"Lobreden auf den Durst" werden in manchen katholischen Gegenden eher zur Karnevalszeit erwartet als zur Fastenzeit, die wiederum in südlichen deutschen Gefilden eher als "Starkbierzeit" bekannt ist. Doch beides wird für den Papst und seine Kurie keine Rolle gespielt haben, als sie sich in der ersten Fastenwoche mit dem Thema Durst befassten. Nach vier Tagen kehren Franziskus und etliche seiner Kurienmitarbeiter am Freitagvormittag aus ihren Fastenexerzitien in Ariccia bei Rom in den Vatikan zurück.
Besinnungstage zum Thema "Lobrede auf den Durst"
Die Besinnungstage, die am Sonntagabend begannen, standen unter dem Motto "Lobrede auf den Durst". Die geistlichen Impulse dazu gab in diesem Jahr der portugiesische Priester Jose Tolentino de Mendonca. Der Papst habe ihn darum gebeten, weil er "ein armer Priester" sei, der von seiner Armut anderen etwas abgeben solle, sagte Tolentino vor Beginn der Tage.
Das ist freundlich nach Franziskus-Art formuliert, benennt aber nur zum Teil, warum der Papst den "armen Priester" aus Lissabon anfragte. So ist Tolentino in seinem Land auch ein bekannter Dichter sowie Vizedirektor der katholischen Universität in Lissabon.
In seinen Impulsen sprach der Dichterpriester und Akademiker Tolentino über verschiedene Aspekte von Durst und Sehnsucht. Über die Wissenschaft des Durstes, den Durst Jesu, der sich um die Dürstenden gekümmert habe, den Durst des Volkes Israel in der Wüste, von "den Tränen des Durstes" sowie von seiner "Schönheit". Seine Impulse hielt Tolentino jeweils vormittags und nachmittags, im Programm eingerahmt von einer morgendlichen Messe sowie abendlicher Vesper und Anbetung.
Sich der eigenen inneren Trockenheit stellen
Das Herz etwa sei ein "unermesslicher Behälter des Durstes" – nach Liebe und Anerkennung, nach Wahrheit, Gerechtigkeit, dem Sinn des Lebens, so der Prediger. Daher sei Durstgefühl nicht nur "notwendig, um das menschliche Herz zu erreichen, sondern auch um das Geheimnis Gottes zu verstehen", betonte Tolentino.
Sich dem eigenen Durst und der eigenen inneren Trockenheit zu stellen, sei allerdings kein einfaches Unterfangen, so Tolentino in seinem zweiten Impuls am Montag. Dies sei aber notwendig, damit das geistliche Leben nicht den Kontakt mit der Wirklichkeit verliere. Auf diese Weise könne der Glaube geerdet bleiben und verkomme nicht zu einem reinen Ideenkonzept. Ein Zeichen wahren Durstes nach Leben und Beziehung seien Tränen, erklärte der portugiesische Geistliche und Dichter am Mittwochmorgen. Das zeigten nicht nur die Frauen in der Bibel oder weinende Kinder.
Eine Psychoanalytikerin habe ihm berichtet, wenn depressive Patienten bei ihr zu weinen anfingen, zeige dies, dass sie sich von der Versuchung der Selbsttötung verabschiedet hätten. Denn die Tränen seien ein Indiz für den "Durst nach Leben". Und mit Verweis auf Heilige der Kirche formulierte Tolentino: "Tränen sind das, was uns heilig machen kann, nachdem sie uns zuvor menschlich gemacht haben."
Hin- und hergejagt von Wünschen und Sehnsüchten
Tolentino warnte auch vor der Gefahr, echten Durst mit falschen Durstlöschern zu ersticken. Obschon es vielen Menschen materiell gut gehe, seien sie hin- und hergejagt von Wünschen und Sehnsüchten, die die Konsumgesellschaft geschickt hervorrufe. Das kapitalistische Angebot verspreche die Befreiung von Verlangen durch unbegrenzte Befriedigung.
Doch mit dem "ungebremsten Konsumismus von Dingen" kämen "die Vernichtung des Durstes, der Tod der Sehnsucht" und verliere das Leben seinen Horizont. Zwar sind während der fünf Besinnungstage alle offiziellen Termine des Papstes ausgesetzt. Die großen Aufgaben lassen Franziskus trotzdem keine Ruhe.
Am Mittwoch etwa musste er entscheiden, wie die Untersuchungen seines in Chile erkrankten Sonderermittlers, Erzbischof Charles Scicluna, weitergehen sollen. Zuvor hatte ihn Marcello Semeraro, Sekretär seines K9-Beraterstabs und Bischof im benachbarten Albano, kurz besucht, um über die für Montag geplante nächste Sitzung des Kardinalsrats zur Kurienreform zu sprechen. Für diese Reform seien die Exerzitien und der geistliche Durst wesentliches Element, so der Papst.
Roland Juchem