Die ersten beiden Monate waren nur Vorspiel. Man plante Reisen und Konferenzen, der Papst veröffentlichte sein Schreiben zur Amazonas-Synode und betete für die Opfer des "Wuhan-Virus" im fernen China. Anfang März erreichte die Seuche den Vatikan. Franziskus stellte seine wöchentlichen Pilgertreffen auf Videobeiträge um. Seitdem war 2020 auch für den Heiligen Stuhl das, was es für den Rest der Welt war: das Corona-Jahr.
Der Höhepunkt der Krise fiel auf das Ende der Fastenzeit. Der Papst, wie er an einem Sonntag im März auf der menschenleeren Via del Corso im römischen Zentrum einhergeht, um vor einem alten Pestkreuz in der Kirche San Marcello zu beten. Der Papst, wie er an einem regennassen Abend auf dem Petersplatz das Allerheiligste erhebt, um für die Stadt und den Erdkreis Schutz und Trost in der Pandemie zu erflehen - das sind Bilder, die bleiben werden.
Papst sieht Weltgemeinschaft am Scheideweg
Franziskus, der so sehr die Nähe zu Menschen liebt, predigt einsam Mitmenschlichkeit. In Videoansprachen, beim Osterfest ohne Gläubigen, in seiner im Herbst veröffentlichten Enzyklika "Fratelli tutti" und dem Buch "Wage zu träumen!", das in den Sommermonaten entstand, ruft er eindringlich zu Solidarität auf - zwischen Staaten, Religionen, sozialen Klassen: Für die globale Krise kann es nur eine globale Lösung geben. Niemand darf zurückbleiben. Es wird seine Grundbotschaft des Jahres. Der Papst sieht die Weltgemeinschaft an einem Scheideweg.
Erstmals seit 1979 unternahm ein Kirchenoberhaupt keine Auslandsbesuche. Reisen nach Malta, Ungarn und in den Asien-Pazifik-Raum wurden abgesagt, Pläne für den Südsudan und Irak auf Eis gelegt. Dabei sind solche Pastoralvisiten ein wichtiges Instrument, um die lokalen Kirchen sowie die Beziehungen zu Regierungen und anderen Religionsgemeinschaften zu stärken.
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin und der Außenbeauftragte, Erzbischof Paul Gallagher, übernahmen einige Termine, natürlich mit einer weitaus geringeren öffentlichen Wahrnehmung.
China-Abkommen und Kurienreform
Größtes und umstrittenstes diplomatisches Ereignis war die Erneuerung eines Abkommens mit China, das Bischofsernennungen regelt. Hongkongs betagter Kardinal Joseph Zen Ze-kiun, der in dem Vertrag von 2018 eine Preisgabe der katholischen Kirche an die kommunistische Regierung sieht, reiste eigens nach Rom, um Franziskus davon abzuhalten; er wurde nicht einmal empfangen. Zu Themen, die Peking verärgern konnten, etwa die Demokratiebewegung in Hongkong oder die Unterdrückung der Uiguren, schwieg Franziskus beharrlich. Stattdessen sorgte im Juli ein Bericht über einen Spähangriff chinesischer Hacker auf Vatikanrechner für Schlagzeilen.
Gebremst von der Corona-Krise, schritt die Kurienreform voran. Die neue Kurienverfassung "Praedicate evangelium", bereits 2019 erwartet, ging im Spätherbst in eine abschließende Redaktionsphase. Der zuständige Kardinalsrat, dem auch der Münchner Erzbischof Reinhard Marx angehört, ist inzwischen um den Kongolesen Fridolin Besungu wieder auf sieben Mitglieder gewachsen.
Vatikan und die Finanzen
Am sichtbarsten waren Reformbemühungen im Bereich Finanzen. Eine Leitungskrise in der vatikanischen Finanzaufsichtsbehörde, die zeitweilig zum Ausschluss von der internationalen Informations-Plattform der Egmont Group führte, scheint beendet. Der Papst erließ strengere Regeln für interne Auftragsvergaben und die Mittelverwendung. Einen empfindlichen Einschnitt erlebte das Staatssekretariat: Es musste die Hoheit über seine beträchtlichen Vermögenswerte abgeben. Das Anlagemanagement wird jetzt zentral von der päpstlichen Vermögensverwaltung Apsa erledigt.
Den Hintergrund bildet die seit über einem Jahr andauernde Affäre um ein Immobilien-Investment in London, die inzwischen gerichtlich aufgearbeitet wird und in der Berichterstattung teils schillernde Züge annahm. Kardinal Giovanni Angelo Becciu, früherer Stabschef im Staatssekretariat, verlor darüber seinen Posten als Heiligsprechungspräfekt.
Dass der neue Finanzchef Juan Guerrero erstmals seit 2016 wieder Bilanzzahlen vorlegte, darf von daher als Werben um Vertrauen gewertet werden. Der spanische Jesuit trat im Januar als Präfekt des Wirtschaftssekretariats die Nachfolge von Kardinal George Pell an - der mittlerweile vom Vorwurf sexueller Übergriffe rehabilitiert ist - und nahm dessen energischen Reformkurs wieder auf.
Enzyklika "Fratelli tutti"
Die vergangenen Monate setzten den Vatikan finanziell noch stärker unter Druck. Einnahmen aus den Museen und Vermietungen römischer Immobilien brachen ein, das Governatorat des Vatikanstaats rief einen rigorosen Einstellungs- und Ausgabenstopp aus. Insgeheim waren manche Kurialen erleichtert, dass die Papstreisen ausfielen: Geld gespart.
So war die vorerst letzte Fahrt von Franziskus jene nach Assisi, als er am 3. Oktober sein Lehrschreiben "Fratelli tutti" unterzeichnete. Darin entwirft er eine Utopie für eine Weltgemeinschaft nach Corona. Sie wird über dieses Jahr und über die Pandemie hinaus Bestand haben.