buchhandlungen". Der Staat fördert gezielt unabhängige kleinere Läden, die sich beispielsweise im Label "Librairies indépendantes de référence" (LiR) zusammengeschlossen haben.
Asterix und die Röma
Auch im Ausland sind die Werke französischer Autoren gefragt. Französisch ist die Sprache, die in Deutschland am zweithäufigsten übersetzt wird. Das Spektrum reicht in diesem Jahr von der autobiografischen Erzählung "Die Lichter von Pointe-Noire" des kongolesischen Autors Alain Mabanckou über den Sammelband "Asterix balinat", übertragen unter anderen von Dieter Hallervorden - "Janz Jallien is vonne Röma besetzt" - bis hin zur ersten deutschen Übersetzung von Retif de la Bretonnes 1784 erschienenem Meisterwerk "Monsieur Nicolas oder das enthüllte Menschenherz".
Der Leser taucht darin ein in ein pralles Panorama des vorrevolutionären Frankreich. Der "Karl Ove Knausgard des 18. Jahrhunderts" packt aus und erzählt von seiner Jugend auf dem Land bis zu seiner Tätigkeit als Drucker und Schriftsteller in Paris. Auch das ist französische Literatur: sinnenfroh und manchmal deftig.
Musen aus dem Exil
All das will in Frankfurt entdeckt werden, entweder im 2.500 Quadratmeter großen Pavillon des Ehrengastes oder aber bei den vielen Veranstaltungen, Lesungen und Ausstellungen in der Mainmetropole.
Immer wieder haben die Verantwortlichen im Vorfeld die besondere Bedeutung der deutsch-französischen Freundschaft für Europa beschworen.
Paul de Sinety, Leiter des Organisationskomitees, erinnerte an die mutmaßlich erste "Reportage" über die Frankfurter Buchmesse. "Elle a ramenée les Muses d'exil" ("Sie hat die Musen aus dem Exil zurückgeholt"), habe der französische Humanist Henri Estienne notiert. "Das war 1573, in Zeiten eines sehr gespaltenen Europas." Wieviel wichtiger sei es, sich an die Macht der Musen im Europa von heute und den angrenzenden Mittelmeer-Regionen zu erinnern. Emmanuel Macron, Schirmherr des Gastland-Auftritts, wird so etwas nicht ungern hören.